Die Causa Böhmemann - einige persönliche Gedanken

Die Causa Böhmemann - einige persönliche Gedanken


Unser Redakteur Ramiro Fulano hat sich einige Gedanken zur "Causa Böhmemann" - die durch ihr eigenes Verhalten zu einem "Fall Merkel" geworden ist - gemacht und zusammengefasst.

Die Causa Böhmemann - einige persönliche Gedanken
von Ramiro Fulano
 
Ich hatte, liebe Leserinnen und Leser, in der Grundschule eine Klassenkameradin. Ihr Name tut nichts zur Sache, aber nennen wir sie mal Manuela. Bei der Einschulung war sie ein niedliches Kind von nicht mal sieben Jahren. Ihre Haarspangen waren einfach süß und wurden ihr von einer älteren Schwester aus Fimo angefertigt. Auf ihrer Brotdose waren bunte Aufkleber: Comicfiguren und das, was man damals als Pril-Blumen kannte (googeln Sie das bitte, liebe Teenager).
Manuela war im Allgemeinen ein sehr lebhaftes Kind, aber wenn sie zu lebhaft wurde, stand sie mitten im Unterricht auf, lief durch die Klasse und schrie „Kakapupsrülps! Kakapupsrülps!“. Unsere Lehrerin, Fräulein Steinmetz (damals durfte man nicht bloß Fräulein sagen, sondern musste das sogar) pflegte Manuela dann einzufangen und ein wenig zu beruhigen, bevor die Stunde weitergehen konnte. 
 
Dann gab Fräulein Steinmetz der Manuela eins von diesen klebrigen Bonbons, die sie in der Handtasche mit sich führte und an denen man ersticken konnte. Anfangs sagte uns Fräulein Steinmetz immer noch, wir sollten uns nichts dabei denken, „das mit der Manuela gibt sich irgendwann“, aber irgendwann verzichtete sie darauf. Und richtig, liebe Leserinnen und Leser: Es war eine sehr progressive Zeit an den allgemeinbildenden Schulen ausgebrochen, obwohl (oder vielleicht, gerade weil) wir damals „Fräulein“ zur Lehrerin sagen mussten. 
 
Wenig später fingen einige Spaßvögel an, Manuela nachzumachen. Sie rannten im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof hinter ihr her, wenn sie wieder einen ihrer Anfälle hatte. Sie riefen dabei Dinge, die man – anders, als Kakapupsrülps – nicht wiederholen sollte, wenn Damen oder Kinder anwesend sind, und das weiß man im Internet ja nie so genau. Interessant finde ich bloß, wie sechsjährige Mädchen und Buben in den Besitz eines solchen Vokabulars gelangen. 
 
Als die spöttische Manuela-Imitation fast an der ganzen Grundschule groß in Mode kam und immer mehr Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse auf Tischen und Bänken, Wippen oder Klettergerüsten saßen und standen oder im Klassenzimmer und auf dem Schulhof umherliefen und dabei „Kakapupsrülps“ schrien, hieß es irgendwann seitens der Schulleitung auf eine sehr protestantische Art, Manuela wäre jetzt an einem Ort, an dem es ihr besserginge. Danach wurde das Thema nie wieder erwähnt.
 
Wenn ich Herrn Böhmermanns sogenanntes Gedicht über Herrn Erdogan vor mir sehe, das diese wiedergutgewordene Kulturnation so derartig in „politische“ (sprich: wahnhafte) Wallung versetzt, muss ich an die kleine Manuela denken: an ihre Brotdose, ihre Haarspangen und ihr Kakapupsrülps. Nicht, weil ich Böhmermanns Lyrik hilflos oder störend finde; das ist sie natürlich und genau das soll sie sein (vielleicht kann Herr Böhmermann es wirklich nicht besser, aber darum geht’s jetzt nicht). 
 
