Nachbetrachtung: Der Fall Ö.

Nachbetrachtung:

Der Fall Ö.


Nach achtwöchiger Schweigepause in eigener Sache veröffentlichte Fußballmultimillionär Mesut Özil gestern via Twitter eine Art Brandbrief: gerichtet an die deutsche Öffentlichkeit, abgefasst in englischer Sprache. Ob letzteres schon als Provokation gemeint gewesen war? Es blieb wohl auch der Bequemlichkeit geschuldet, die man dem Fußballer Özil bereits im Blick auf die von ihm bevorzugte Spielweise gern zum Vorwurf machte. Erinnert: Er heuerte 2013 beim FC Arsenal an, für schlappe 50 Millionen Euro, und in den fünf Jahren, die seither vergingen, mag einiges von der Sprache hängen geblieben sein, die zu sprechen er dort genötigt blieb: allemal genug, um den Deutschen damit nun die Leviten zu lesen. Natürlich haben sich nur die wenigsten das Original angetan. Das mag auch für die Übersetzung gelten. Von den Auszügen hat sich, die Schlagzeilen beweisen es, der übliche Wisch gehalten: entlang jener Phrasen, die wir alle schon kennen und wohl auch erwartet haben.

Der Fall Ö.

Von Shanto Trdic

 

Özils Schelte hat folglich einen ziemlichen Wirbel verursacht. Im Gewirr divergierender, zum Teil hysterischer Bekundungen droht indes keine weitere Staatskrise wie manche schon munkeln: Mit dieser Posse ließe sich eher das sengende Sommerloch stopfen. Ins Schwitzen überhitzter Gemüter, deren Fieberkoller dringend einer Abkühlung bedarf, mischt sich der Sermon des abgehalfterten Fußballhelden wie angeranzter Mozzarellakäse. Soll heißen: Es stinkt gewaltig. Die ersten Meldungen und Kommentare entsprachen denn auch exakt der Vorstellung, dass dieser Fisch nicht nur vom Kopf her, sondern gleich aus jeder Schuppenritze müffelt. Eine Rassismus-Debatte sei nun in Gang gekommen, die der Vollprofi mit seinem Gestammel jenseits der üblichen Shitstorm-Attacken ausgelöst habe, und das entsprechende Alibiwörtchen ist von den Biodeutschen gleich so dankbar wie gierig aufgegriffen und in schnellen Umlauf gesetzt worden. Justizministerin Katharina Barley preschte als Erste vor und fasste ihre Besorgnis wie folgt zusammen: “Es ist ein Alarmzeichen, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Mesut Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt und vom DFB nicht repräsentiert fühlt.“. Ob dem solcherart Umsorgten nachträglich schmeichelt, das ihn die Justitia höchstpersönlich ´groß´ nennt? Und ´deutsch´, allerdings. Das wiederum, wir ahnen es schon, kann schon wieder ganz leicht missverstanden werden. Da schweigt man dann besser, wie es der Mesut Özil auch gerne tat und tut, etwa wenn die deutsche Hymne zu Beginn eines Länderspieles erklang. Die resultierenden Schweigeminuten hat dieser deutsche Fußballspieler auf Nachfrage sehr eindeutig zu begründen verstanden, und seine Erklärung unterschied sich auch sehr deutlich von denen, die in der Vergangenheit lieber Kaugummi kauten oder den Rasen mit Rotze bestäubten, aber dazu erst später mehr.

 

Fälle wie der vom beleidigten Özil werden im Prinzip höher gehandelt als ihnen eigentlich zukommt. Es geht da weniger um die Sache, mehr um den Clinch. Versteher und Klarsprecher, Gutmenschen und Pseudo-Rechte, ach was: Gut und Böse stehen sich einmal mehr so selbstherrlich wie unerschrocken gegenüber. Gewehr bei Fuß. Das gute Gewissen immer auf der eigenen Seite. Bei solcher Gelegenheit werden gern alte Rechnungen aufgewärmt, um sie nunmehr im inflationären Wettstreit so teuer wie möglich begleichen zu können. Ziemlich zünftig geht es dann zu, und die Emotionen schwappen schnell mal über. Uli Hoeneß, Edelknacki und Volksheld von der Bayern-Front, dahoam noch immer oder jetzt erst recht wie ein nationaler Halbgott verehrt, teilte bislang am kräftigsten aus, direkt auf die Fresse sozusagen, erfrischend einseitig, das kann und konnte der wie kein anderer, und das wollen die Leute jetzt einfach lesen oder hören, dass verscheucht die Langeweile und löst den Fall krachsplitternd in seine Bestandteile auf.

