Gegen das Vergessen - Für jüdisches Leben in Deutschland

Gegen das Vergessen - Für jüdisches Leben in Deutschland


Rund 800 Menschen haben in Stuttgart der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust und der Überlebenden gedacht.

Gegen das Vergessen - Für jüdisches Leben in Deutschland

Mit einer Kranzniederlegung an der Synagoge und dem „Marsch der Erinnerung“ stellten sie sich zum jüdischen Volk. Die 89-jährige Auschwitz-Überlebende Eva Erben (Israel) erzählte ihre bewegende Geschichte.

Rund 800 Juden und Christen versammelten sich am Montag vor der Stuttgarter Synagoge, um am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau (1945) gemeinsam der Opfer des Holocausts und der Überlebenden zu gedenken. Die Gedenkfeier am Internationalen Holocaustgedenktag, der seit 2005 jedes Jahr am 27. Januar begangen wird, wurde vom Deutschen Zweig der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem (ICEJ) organisiert. Sara Granitza, Direktorin der Christlichen Freunde Yad Vashems (Jerusalem), und Stephan Lehnert, Büroleiter der ICEJ (Stuttgart), legten gemeinsam einen Kranz vor der Synagoge nieder. Anschließend folgte ein „Marsch der Erinnerung“ von der Synagoge zur Liederhalle.

„Am 75. Jahrestag der Befreiung des Todeslagers Auschwitz versammeln wir uns bewusst an der Stuttgarter Synagoge, um ein Zeichen zu setzen, dass wir nicht nur der ermordeten sechs Millionen Juden gedenken, sondern auch heute an der Seite des jüdischen Volkes stehen“, erklärte Gottfried Bühler, Vorsitzender der ICEJ Deutschland. ICEJ-Jugendreferent Timon Kaiser berichtete als Vertreter der jungen Generation, die über 50 Jahre nach dem Holocaust geboren wurde, dass ihm durch die Begegnung mit Holocaustüberlebenden bewusst wurde, wie wichtig es ist das Vergangene nicht zu vergessen, sondern aktiv zu werden und die Zukunft mitzugestalten. „Lasst uns nicht schweigen, sondern Verantwortung übernehmen“, forderte er.

„Dass so viele Menschen für das jüdische Volk durch Stuttgart gelaufen sind, das gab es wohl noch nie“, begrüßte Gottfried Bühler die Teilnehmer des Marsches im vollen Mozartsaal der Liederhalle. „Nur gemeinsam können wir Antisemitismus entgegentreten. Politik, Kirchen, Medien, jeder einzelne von uns – wir müssen Verantwortung übernehmen.“ Die Erinnerung alleine reiche nicht aus. „Wenn wir ‚nie wieder‘ sagen, muss uns das für heute und morgen sensibilisieren. Der Antisemitismus erscheint heute im neuen Gewand des Antiisraelismus. Er geht einher mit der Delegitimierung des einzigen jüdischen Staates, Israel. Als deutsche Nachkriegsgeneration erklären wir uns solidarisch mit dem jüdischen Volk und Israel.“

Michael Kashi, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) erinnerte an die Deportation und Ermordung vieler Stuttgarter Juden. „Diejenigen, die sinnlos und brutal ermordet wurden, haben es verdient, dass man sich an sie erinnert“, sagte Kashi. Die Israelin Sara Granitza, die erstmals in Deutschland zu Besuch war, bedankte sich bei der ICEJ und ihren Freunden für die Freundschaft und Partnerschaft mit Israel und dem jüdischen Volk. „Wenn wir in Israel Nachrichten aus aller Welt hören, sind wir manchmal nicht sicher, ob wir Freunde haben, aber jetzt weiß ich es.“ Vor 75 Jahren habe das jüdische Volk gedacht, man müsse nicht mehr über den Antisemitismus reden. Doch heute „verbreitet sich Hass über soziale Medien so schnell. Leider nimmt der Antisemitismus in der Welt und in Deutschland wieder zu“, warnte sie. Daniel Schönberger, Repräsentant des Weizmann-Instituts (Israel), machte deutlich, dass Innovation und Wissenschaft grundlegend für den Aufbau des jüdischen Staats waren und dem Wohle der Menschheit dienen sollten. Heute sei Israel als Start-up Nation aus der Weltgemeinschaft nicht mehr wegzudenken.

Besonderer Ehrengast auf dem Podium war Eva Erben. Die 89-jährige Auschwitz-Überlebende war aus Israel angereist, um an der Gedenkfeier teilzunehmen und eine Woche lang an Schulen im Großraum Stuttgart als Zeitzeugin vom Holocaust zu berichten. Eva Erben wurde 1941 mit ihrer Familie nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte Grausamkeiten, Hunger, Kälte, Krankheit und einen Todesmarsch. Mit ihrem Mann, den sie in Theresienstadt kennenlernte, wanderte sie 1949 nach Israel aus. Eva hat drei Kinder, neun Enkel und 16 Urenkel. „Als ich nach Israel kam war ich 18 Jahre alt. Wir haben das Land aus der Asche aufgebaut, den Holocaust zur Seite geschoben, denn nur das Jetzt war wichtig. Ich habe fast 40 Jahre nicht darüber gesprochen, denn lange Zeit hat man uns in Israel gefragt ‚Warum habt ihr euch nicht gewehrt?‘“, erklärte Eva. Doch schließlich fing sie an, in Schulen in Israel und Deutschland ihre Geschichte zu erzählen. „Ich danke euch, ihr seid die Zukunft und Hoffnung, dass es nicht wieder passiert“, schloss sie. Das Publikum bedankte sich bei ihr mit Standing Ovations.

Für musikalische Highlights sorgten der Pianist Michael Schlierf und die Harfenistin Deborah Haag. Der Abend wurde mit dem Singen der israelischen Nationalhymne „HaTikwa“ beschlossen.

Die Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (ICEJ, gegründet 1980) steht seit 40 Jahren an vorderster Front im Kampf gegen Antisemitismus und Antiisraelismus. Sie hat eine Partnerschaft mit der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, unterstützt sozial Benachteiligte sowie Neueinwanderer und Minderheiten (Araber, Drusen und Beduinen), fördert Projekte der Koexistenz zwischen Juden und Arabern und betreibt in Haifa ein Heim für bedürftige Holocaustüberlebende. Die ICEJ hat Zweigstellen in über 90 Ländern und Unterstützer in mehr als 160 Ländern weltweit.

 


Autor: Redaktion
Bild Quelle: ICEJ


Mittwoch, 29 Januar 2020

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