Tagesschau.de: Der ideologische Superspreader

Tagesschau.de: Der ideologische Superspreader


Die Website tagesschau.de ist ein ideologischer Superspreader. Allein im April hatte sie 206 Millionen Zugriffe, das ist etwa so viel wie die Einwohnerzahl Brasiliens. Ich habe auf Achgut schon mehrmals über tagesschau.degeschrieben, aber es ist nie genug. Denn König Augias hat viele Rinder in seinem Stall, und jeden Tag kommt neuer Mist dazu.

Tagesschau.de: Der ideologische Superspreader

Meine Beschäftigung mit tagesschau.de begann im letzten Jahr. Mir war ein Artikel aufgefallen, in dem ein neues schwedisches Gesetz gefeiert wurde, das den Straftatbestand der „unachtsamen Vergewaltigung“ einführte. Es lief, wie man dem Text sehr wohl entnehmen konnte, auf eine Umkehr der Beweislast hinaus: Jeder ist so lange schuldig, bis er seine Unschuld bewiesen hat. Der Autor zeigte sich begeistert ob der Einführung des Prinzips In dubio contra reum und der Abschaffung des Rechtsstaats. Der ganze Text roch stark nach dem schwedischen Nationalgericht Surströmming, fauler Fisch in Dosen. 

Verantwortlich zeichnete sich „Kai Schlüter, ARD-Studio Stockholm“. Anders als etwa die Beiträge auf der ZDF-Website heute.de sind die Texte auf tagesschau.de nämlich häufig namentlich gekennzeichnet. Wer könnte etwas dagegen haben? Doch leider betrachtet die Redaktion die Namensnennung offenbar als einen Freibrief zum Verpanschen von Bericht und Kommentar. Lassen Sie es mich erklären: Jeder kennt aus Zeitungen den Satz „Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder“, nicht wahr? Das macht klar, dass es sich bei einem so gekennzeichneten Text um einen Beitrag handelt, der aus der Perspektive eines bestimmten Autors geschrieben ist. Diesen Satz findet man bei tagesschau.de nicht. Das heißt aber nicht, dass jeder Text, dessen Urheber namentlich genannt wird, ein (als solcher gekennzeichneter) Kommentar wäre. Die Rubrik des Kommentars gibt es bei tagesschau.de noch oben drauf. Sind die anderen namentlich gekennzeichneten Beiträge nun Berichte oder Kommentare? Es sind Zwitterformen. Auf Eindeutigkeit wird – offenbar absichtlich –verzichtet. Bewusste Ambiguität: Die Texte von tagesschau.de kommen oft als Berichte daher, doch beim Lesen fällt schnell auf, wie tendenziös sie sind. Anders als die Nachrichtenseite heute.de ist tagesschau.de eine Meinungsseite. Manchmal gilt das sogar schon für die Überschriften. So brachte tagesschau.de am 15. Februar 2020 mit Blick auf eine u.a. vom DGB angemeldete Demonstration in Erfurt auf der Hauptseite groß die Schlagzeile:

„Tausende demonstrieren gegen Rechtsruck“

Ob etwas ein „Rechtsruck“ ist, ist eine Interpretation, die ganz vom Standpunkt des Urteilenden abhängt. Doch das Wort „Rechtsruck“ war nicht in Anführungsstriche gesetzt, obwohl es eine Meinungsäußerung ist. Der Redakteur hätte ja auch schreiben können: „Tausende demonstrieren gegen angeblichen Rechtsruck“Das wäre korrekt gewesen. Doch bei tagesschau.de kann oder will man zwischen Meinungen und Tatsachen keine Unterscheidung treffen. Das ist eines der Grundprinzipien dieser Website. 

Manchmal sind die Meinungsäußerungen in den Texten ganz unverhohlen, manchmal werden Wörter wie „Beobachter“, „Kritiker“ und „Experten“ benutzt, um einen Anschein von Sachlichkeit zu erwecken. Oft handelt es sich dabei um nichts anderes als um anonyme Figuren, bloße Handpuppen, die die Meinung des jeweiligen Redakteurs wiederkaspern. Sehen wir uns einige Beispiele an.

