Kanzlerin Merkels Vermächtnis und die Juden

Kanzlerin Merkels Vermächtnis und die Juden


Seit ein paar Wochen ist Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Sie kündigte an, dass sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr als Bundeskanzlerin kandidieren will – eine Position, die sie seit 2005 inne hat.

Kanzlerin Merkels Vermächtnis und die Juden

Von Dr. Manfred Gerstenfeld

Daher haben die Medien begonnen ihre Leistungen zu analysieren und über ihr Vermächtnis zu spekulieren.

Dies ist auch ein geeigneter Moment um sich anzusehen, wie Merkels Vermächtnis bezüglich der Juden Deutschlands aussieht. Helmut Kohl, der vorherige CDU-Parteichef, der von 1982 bis 1998 Bundeskanzler war, ermöglichte geschätzten 170.000 russischen Juden nach Deutschland einzuwandern. Als Ergebnis dieser Politik hat Deutschland einmal mehr eine beträchtliche jüdische Gemeinschaft.[1] Das organisierte Judentum des Landes hat fast 100.000 Mitglieder.[2] Das ist allerdings kaum mehr als 0,1% der Bevölkerung Deutschlands.

Merkel hat es nie verfehlt allgemeine Unterstützung und Rhetorik gegenüber Deutschlands Juden zu äußern. Im November 2018 sprach sie in der großen Berliner Synagoge in der Rykestraße aus Anlass des 80. Jahrestages der „Kristallnacht“ und sagte: „Es gibt in Deutschland wieder blühendes jüdisches Leben, ein unerwartetes Geschenk nach dem Zivilisationsbruch der Schoah. Doch zugleich erleben wir einen Besorgnis erregenden Antisemitismus, der jüdisches Leben in unserem Land und an anderen, sicher geglaubten Orten der Welt bedroht…“[3] Sie fügte an, dass die rechtsextremen Militanten oder Muslimen zugeschriebene Gewalt gegen Juden und in Deutschland zunimmt.

Im Jahr zuvor hätte Merkel bei den Schuldigen für antisemitische Vorfälle Muslime nicht erwähnt, obwohl diese bereits seit Jahren für einen beträchtlichen Teil davon verantwortlich sind. Die Lage hat sich allerdings im Dezember 2017 geändert, als Muslime in Berlin eine selbstgefertigte israelische Flagge verbrannten.[4] Das Video ging um die Welt und schuf Assoziationen mit den weit schlimmeren Buchverbrennungen, die unter Hitlers Herrschaft stattfanden.

Mehrere Politiker begannen dann muslimischen Antisemitismus aufzudecken.[5][6] Nach einiger Zeit musste Merkel dasselbe tun. Bis heute sind deutsche Statistiken zu antisemitischen Vorfällen immens manipuliert.[7] Alle von nicht identifizierten Personen begangenen antisemitischen Taten werden fälschlich Rechtsextremen zugeschrieben.[8]

Ende 2018 bot eine Studie mit dem Titel Erfahrungen und Wahrnehmungen von Antisemitismus Daten dazu, wie selbstdefinierende Juden in 12 EU-Ländern diesen Judenhass sehen und erfahren.[9] Sie wurde von der Agentur für Grundrechte (FRA) veröffentlicht. Die Studie bietet wichtige relative Daten, auch wenn sie in absoluten Begriffen statistisch nicht bedeutsam sind. Auch wenn es in dieser Sache etwas hinter Frankreich zurückliegt, war Deutschland eines von fünf Ländern, in denen die große Mehrheit der Befragten Antisemitismus als großes Problem betrachtete.[10]

Verglichen mit der vorherigen FRA-Studie aus dem Jahr 2012 betrachtete ein weit größerer Anteil der Juden den aktuellen Antisemitismus als Problem. Fast alle Befragten sagten, dass der Antisemitismus in den letzten fünf Jahren zunahm. Deutschland gehört auch zu den Ländern in Europa, in denen Ausdruck von Feindlichkeit gegenüber Juden auf der Straße und an anderen öffentlichen Orten als sehr großes oder ziemlich großes Problem betrachtet wird.[11]