 

Freilich: Reduzierte man die Affäre Ö. auf´s recht Eigentliche, reicht schon ein Blick auf schlechte Leistungen und noch schlechteren Umgang. Das aber reichte dem Özil zum Schluss selbst nicht mehr. Er hat mit seiner Tirade weiteren unangenehmen Fragen Tür und Tor geöffnet: denen, die um Hintergründe und begleitende Zusammenhänge kreisen, und einmal mehr entscheidet eine aufgebrachte Öffentlichkeit, welche jeweils schwerer wiegen oder nicht. Dann werden auch die üblichen, sattsam bekannten Floskeln erneut im hagelnden Dutzend abgefeuert, und jeder stört sich, je nach Bedarf, an den jeweils anderen, die ihm um die Ohren fliegen.

Am anschaulichsten zeigte sich danach meinem Empfinden gestern Abend in der Aktuellen Stunde (WDR). Da wurde viel getrickst – viel Meinung geschunden. Vordergründig divergierende Meldungen stellte man, passend zu den einzelnen, sehr knapp gehaltenen Wortmeldungen, einander gegenüber, doch wiederholten die Macher das ihnen Genehme bei der Gelegenheit so oft, das die erwünschte Schlagseite – das rechte Bild – von selbst entstand: Eines, das man sich schon vorher zurechtgezimmert hatte. Dem entsprachen auch die sorgsam ausgesuchten Bilder, gerne von passender Musik untermalt. Solche Inszenierungen zielen immer, wollen sie ins Schwarze treffen, auf Emotionen, die gerade im nämlichen Zusammenhang nicht erst umständlich heraus gekitzelt, nur weiter geschürt werden müssen. Der Wortlaut kommt folglich nicht ohne Anklage, nicht ohne die übliche Portion Selbstgerechtigkeit aus. Auffallend, dass man bei der Gelegenheit etliche bereits verlesene Anklagepunkte auch wieder unter den Teppich kehrt. Das sind solche, die der erwünschten Wirkung nur schaden könnten.

 

Kostproben gefällig? Es sei ein wirklich verheerendes Signal, dass man dem Özil wochenlang so übel mitgespielt habe, muffelte eine Stimme aus dem Off. Denn: Damit schrecke man vor allem die jungen, fußballbegeisterten Türken ab. Kein Wort von dem Signal, das Özil selbst aussandte als er sich mit dem Kalifen vom Bosporus traf. Ein verheerendes? Iwo. Die Mehrzahl hier lebender Jungtürk*Innen ist längst stramm Erdogan-hörig. Insofern eher ein bezeichnendes Signal. Dies zu erwähnen, provozierte allerdings das Ehrgefühl notorisch beleidigter Mitbürger*Innen. Also raus aus dem Diskurs. Dass Özil sich jetzt als Opfer inszeniert, passt besser ins Bild: Damit ´spielen´ auch die Verbände, denen man bei solcher Gelegenheit wieder etliche Sendeminuten schenkt, damit deren Vertreter einmal mehr den begleitende Rassismus-Vorwurf bestätigen oder bekräftigen können. Der Opfer-Bonus erspart den Blick auf die tatsächlichen. Die gehen auf das Konto eines Mannes, dessen blitzlichternde Nähe das Opfer Özil so begeistert suchte und fand. Aber auch von denen darf in diesem Zusammenhang nicht mehr die Rede sein. Kein Wort dazu also im WDR. Dessen Programmgestalter zitieren lieber enttäuschte Recklinghausener ´Deutsch-Türk*Innen´, die beklagen, dass ein ´kleiner Fehler´ (wie der, den Özil sich leistete) also schon ausreicht, um von den Biodeutschen abserviert zu werden. Kannst du machen was du willst, bleibst du bei denen immer der Türke. Mir will scheinen: Genau darauf haben es die meisten abgesehen. Darauf zielen auch die unsäglichen Übertreibungen. Da schafft es einer bis in die Nationalmannschaft, aber den undankbaren Deutschen reicht schon der geringste Anlass, über ihn herzufallen. Auch das kam gestern in der AS zur Sprache. Überhaupt: Was kann denn der Mesut dafür, dass die Deutschen so empfindlich sind? Hätten die einfach mal die Klappe halten sollen. Dann wäre der auch nicht so dünnhäutig aus der eigenen Haut gefahren.

