Wer ist ein Meister in Deutschland? Eine verfahrene Situation

Wer ist ein Meister in Deutschland?

Eine verfahrene Situation


Eine verfahrene Situation

von Dr. Nathan Warszawski

War früher der Tod ein Meister in Deutschland, so ist es heute der Neid. Nicht dass der Bundesbürger auf Menschen anderer Nationalität neidisch wäre. Nein. Der Deutsche freut sich, wenn Ausländer ihn beneiden. Im Vergleich zum Tod ist dies ein gewaltiger Fortschritt.

Worum will der Deutsche beneidet werden? Um die Schönheit seiner Landschaft? Um sein gutes Brot? Um sein reines Bier? Um sein Sozialversicherungssystem? Nein! Der Deutsche will um Dinge beneidet werden, die keiner braucht. Zumindest kein Ausländer. Der Bundesbürger will um das Berliner Holocaust-Mahnmal von der ganzen zivilisierten Welt beneidet werden: 19.000 Quadratmeter, 2711 Stelen! Hier spielen Kinder und Alte, staunen Juden und Nazis, flanieren gemeinsam junge Paare und stützen sich einsame Witwen auf Rollatoren. Eine wahre Pracht, auch wenn der Beton zu bröckeln beginnt.

Leider kostet so ein Mahnmal sehr viel Geld. Ansonsten würde sich jede Stadt darum reißen. Die Marktlücke hat vor 20 Jahren ein Künstler aus Köln für sich entdeckt. Mangels zahlungskräftiger lebender Juden in Deutschland hat er sich darauf spezialisiert, Geld mit toten Juden zu machen. Einst wurden körperliche Überreste der Juden verwertet, wovon das Zahngold bis heute zirkuliert, während Lampenschirme vergehen und Seifen verbraucht werden. Der Künstler verwertet das Andenken der toten Juden. Er verlegt Stolpersteine auf Bürgersteigen, in deren Nähe Juden gewohnt, als sie noch gelebt haben. Bis heute hat der eher finanziell als künstlerisch begnadete Künstler mehr als 40 000 Stolpersteine in etwa 1000 Ortschaften in Deutschland, Österreich und einem Dutzend weiterer europäischer Staaten verlegt. 40 000 Stolpersteine gegen 2711 Stelen.

Da der Künstler und seine Auftraggeber keine Juden sind und deshalb keinen Anlass verspüren, sich mit jüdischer Tradition auseinander zu setzen, werden die kleinen Mahnmale als „Stolpersteine“ in Bürgersteigen eingelassen, wo auf sie getreten wird, Hunde und mancher Mann ihren Bedürfnissen nachkommen. Bewusste Juden haben vorgeschlagen, wie im interessierten Ausland üblich, Plaketten in Kopfhöhe anzubringen. Doch mit diesem Ansinnen kann sich der begnadete Künstler nicht anfreunden, da a) Plaketten weniger lukrativ sind und b) zum Anbringen einer Plakette kein Künstler von Nöten ist, da ein nicht kunstbegnadeter Hausmeister vollauf genügt.

Da es in der Bundesrepublik Deutschland kaum noch Städte ohne Stolpersteine gibt, müssen neue Landstriche erschlossen werden, wo die Trottoir-Kunst lohnenswert ist. Die Entdeckung der Eifel ist überfällig. Das linksrheinische Gebiet ist von Juden gleichzeitig mit den Römern bereits vor 2000 Jahren besiedelt worden, lange bevor der Tempel zu Jerusalem zerstört worden ist. Juden waren in der Eifel zwei Jahrtausende tief verwurzelt, in jedem Eifeldorf haben Juden gelebt und manche Synagoge errichtet. Heute gibt es höchstens eine Handvoll Eifeljuden, die zahlenmäßig bei weitem von Christen, die sich warum auch immer als Juden ausgeben, übertroffen werden. Die Eifeljuden wehren sich nicht gegen von außerhalb eingeführten Stolpersteinen, sie ignorieren sie wie zunächst die christlichen Bewohner der Eifel.

Irgendwann ist die Stadt Hellenthal im Kreis Euskirchen an die Reihe gekommen. In Blumenthal, heute ein Stadtteil von Hellenthal, steht ein gläsernes Synagogenmahnmal, welches im August 2013 zum zweiten Mal zerstört wird. Um die Schmach zu tilgen, sammelt die Evangelische Gemeinschaft zusammen mit den Grünen Geld, um Stolpersteine zu kaufen. Der Rat der Gemeinde Hellenthal stimmt der Kunstaktion zu, da sie die Stadt nicht bezahlen muss. Doch der wiederholt ungeklärte Anschlag auf das Mahnmal der von den Nazis 1938 verbrannten Synagoge in Blumenthal löst eine für Politiker und Pfarrer unerwartete Reaktion aus: Den Eiflern kommt eine berechtigte Angst hoch und sie wehren sich gegen die Verlegung von Stolpersteinen auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus. Schnell passen sich die Ratsmitglieder Volkes Stimmung an und bestimmen, dass die Anlieger mit der Verlegung der Steine durch den Kölner Künstler Gunter Demnig einverstanden sein müssen. Die Stolpersteinverlegung scheint gescheitert.

Die örtlichen Kirchen, evangelisch und katholisch, Grüne und in Personalunion der Arbeitskreis Judit.H (Geschichte der Juden im Tal Hellenthal) sind entsetzt. Sie alle, die sich niemals für lebende oder überlebende Juden eingesetzt haben, verlieren nun die einzigartige Gelegenheit, sich mit Bodengedenksteinen für tote Juden zu profilieren. Wilde Vorschläge machen die Runde. Als Erstes sollen nur die Pflastersteine verlegt werden, die die Anwohner nicht ablehnen. Doch gerade die Nachfahren der ermordeten Juden, deren Stolpersteine nicht verlegt werden dürfen, haben bereits ihre Flugtickets von Amerika nach Hellenthal gebucht. Soll diesen Mahnsteinen in der Hellenthaler Kirche Kirchenasyl gewährt werden? Kann das Image der Gemeinde Hellenthal gerettet werden? Hat das Image überhaupt gelitten? Soll ein Bürgerantrag einfordert werden? Oder lieber gleich ein Bürgerentscheid? Für letzteren benötigt man wesentlich mehr Stimmen, die nicht sicher zu erhalten sind. Soll man der politischen Entspannung wegen zusätzlich einiger Hellenthaler Nicht-Juden gedenken, die unter den Nationalsozialisten gelitten haben. Gibt es solche Opfer überhaupt? Sollen nicht alle Stolpersteine gemeinsam vor dem Rathaus verlegt werden? Oder lieber vor der Evangelischen Kirche mit einem zusätzlichen Stolperstein für namenlose Opfer? Mit welchem Vorschlag wird der Straßenkünstler aus Köln einverstanden sein? Müssen weitere Spendengelder gesammelt werden?

Dr. Armin Haas von der CDU Hellenthal macht Gründe des Daten- und des Persönlichkeitsschutzes geltend. „Es ist den jetzigen Besitzern nicht angenehm, wenn bekannt wird, dass ihre Häuser früher Judenhäuser waren“, sagte er. Passanten könnten denken, sie hätten die Häuser unter Wert erworben.

Wahrscheinlich findet die Stolpersteinverlegung in Hellenthal am Sonntag, 20.10.2013 um 11:00 Uhr nach dem evangelischen Kirchgang statt. Möglich ist auch der davor liegende Samstag. Die angegebenen Zeiten variieren. Der Tatort ist bisher nicht bekannt.

 

Numeri 24 : 9 - Foto: Stolperstein in Friedrichshafen (Foto: By Goeggimuss (Eigenes Werk) [<font><font>CC-BY-SA-3.0</font></font>], via Wikimedia Commons)

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Dienstag, 01 Oktober 2013

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