Die Mehrheit der deutschen Befragten sagte, sie hören regelmäßig die Äußerung: „Israelis verhalten sich gegenüber den Palästinensern wie Nazis.“[12] Eine beträchtliche Anzahl deutscher Juden haben zudem negative Äußerungen über Juden bei politischen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen zu hören bekommen.[13] Deutschland gehört auch zu den Ländern mit dem höchsten Stand an Juden, die mit antisemitischen Vorfällen entweder als Zeugen oder durch den Kreis ihrer Familienmitglieder und engen Freunde vertraut sind.[14] Die Mehrheit der deutschen Juden sagt, sie machen sich Sorgen wegen verbaler Beleidigungen und möglicher Schikane in der Zukunft oder alternativ, dass ein Familienmitglied oder ein enger Freund Opfer solcher Beleidigungen und Schikane werden könnte.[15] Viele deutsche Juden vermeiden zumindest zeitweise bestimmte Orte in ihrer Region oder ihrem Viertel, weil sie sich dort als Juden nicht sicher fühlen.[16] In Ungarn, Belgien, Frankreich und Deutschland deutet eine große Minderheit der Befragten an, dass sie in den letzten fünf Jahren über Auswanderung nachgedacht haben, weil sie sich dort als Juden nicht sicher fühlten.[17]

Im Dezember erwähnte Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Berliner Jüdischen Gemeinde, dass das Thema Emigration bei Entscheidungen in jüdischen Gemeinden immer öfter aufkommt. Er fügte hinzu, dass jede Ecke von Berlin für Juden potenziell gefährlich geworden ist.[18]

Aus leitender und politischer Sicht regierte Merkel Deutschland bis 2015 gut. Das Land überstand die großen Herausforderungen der weltweiten Wirtschaftskrise von 20008 ohne gewaltige Probleme. Unter Merkels Kanzlerschaft nahm Deutschlands dominierende Rolle in der Europäischen Union zu. Sie drückte erfolgreich ihren Kandidaten, den ehemaligen Premierminister von Luxembourg Jean-Claude Juncker, als Präsident der EU-Kommission durch.

Dennoch könnte Merkels Vermächtnis für die Nation in einem hohen Ausmaß enorm von einer schicksalhaften Entscheidung beeinflusst sein: Deutschlands Grenzen im September 2015 für Asylsuchende und andere Zuwanderer zu öffnen. Seitdem sind rund eineinhalb Millionen Asylsuchende ins Land gekommen.[19] Viele kamen aus muslimischen Ländern, insbesondere aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Merkel schätzte die Probleme falsch ein, die so viele Nichteuropäer mit sich bringen sollten, ebenso die Aufnahmekapazitäten der Bevölkerung ihres Landes.

Die offizielle Version lautet, dass es pro Tag drei bis vier antisemitische Vorfälle in Deutschland gibt. Es  gibt wahrscheinlich mehr, weil viele Opfer keine Anzeige stellen. Juden haben zunehmend das Gefühl die Hauptlast zweier Phänomene zu tragen: die vielen Antisemiten unter den muslimischen Zuwanderern und ihren Nachkommen sowie die Wiederbelebung der antisemitischen extremen Rechten. Selbst wenn die Lage sich nicht verschlechtert, ist sie bereits schlimm genug und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie sich bessert.