 

Vielleicht, nur ein Gedanke, existiert er ja wirklich, dieser heimliche, unterschwellige Argwohn der Biodeutschen den Zugewanderten gegenüber. Kommt er nicht im Anspruch auf moralische Überlegenheit, den die ´Gutmenschen´ jetzt wieder bis zum Exzess anmelden, am deutlichsten zum Ausdruck? Jene, die mit der Rassismus-Keule hausieren gehen, betrachten die Zuwanderer in postkolonialer Manier als ´edle Wilde´:

Ausgeburten multikultureller Fieberphantasien, die in ihren eigenen Köpfen spuken und Wirklichkeit werden wollen, um jeden Preis; mittels selektiver Sprachgebräuche, sozusagen per Dekret, einer Umerziehung – man könnte auch von Gehirnwäsche sprechen – Vorschub leistend. Das Projekt läuft. Und probt die passenden Formate. Verbindlich und verpflichtend, verordnet bis zur Vollendung.

 

Armer Özil also. Auch er hat´s am Ende nur zum Beleidigten und Entrechteten gebracht. Einer aber, der sich wehren tut. Warum er für die fremdsprachig verfasst Anklageschrift insgesamt so lange brauchte, behielt der Mann mit den traurigen Augen allerdings für sich, vermutlich lag´s am Luxusurlaub nach getaner Arbeit, immerhin galt es, eine 0:2 Niederlage gegen den Fußballriesen Südkorea so nachhaltig wie möglich unter ferner liefen auszukurieren. Erst schwieg er folglich, weil die WM anstand, und dann, weil sie stattgefunden hatte. Jetzt zeigt sich auch der Jogi Löw so irritiert wie überrascht: der Mesut habe ihm, der gerade auf Sardinien urlaubt, vorher gar nichts von der großen Generalabrechnung erzählt. Was erlauben Mesut? So eine treulose Tomate.

Lohnt es, auf das verquaste Schreiben im Einzelnen einzugehen? Auch wenn´s weh tut: ja. Schon allein, um bei der Gelegenheit einmal mehr zu verdeutlichen, dass gescheiterte Integration ganz Wesentlich etwas mit denen zu tun hat, die eben genau das nicht wollen: integriert werden. Ob Gangsta aus dem Ghetto oder Großverdiener aus dem Kickermilieu: Beider Bekundungen bedeuten dasselbe, bis in den Wortlaut hinein.

 

Was also hat uns der ´tolle Fußballspieler´ (O-Ton Merkel im Blick auf die laufende Kontroverse) zu sagen gehabt? Die Sache mit ihm und dem Herrn Erdogan, seinem Herrn Erdogan, die habe einfach etwas mit Respekt zu tun. Er hätte auch von Ehre oder Stolz radebrechen können. Klingt auf Englisch natürlich nicht so türkisch wie auf Deutsch, aber egal. Er meint dass mit dem Respekt aber auch und gerade der eigenen Familie gegenüber, die bei dem Treffen mit seinem Idol gar nicht zugegen war. Es geht für den Deutsch-Türken Özil also vornehmlich um sein ganztürkisches Selbstverständnis, daneben mag es sicher noch so einiges mehr geben, aber das spielt in seinem dreiteiligen Schreiben nur dann eine Rolle, wenn er damit austeilen kann, wie es gleich noch deutlich werden wird.

 

Sich nicht mit dem Erdo zu treffen, findet der Özi, hätte bedeutet, die Wurzeln seiner Vorfahren nicht zu respektieren. „Für mich ging es nicht darum, wer Präsident war, es ging darum, dass es der Präsident war.“ So austauschbar bleibt also das höchste politische Amt, egal, wer dort gerade sein Unwesen treibt, Hauptsache: es ist und bleibt ein Türke, der so tut. Kritik am Allerhöchsten? Allah bewahre. Wie auch immer das Ergebnis dieser Wahl oder der Wahl davor gewesen wäre, so Özil weiter, er hätte das Bild mit seinem Präsidenten auf jeden Fall gemacht. Damit ist eigentlich alles gesagt oder geschrieben, das erklärt ihn und die Sache von selbst, aber das reicht eben noch immer nicht, will man den Deutschen – eben aus notorisch verletztem Ehrempfinden heraus – nachträglich den Stinkefinger zeigen. Der ganze törichte Tweet will recht eigentlich auf das Eigentlichste hinaus; etwas, das wie klebrige Soße nahezu durchgehend aus allen Wortkanten und Satzbrüchen heraus tropft: Das Kesseltreiben gegen ihn und seine Person empfindet Özil daher ganz folgerichtig als ´rechte Propaganda´.

Zack die Bohne. Wer hätte das gedacht? Dazu kann und darf im Land der Täter natürlich nicht geschwiegen werden. Nie und nimmer. Das schreit nach Vergeltung – nach Widerstand. Rassismus plus Rechtspopulismus: Da hat man Farbe zu bekennen. Seit gestern volle Pulle und viel mehr. Ja, sehr verliebt sind die Deutschen in ihre eigene Vergangenheit, von der können sie gerade dann nie genug kriegen, wenn es eigentlich um ganz andere Dinge geht.

 

Was für das Opfer freilich schlimmer wiegt: Infolge verdächtiger Propaganda sprangen endlich auch alle Sponsoren wieder ab, die einem Fußballprofi früh die Rente sichern. So gesehen hat man dem Özil also mittels Medienmuffel und Verbandshetze auch die weitere Laufbahn verhagelt, und weil das mit ganz erheblichen finanziellen Einbußen für den notorisch unterbezahlten Kicker verbunden sein wird, bleibt der Rücktritt von der Nationalelf ein konsequentes, stolzes Signal. Wenn für ihn in diesem Land die dicke Kohle nicht mehr zu holen ist, dann braucht er hier auch nicht mehr spielen. Rechte Propaganda hat den verdienten Nationalspieler also ins Abseits getrieben. Genauer: in den Profi-fußballerischen ´Niedriglohnsektor´. Rote Karte – Ende Gelände. Und das nur, weil er mit dem Onkel von nebenan ein T-Shirt hochgehalten hat. Undank ist der Deutschen Lohn.

Sicher kann der Özil seinen Neidern Einseitigkeit in der Berichterstattung vorwerfen. Gilt allerdings auch für ihn selbst. Dass er in den letzten Jahren selten gut, in den vergangenen Wochen und Monaten aber grottenschlecht gespielt hat, erwähnt der Fußballprofi in seinem Schreiben, dass vor Selbstmitleid trieft, mit keinem Wort. Überhaupt findet sich in dem dreiteiligen Opus nicht die mindeste, auch nur vorsichtig angedeutete Selbstkritik. Da hat einer eben alles richtig gemacht im Leben und falsch liegen nur die, denen dauernd das Gegenteil aufgefallen sein möchte.

 

Seltsam: Erst wollten beide, der Özi und der Gündo, das begleitende Ausmaß ihres kurzen Auftritts an der Seite des Potentaten nicht so recht begriffen haben, nun nimmt ersterer genau das zum Anlass, um in einem über weite Strecken ungenießbaren Pamphlet die Bedeutung desselben ins Universelle zu schrauben – eben weil sein Marktwert drunter leidet. Und weil ihn das als Türke trifft. Auf einmal sind alle gegen ihn, wie kann, wie darf das sein? Es stimmt sogar: Jetzt muss man keine Rücksichten mehr nehmen. Mies gelaufen.