Gute Windkraft, böse Kohle

Für die Expansion der Windkraftindustrie fährt tagesschau.de vor allem seit dem letzten Jahr eine regelrechte Kampagne. In zahlreichen Beiträgen wird beklagt, dass in Deutschland kaum noch neue Windkraftanlagen gebaut“ würden (gleichwohl verbreitet tagesschau.de die windige Behauptung: „Der Bedarf der deutschen Haushalte ließe sich schon jetzt damit [mit Windkraft; S.F.] decken.“). Diejenigen, die tagesschau.de für den angeblich dringend nötigen Bau weiterer Windkraftanlagen sprechen lässt, heißen stets Experten:

„Experten hatten davor gewarnt, dass pauschale Mindestabstände den Ausbau der Windkraft in Deutschland gefährden würden.“

„Experten“ fordern bei tagesschau.de auch, „dass der Solardeckel sofort abgeschafft wird“, wollen also noch mehr Steuergeld für Solaranlagen. Ganz unvoreingenommen sind diese „Experten“ offenbar nicht. Die EEG-Profiteure heißen auch „Solar- und Windkraft-Befürworter“. Ein ganz anderer Wind weht, wenn das Gespräch auf Kohle kommt. Wer den Standpunkt vertritt, dass Kohlekraftwerke für die deutsche Stromversorgung eine wichtige Rolle spielen, der gehört zu einer „Lobby“. Ob es komplementär dazu auch eine Lobby für Windkraft gibt? Nein, die wird von tagesschau.de als Denkfabrik bezeichnet, da gibt es etwa „die Denkfabrik Agora Energiewende“. 

Ein als Bericht getarnter Beitrag mit dem Titel „Streit um Windräder: Die Folgen von 1000 Meter Abstand [von Windkraftanlagen zu Siedlungen; S.F.]“ vom 16. November 2019 war eines von mehreren flammenden Plädoyers für noch mehr Windkraftanlagen in der Nähe von Wohnsiedlungen, die tageschau.de veröffentlichte.

Betroffene Anwohner kamen nicht zu Wort. Auch mögliche Gefahren für die menschliche Gesundheit wurden nicht zur Sprache gebracht. Die einzige „Befürchtung“, die erwähnt wurde, war die von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die „befürchtet, dass so das Ziel der Bundesregierung nicht erreicht werden könnte, bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 65 Prozent Ökostrom zu schaffen“. Die Hiobsbotschaft: Wissenschaftler hätten berechnet, „dass sich die verfügbare Fläche für Windräder um bis zu 40 Prozent reduzieren könnte“. In Sachsen „würden dann nur noch 37 Prozent der Gebiete für den Bau von Windkraftanlagen in Frage kommen.“ Aus Sicht des Redakteurs Sebastian Ostendorf schien darin eine ungeheure Tragik zu stecken. Während diejenigen, die mehr Steuergeld für Windkraft- und Solaranlagen wollen, immer etwas befürchten und vor etwas warnen – also offenbar ein dringendes Anliegen haben –, haben diejenigen, die meinen, dass Windräder in der Nähe von Wohngebieten nichts zu suchen haben, ihren Platz auf der Anklagebank – sie müssen sich „verteidigen“, wie in diesem Satz:

„Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat seine Pläne bisher mit dem Argument verteidigt, der Mindestabstand von Windrädern zu Siedlungen, würde für eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen.“

Das mag Ostendorf nicht so stehen lassen und zitiert als Schiedsrichter einen Windkraftlobbyisten:

„Doch bereits im Februar 2015 konnte die ‚Fachagentur Windenergie Land‘ in einer Analyse für das Bundeswirtschaftsministerium einen solchen Zusammenhang nicht bestätigen: ‚Die Aussage, mit steigendem Abstand nähme die Akzeptanz zu oder die Belästigung ab, lässt sich empirisch nicht stützen.'“