Die Hanns-Seidel-Stiftung untersuchte die Einstellungen von Asylsuchenden im Bundesland Bayern. Sie stellte fest, dass mehr als die Hälfte derer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan glauben, dass Juden „zu viel Einfluss“ in der Welt haben.[20]

Eine Studie des Historikers Gunther Jikeli zu syrischen und irakischen Flüchtlingen in Deutschland, in Auftrag gegeben vom American Jewish Committee, wurde von der Berliner Direktorin der Organisation, Deidre Berger so zusammengefasst: „Bisher sind Berichte, das viele Neuankömmlinge in Deutschland Antisemitismus verfechten, weitgehend anekdotenhaft gewesen. Aber diese neue wissenschaftliche Analyse zeigt, dass das Problem in den Flüchtlingsgemeinschaften aus Syrien und dem Irak weit verbreitet ist. Antisemitische Einstellungen, Stereotype und Verschwörungstheorien sind üblich, ebenso eine kategorische Ablehnung des Staates Israel durch viele von ihnen.“[21]

Der neu ernannte Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, sagte, er sei nicht überrascht, dass viele deutsche Juden darüber diskutieren das Land zu verlassen.[22] Das führt zu einer lästigen Frage: Kanzler Kohl ermöglichte den Aufbau einer stark vergrößerten jüdischen Gemeinschaft durch Zuwanderung. Wird Merkels Vermächtnis in einer beträchtlichen Verkleinerung der jüdischen Gemeinde durch Auswanderung bestehen?

[1] http://www.jta.org/2018/12/10/global/soviet-immigration-once-a-bane-of-germanys-jews-has-become-their-salvation

[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1232/umfrage/anzahl-der-juden-in-deutschland-seit-dem-jahr-2003/

[3] www.reuters.com/article/us-germany-holocaust/merkel-marks-nazi-kristallnacht-against-jews-with-synagogue-speech-idUSKCN1NE1JK

[4] http://www.reuters.com/article/us-usa-trump-israel-germany/anti-semitism-has-no-place-in-germany-minister-says-after-israeli-flags-burned-idUSKBN1E40ST

[5] http://www.algemeiner.com/2018/01/10/muslim-antisemitism-in-germany/

[6] http://www.welt.de/politik/deutschland/article175597957/Angela-Merkel-will-mit-aller-Haerte-gegen-Antisemitismus-vorgehen.html

[7] http://www.fr.de/politik/politische-straftaten-mehr-faelle-von-antisemitismus-a-1502314?GEPC=s5

[8] http://www.welt.de/politik/deutschland/plus179337122/Extremismus-Antisemitismus-ist-unislamisch.html

[9] European Agency For Fundamental Rights, Experiences and perceptions of antisemitism, Second survey on discrimination and hate crime against Jews in the EU  Luxembourg  2018. https://fra.europa.eu/en/publication/2018/2nd-survey-discrimination-hate-crime-against-jews

[10] ebenda, S. 22.

[11] ebenda, S. 21.

[12] ebenda, S. 24.

[13] ebenda, S. 28.

[14] ebenda, S. 32.

[15] ebenda, S. 33-35.

[16] ebenda, S. 36.

[17] ebenda, S. 38.

[18] https://www.tagesspiegel.de/politik/antisemitismus-fuer-juden-ist-jede-ecke-berlins-potenziell-gefaehrlich/23743012.html

[19] http://www.dw.com/en/refugee-numbers-in-germany-dropped-dramatically-in-2017/a-42162223

[20] http://www.hss.de/download/publications/Argu-Kompakt_2017-8_Asylsuchende.pdf

[21] http://www.prnewswire.com/news-releases/ajc-berlin-publishes-study-on-anti-semitism-among-refugees-300570901.html

[22] http://www.theguardian.com/world/2018/apr/28/germany-antisemitism-envoy-jews-consider-leaving-germany

 

Heplev - Dr. Manfred Gerstenfeld war jahrelang Direktor des Jerusalem Centers for Political Defense (JCPD) und ist regelmäßiger Autor von Kommentaren und Analysen in der Jerusalem Post sowie beim israelischen Nachrichtensender Arutz Sheva. 


Autor: Dr. Manfred Gerstenf
Bild Quelle: R.Letsch via Wikimedia


Donnerstag, 10 Januar 2019

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




empfohlene Artikel

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage