Wenn die Wasser Balken hätten

Wenn die Wasser Balken hätten


Das ist der Titel der musikalischen Autobiografie des Liedermachers Stephan Krawczyk, die als sein Beitrag zum 30. Jahrestag des Mauerfalls auf den Markt kam.

Wenn die Wasser Balken hätten

Von Vera Lengsfeld

Seine besten Titel der letzten dreißig Jahre sind auf dieser CD vereint, die nicht nur Hörgenuss, sondern auch jede Menge Weisheit und damit Denkanstöße bietet.

Stephan Krawczyk startete in der DDR als zorniger junger Mann, der bald nur noch in den Räumen der evangelischen Kirche auftreten durfte und dort zuverlässig für volle Häuser sorgte. Seine Karriere endete abrupt, als er im Januar 1988 am Vorabend der alljährlichen Kampfdemonstration der SED zu Ehren der ermordeten Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg den inzwischen berühmt gewordenen Satz von Luxemburg „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ aus der Gesamtausgabe heraussuchte und damit der Gegendemonstration der Bürgerrechtler einen unschlagbaren Slogan gab.

Krawczyk, der auch selbst an der Demonstration teilnahm, wurde gemeinsam mit 104 anderen Bürgerrechtlern verhaftet und ins Zentrale Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht. Von dort wurde er, auf Wunsch seiner damaligen Frau Freya Klier, gemeinsam mit ihr in den Westen abgeschoben. Klier und Krawczyk waren nur die Ersten. Alle anderen Inhaftierten, mit ausnahmen zweier Minderjähriger, folgten ihnen innerhalb von zehn Tagen. Aus den Stasiakten wissen wir, dass es sich bei der Verhaftung und späteren Abschiebung von Bürgerrechtlern um einen „Enthauptungsschlag“ gegen die Opposition ging, die sich seit Beginn der 80er Jahre in den Räumen der Evangelischen Kirche entwickelt hatte.

Krawczyk, unverhofft im Westen gelandet, verstummte erst einmal für ein Vierteljahr. Dann begann er wieder zu schreiben. Sein erstes Lied: „Komm über mich im Unterholz“ ist keine wütende Abrechnung mit dem SED-Regime, sondern ein anrührendes Liebeslied für seine Frau, der er gefolgt war. „Ich lieb dich doch, du kannst mich noch vorm Totentanz erretten, ich les´ dir dann beim Abendmahl vom Unterkleid die Kletten…”

Das älteste Lied der CD ist von 1982. „Der Clown“, geschrieben vom Leipziger Lyriker Andreas Reimann, ist dennoch brandaktuell. „Zum Teufel, der geht auf zwei Beinen herum – und das auch noch vor Publikum… er mag Menschen mehr als den eigenen Hund.. zeigt noch im hellsten Licht sein Gesicht und bricht statt Beischlaf Liebe vom Zaun – ist eben ein Clown”. So ein Clown ist heute wieder eine Provokation. Krawczyks Neueinspielung ist zurückhaltender als frühere Versionen, man könnte es auch resignierter nennen.

Im ersten Lied „Bitte“ singt er „Hüte deinen guten Kern, sei das Unteilbare“. Diese Aufforderung findet sich unterschwellig in allen 18 Liedern wieder. Mit Krawzcyks sanfter, erotischer Stimme wirkt diese Aufforderung unwiderstehlich. Dazu die musikalische Begleitung in subtilen Arrangements, von Gitarre- und Akkordeon dominiert. Alle Instrumente werden von Krawczyk selbst gespielt.

Sehr eindringlich ist das eher politische „Wieder stehen“, der Hit in den Kirchen der DDR,. „Wer wieder stehen will, muss sich erst widersetzen“, sagte Krawczyk sein Lied damals an. Das trifft auch heute noch zu, denn: „Leben ist von kurzer Dauer, keine Zeit mehr zum Verzicht“.

Am berührendsten sind seine Liebeslieder. Das unendlich zarte Lied an den Mond – „das All ist unser Liebesnest“. Oder das fröhliche „Frühling“: „Unsrer Hüfte frohes Schwingen, lässt die Vöglein lauter singen“. Mein Lieblingslied ist „Heute“- „Nimm mich heut in Deine Arme, heute kannst Du mich verstehen.“ Auch wer gerade über keine aktuelle Liebe verfügt, kann sich an frühere Lieben erinnern und ist getröstet, weil niemand, der auch nur einmal in seinem Leben zur Liebe fähig war, umsonst gelebt hat.

Krawczyk singt seine Lieder, „was nicht heißt, dass es wem nützt“.

Aber: „Wenn wir uns mit uns begnügten und uns wärmten, wenn wir frier´n, könnte ich mit meinen Liedern, hilfreich eure Haut berührn.“

Das kann er, man muss ihm nur zuhören. Die CD wäre übrigens ein gutes Weihnachtsgeschenk, nicht nur, aber vor allem für die Liebsten.

 

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Vera Lengsfeld, Publizistin, war eine der prominentesten Vertreterinnen der demokratischen Bürgerrechtsbewegung gegen die "DDR"-Diktatur, sie gehörte 15 Jahre dem Deutschen Bundestag als Abgeordnete der CDU an. Sie publiziert u.a. in der Achse des Guten und in der Jüdischen Rundschau.


Autor: Vera Lengsfeld
Bild Quelle: Anders Rose [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]


Montag, 16 Dezember 2019

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