Antisemitismus und Antiisraelismus* in Deutschland

Antisemitismus und Antiisraelismus* in Deutschland


Antisemitismus und Antiisraelismus* in Deutschland

Dr. Manfred Gerstenfeld interviewt Dr. Susanne Urban

Antisemitismus wurde in Deutschland nach seiner Kapitulation 1945 offiziell delegitimiert. Das geschah zuerst in öffentlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Kunst und später allgemein – Antisemitismus war eine Form gesellschaftlichen Tabus. Öffentliche Debatten und Reaktionen im allgemeingesellschaftlichen Raum zeigen jedoch, dass Antisemitismus seit den späten 1990-er Jahren offener und in vielfältigen Variationen zum Ausdruck kommt. Zeitgenössischer Antisemitismus hat im deutschen Mainstream eine solide Grundlage.

Mehrere Studien der vergangenen Jahre haben tiefere Einblicke in die verschiedenen Ebenen des deutschen Antisemitismus gegeben. 2008 stimmten alle Parteien im Parlament der Ernennung einer Expertengruppe zu. Sie bekam die Aufgabe zu untersuchen und zu interpretieren, wie weit Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft bereits verbreitet ist und wie er effektiver bekämpft werden kann. Die zehn Experten wurden außerdem damit beauftragt Empfehlungen zur Bildung und Ausbildung von Pädagogen vorzulegen.

In den Untersuchungsergebnissen wurde betont, dass die Ausmaße des Antisemitismus mit Fragen zu Deutschlands demokratischer Stabilität verbunden werden sollten. Die Experten konzentrierten sich stark auf Antisemitismus nach dem Holocaust und muslimischen Antisemitismus.

Im August 2011 wurde ihr Bericht veröffentlicht und im Parlament vorgestellt. Er betonte, wie wichtig es ist „sekundärem Antisemitismus“ entgegenzutreten. Ein zentraler Aspekt davon ist, dass die Menschen die aus dem Holocaust resultierende Verantwortung ablehnen. Dies spiegelt eine Vielzahl weit verbreiteter Ansichten. Dazu gehört, dass Deutschland als Opfer oder Geisel der Überlebenden und Entschädigungszahlungen manchmal als von „den Juden“ begangener Raub gesehen wird.

Diese Meinung wird heutzutage auch insofern vertiefend formuliert, weil es zu Selbstviktimisierungsstrategien in Deutschland kommt. Dieses Phänomen drückt sich zum Beispiel so aus: „Wir sind auch Opfer, bekamen aber nie Entschädigungen.“ Es kommt zu einer Opfer-Täter-Umkehr. 2008 konnte festgestellt werden, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Deutschlands die Erinnerung an Naziverbrechen und ihre Opfern mehr oder minder ablehnte.

Die Studie stellte außerdem fest, dass sekundärer Antisemitismus 2010 von 40% der deutschen Bevölkerung formuliert wird. Ein identischer Prozentsatz war der Meinung, dass Israel sich heute wie Nazi-Deutschland verhält. Sekundärer Antisemitismus ist nichts explizit Deutsches, er findet sich in hohen Prozentsätzen auch in Polen und Ungarn. In Großbritannien und den Niederlanden sind diese Zahlen jedoch weit geringer.

Antizionismus als Sonderform des Antisemitismus offenbart sich oft als „Kritik an Politik, Strategien und Handeln Israels“. Man kann ihn in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft finden, ob links oder rechts, bei Muslimen oder Christen. Antizionismus und sekundärer Antisemitismus überschneiden sich in ihren Argumenten oft, z.B. in der Gleichsetzung von Nazis und israelischer Politik oder von Holocaust-Opfern und den Palästinensern. Das wird auch genutzt, um zeitgenössische Verantwortung für die deutsche Geschichte oder das Gedenken an die Opfer zu verweigern. Es gibt keine Unterschiede in antizionistischen Einstellungen bei jenen, die sich selbst eher als links, konservativ oder liberal bezeichnen.

Je älter ein Mensch wird, desto mehr gewinnen primärer und sekundärer Antisemitismus an Boden. Antisemitische Vorurteile sind eher bei niedrigen Bildungsschichten anzutreffen. Männer zeigen mehr Vorurteile als Frauen, sowohl was primären als auch sekundären Antisemitismus angeht. Doch bezüglich des Antizionismus gibt es markanterweise keine solchen Unterschiede. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich nur geringfügig in ihren antisemitischen und antiisraelischen Ansichten. Die Forscher betonten, dass Antizionismus immer extrem emotionalisiert ist, wobei die Gegner Israels sich selbst als rational und sachlich betrachten. Andere mörderische Konflikte wie der in Syrien oder selbst ein Völkermord wie in Ruanda ziehen keine solch hitzigen Diskussionen nach sich – wenn sie überhaupt Thema sind.

Eine zweite Umfrage wurde im Oktober 2012 von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht, einer der SPD nahestehenden Stiftung. Sie untersuchte antisemitische Mainstream-Einstellungen noch gründlicher. Diese Forscher identifizierten ebenfalls Antisemitismus als ein Problem im Kern der deutschen Gesellschaft. Antizionismus wurde nicht separat untersucht, aber betont, dass Antisemitismus auch über antiisraelische Bilder und Stereotypen zum Ausdruck gebracht wird.

Es wurde in verschiedenen Graden insbesondere Äußerungen wie den folgenden zugestimmt: „Ohne den Holocaust könnte Hitler als großer Staatsmann bezeichnet werden“; „Der Nationalsozialismus hatte auch gute Seiten“; „Nationalsozialistische Verbrechen werden von der Geschichtsschreibung übertrieben“; und „Die Juden haben zu viel Einfluss“.

Eine Mehrheit der Befragten stimmte teilweise oder ganz anderen Äußerungen zu wie „Juden nutzen den Holocaust für ihre eigenen Zwecke“, „Entschädigungen helfen nicht den Opfern, sondern einer Holocaust-Industrie“, „Ich habe die Nase voll davon deutsche Verbrechen gegen die Juden vorgehalten zu bekommen“ und „Mich ärgert, dass Verbrechen an Deutschen wie die alliierten Bombardierungen und die Vertreibungen immer als kleinere Verbrechen als der Holocaust angesehen werden.“

In ihren Schlussfolgerungen stimmen die Autoren beider Studien überein, dass Erziehung über den Holocaust ein wichtiges Mittel gegen primären Antisemitismus sein kann, aber nicht gegen sekundären Antisemitismus und Antizionismus.

Urban fügt hinzu: Die Geschichte hinterlässt Spuren bei Folgegenerationen. Es ist nicht möglich sie im Detail zu bestimmen. Es bleiben Fragen bestehen, wie man die Bildung als Teil des massiven Entgegentretens gegen Vorurteile wie Antisemitismus und Antizionismus verbessern und entwickeln kann. Es ist notwendig, Schüler gegen zeitgenössischen Antisemitismus und Antizionismus zu stärken bzw. sie sollen diese Vorurteile selbst erkennen – dies muss Teil der Lehrer-Ausbildung und der Lehrpläne werden.

 

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war.- Dr. Susanne Urban ist Historikerin und leitet den Bereich Forschung und Bildung im International Tracing Servcie (ITS – Internationaler Suchdienst) in Bad Arolsen. Davor arbeitete sie fünf Jahre lang in Yad Vashem. Sie hat außerdem verschiedene Publikationen vorgelegt. / Erstveröffentlicht bei unserem Partnerblog Heplev

 

* Antizionismus wäre der gebräuchlichere Begriff, der auch in Deutschland bekannt ist, doch angesichts der breiten und vielschichtigen Ablehnung des Staates Israel erscheint dieser Terminus besser gewählt.

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Dienstag, 20 August 2013

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