 

Ist das Polemik? Ganz gewiss. Und ich will mich auch bemühen, sie noch ein wenig auf die Spitze zu treiben. Denn hinter all dem Getöse droht der Mensch selbst zu verschwinden, um den es hier eigentlich geht. Es lohnt, den ein wenig genauer ins Visier zu nehmen. Ruhig auch polemisch.

 

Mit wem haben wir es im Falle der beleidigten Leberwurst eigentlich zu tun gehabt? Wie kam Mesut Özil, Hand auf´s Herz, die meiste Zeit so rüber? Über den Daumen geronnener Eindrücke gepeilt, bleiben etliche Frage offen; viele beantworten sich schnell selbst.

 

Linkisch und übellaunig im Auftreten wirkte Mesut Özil oft seltsam abwesend und trübsinnig; träge und gedankenverloren. Sowohl auf dem Platz, als auch jenseits des grünen Rasens. Offenbar von Anfang an mit der ihm zugedachten Rolle überfordert, fielen seine Leistungen entsprechend zwiespältig aus. In welcher Rolle wollte er sich selbst gewürdigt sehen? War es die des Türken, der als solcher im Dress der Teutonen, also: dem einer großen Fußballnation aufläuft? Weniger mag er die Rolle des gescheiterten Spielmachers akzeptiert haben, der irgendwie nie zurechtkam mit der Mannschaft und der eigenen Leistung. Die Rolle des ständigen Zauderers, dessen divergierende Launen manches Spiel verdarben oder krönten, je nachdem, blieb fragwürdig genug. Vermutlich hat er die ihm gebührende Rolle nur gesucht und nie gefunden. Eine zerrissene Type also, ein Held im Wartestand. Schon zu Spielbeginn, wenn die Hymne der Deutschen erklang und er vielsagend schwieg, weil er ja nach eigener Aussage zeitgleich zum Allmächtigen betete, bot er das Bild des Ritters von der traurigen Gestalt. Noch in kerzengerader Haltung, Seite an Seite mit den Kameraden, wirkte er seltsam gebeugt, als fühle er sich unwohl in seiner Haut oder dem Hemd, das dieselbe knitternd umspannte. Andere, steht fest, haben mehr geschwitzt in diesem Dress. Er tat das, aus anderen Gründen, schon vorher ständig. Schon in der engen Elferreihe spürte man den Abstand zu seinen Mitspielern, die Einsamkeit eines Mannes, den Unmut und Zweifel plagten.

 

Er spielte an guten Tag vorzüglich, aber nicht genial, wie das einige Beobachter immer wieder voreilig verkündeten. Denn dazu fehlten ihm die vielgeschmähten Sekundärtugenden, als da waren und bleiben: Eifer, Einsatz, Kämpfergeist. Ohne die gerade auf dem Fußballplatz das perfekte Ballgefühl zu brotloser Kunst verkommen muss. Er bewegte sich überhaupt sehr ungern auf dem Rasen, das konnte keinem entgehen der etwas genauer hinsah, doch schien sein Talent oft Garant genug, mittels einiger Kunstgriffe halbgare Spiele zu drehen oder zu wenden, obschon dies ohne das Zusammenspiel derer, die der Schönwetterkicker zu bedienen hatte, auch nicht geklappt hätte. Den legeren Charme eines Beckenbauer besaß er so wenig wie dessen Einsatzfreude, kam es wirklich mal auf alles an. Diesen Schritt ging er nie. Alles aus purer Bequemlichkeit? Seltsam gehemmt und Risikolos war und blieb sein Spiel, und dass man ihm das jetzt um die langen Ohren bügelt, sagt mehr aus über die Steigbügelhalter als über das gefallene Hätschelkind selbst. Dessen notorisch schlechte Laune spricht eine eigene Sprache. An der kommt man nicht vorbei, will man den Menschen verstehen.

 

Wie ausgetauscht wirkte dieser Özil endlich an der Seite seines Präsidenten! Wann hatten wir den je so locker und lässig, so fröhlich, glücklich fast gesehen. Mir persönlich fiel vor allem die körpersprachliche Servilität im Schatten des Potentaten auf, es hätte nur noch ein Hofknicks gefehlt, eine Verbeugung allenthalben. Das war ersichtlich einer der schönsten Momente im Leben des Mesut Özil: Seite an Seite mit seinem Präsidenten. Das ließ tief blicken – hatte einiges zu bedeuten. Es durfte aber, entschied der DFB, am Vorabend der WM nicht allzu viel bedeuten. Nach der Schlappe in Russland bleibt es jetzt Anlass genug, kräftig auszuteilen. An diesem Schützenfest beteiligen sich nun im Dutzend all jene, die etwas und noch sehr viel mehr zu verlieren haben im Fußballzirkus – im ganz großen Geschäft. Das Treffen mit dem Türkenkönig war in Wahrheit nur ein Tropfen, der volle Fässer überlaufen lässt. Womit wir wieder beim dreckigen Geschäft angekommen wären.

 

Hinterher sind alle klüger. Hätte der Jogi Löw den unsicheren Kandidaten bereits vor den WM-Spielen aussortiert, dann hätte man ihm auch im Falle eines Scheiterns (und wie sie dann gescheitert sind!) selbige Entscheidung faustdick um die Ohren gehauen, so nach dem Motto: Der geniale Spielmacher fehlte – es musste schief gehen. Egal, was der Nationaltrainer entschieden hätte: falsch wär´s gewesen. Özil hat ihm keine Wahl gelassen. Die Kritik der Presse ist insofern eher heuchlerisch. Was ist überhaupt von den Eliten zu halten, die sich nun so dankbar wie selbstgerecht auf diesen Fall stürzen? Mit dem Verbündeten Erdogan trafen und treffen sich viele derer die nun den Zeigefinger erheben. Er ist und bleibt Merkels Pate in Sachen Flüchtlings-Deal. Auch die Mutti ließ und lässt sich an seiner Seite ablichten. Sicher: aus ´Sachzwängen´ heraus. Selbstverschuldete, gewiss. Özils Zwänge waren da, finde ich, viel drückender, drängender. Nur durfte das vorher keiner zu laut sagen.

Wie dem auch immer sei: Nachdem die Deutschen jetzt erstmals in ihrer WM Geschichte schon in der Vorrunde scheiterten (auch das war mal an der Zeit) kam der Fall Özil allen, die öffentlich um die Gunst des Publikums buhlen, sehr gelegen. Jetzt fällt man recht bequem über einen her, der seinen Teil zum Scheitern beitrug. Dass er auch in Sachen Integration ein Beispiel dafür hergibt – eben: gescheitert zu sein – macht ihn zur Projektionsfläche unterschiedlicher Befindlichkeiten. Kritiker und Verteidiger des Glücklosen Özil eint das Interesse: Der Zweck heiligt die Mittel.

 

Mag der Mensch Özil sich zuletzt als undankbar und illoyal erwiesen haben: Er ist es vor allem den Deutschen gegenüber gewesen. Er heult ihnen auch keine Träne nach, denn jetzt nützt ihm deren Land nichts mehr. Neue Verträge winken, neue Clubs – neue Herausforderungen. Das ganz große Geld wird er nicht mehr verdienen, aber in seiner Heimat, der Türkei, hat er es endlich zum Helden gebracht. Womöglich erleichtert, ja erlöst das einen zur Melancholie neigenden Menschen. Regierungspolitiker aus der Heimat loben ´Bruder Mesut´, wie man ihn dort bereits nennt, für seine Haltung und begrüßen den Austritt aus der Nationalmannschaft mit gehörigem Nachdruck. Ein baldiges Treffen mit seinem Präsidenten, so ein Sprecher der türkischen Regierung, sei bereits geplant.

 

Und Özil wird wieder strahlen.

 

 

Numeri 24 : 9 - Foto: By Ronnie Macdonald from Chelmsford, United Kingdom (Mesut ÖzilUploaded by Dudek1337) [CC BY 2.0  (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons


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Freitag, 27 Juli 2018