Sondern weil ich finde, dass Böhmeranns Touretterie mehr über ihn selbst verrät, als ihm lieb sein sollte: Seine pubertär verschwiemelten Verbalinjurien sagen mehr über ihn aus als über das, was er vermutlich für das Thema hält. Nämlich: Herr Erdogan in seiner Funktion als türkischer Ministerpräsident. Mit dem realexistierenden Erdogan hat Böhmermanns blödheitstrunkener Text am allerwenigsten zu tun – aber müsste er das nicht, wenn man ihn als Satire ernst nehmen soll?
Was Böhmermann (re-)produziert hat, ist einfach nur eine ebenso intellektuell schlichte wie projektive Zusammenstellung der aktuellen Klischees eines Hassobjekts. Das praktische an seiner Klischee-Kollage ist, dass man sie als eine Charaktermaske jedem überstülpen kann, den man nicht mag: Sie passt, sitzt, wackelt und hat Luft. Und genau wie Uncle Ben’s Rice gelingt sie immer und klumpt nicht. Diese Form intellektueller Trägheit scheint nicht nur ihren Produzenten (Autor wäre bei Böhmermann zu hoch gegriffen), sondern auch seine Fans zu begeistern.
 
Besonders dem Staatsfunk und den offiziellen Medien mundet ein moralisches Schnellgericht nach dieser Fasson. Dort kriegt man den Hals nicht voll genug vom Ballermann, äh: Böhmermann. Offensichtlich hat endlich einer genau das gesagt, was dort allen schon sehr lange auf den Nägeln brannte. Sind nun alle Borderlinerformulierungen à la Böhmermann freigegeben und erlaubt, die eben noch zu knapp am Saum der politischen Inkorrektheit genäht waren, liebes Lumpen-Kommentariat in den „sozialen“ Netzen? Worte, von deren Verwendung man als öffentlich-rechtliche Rundfunkredakteurin beiderlei Geschlechts nur träumen durfte? Worte, die einem nur dann ins Ohr geflüstert wurden, wenn man viel Geld dafür bezahlte?
 
Nun laufen all die wohlerzogenen Redakteurinnen und Redakteure, die sich während ihrer ganzen Karriere zu benehmen wussten, durch ihre Redaktionszimmer und Konferenzräume und rufen Kakapupsrülps, denn das gehört sich jetzt so, aus „Solidarität mit Böhmermann“. Und vielleicht holt Friede Springer ja einen verklebten Bonbon aus ihrer Handtasche wie einst Fräulein Steinmetz. Das ist das Gute am Gedicht des Herrn Böhmermann: Es hat die intellektuellen Handicaps seiner Zeitgenossen an den Tag gebracht und den chronischen Wahnsinn der deutschen Journaille mal wieder zum Ausbruch gebracht – obwohl, oder gerade weil Böhmermann Texts ästhetisch und intellektuell so minderbemittelt ist.
 
Nun gilt die Meinungsfreiheit zum Glück auch für schlechte Kunst (für unanständige Kunst gilt sie sowieso, oder sollte das zumindest). Aber ich finde Herrn Böhmermann doch nicht so interessant, dass ich ihm die Cause célèbre abkaufe, als die er im öffentlichen Verkehr der Ansichten und Meinungen gehandelt wird. Es ist mir ehrlich gesagt auch egal, was mit Herrn Böhmermann geschieht oder geschehen mag. Er muss auch nicht an einen Ort, an dem es ihm „bessergeht“, denn er ist offensichtlich am besten Platz, den ein Mann in seiner Position sich wünschen könnte: im Zentrum des öffentlichen Interesses – Kakapupsrülps!
 
Bemerkenswert finde ich allein, wie seitens der offiziellen Öffentlichkeit mit ihm und seinem Text umgegangen wird. Wenn das die Perle deutscher Lyrik ist, die Blüte der zeitgenössischen deutschen Literatur, die Crème der politischen Parodie, dann hat es diese deutsche Kulturnation nicht besser verdient.
 
 
 
Foto: Erdogan - der dauerbeleidigte Despot (Foto: von Πρωθυπουργός της Ελλάδας from Greece [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)

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Donnerstag, 21 April 2016