Hier endet der Artikel. Die Fachagentur Windenergie Land muss es ja wissen, sie sagt sicherlich nichts als die reine Wahrheit (schließlich gehört sie ja nicht zu irgendwelchen Lobbyisten) und hat darum das letzte Wort. Die Fachagentur Windenergie Land ist, wie der Name denken lässt, eine Lobbyorganisation, ihr ausdrücklicher Vereinszweck ist der „Ausbau der Windenergie an Land“. Den will auch tagesschau.de um jeden Preis und adelt das Papier der Windkraftlobbyisten zur „Analyse“. Das soll suggerieren, dass die Autoren in höheren akademischen Sphären schwebten und nur von wissenschaftlichem Interesse beseelt seien.

Einen Beitrag, in dem tagesschau.de sich einmal nicht hundertprozentig mit den Interessen der Windkraft- und Solaranlagenindustrie identifiziert, findet sich nicht. Obwohl die Windkraftindustrie nach Angaben der Bundesregierung in den letzten zwanzig Jahren weit über 100 Milliarden Euro an EEG-Umlage kassiert hat – rund 14 Milliarden werden es allein in diesem Jahr –, jammert tagesschau.de, „die Windenergiebranche“ werde „im Stich gelassen“. Diese Formulierung stand in einem „Kommentar“, aber es könnte ebenso gut einer der Pseudoberichte sein, denn Nachrichten sind bei tagesschau.de die Fortsetzung des Leitartikels mit anderen Mitteln. 

Amerikas Demokratie in Gefahr?

Ein besonders dämlicher Kommentar von tagesschau.de betrifft wieder einmal die USA. Zu einem Foto, das Demonstranten vor dem Zaun des Weißen Hauses zeigt, schreibt die Redaktion: 

„Zäune zum Schutz vor Demonstranten erinnern Beobachter an Proteste in autoritär geführten Ländern.“ 

Ah, die „Beobachter“ fühlen sich erinnert. Geht es dümmer? Der erste Zaun vor dem Weißen Haus – sagt das Internet – wurde vor über 200 Jahren von Präsident Thomas Jefferson errichtet, um zu verhindern, dass Vieh im Garten des Präsidentensitzes weidet. Auch unter Präsident Barack Obama und dessen Amtsvorgängern hatte das Weiße Haus selbstverständlich einen Zaun, in den ARD-Korrespondentenberichten aus Washington konnte man ihn ja oft gut erkennen. Das Bundeskanzleramt in Berlin hat ebenfalls einen Zaun, und wenn sich dort Demonstranten versammeln, dann kommt nie jemand auf die Idee zu sagen, der Zaun erinnere an „Proteste in autoritär geführten Ländern“. 

Das Foto illustriert einen Artikel mit dem Titel „Wie demokratisch sind die USA noch?“. Die Demokratieexperten von tagesschau.de bezeichnen darin das Mehrheitswahlrecht als ein „Problem“ „im Wahlsystem“. Auch „die Vorlage von Ausweispapieren als Bedingung, die Stimme abgeben zu dürfen“, ist laut tagesschau.de total undemokratisch. Warum, das wird nicht erklärt.

„Die derzeitige Protestwelle“ zeige zudem „Misstrauen in die staatlichen Institutionen und Unzufriedenheit mit der Demokratie“. Hat tagesschau.de das schon mal über eine Pegida-Demo geschrieben? Dass es für „diese Unzufriedenheit“ „offenkundig gute Gründe“ gebe, das „belegen“ laut tagesschau.de „internationale Demokratie-Indizes“: 

„In der Rangliste ‚Freiheit in der Welt‘ des US-Think-Tanks Freedom House fielen die USA seit 2009 von der Spitze um acht Punkte auf ein Niveau mit Griechenland, der Slowakei und Mauritius.“

Anders, als tagesschau.de es darstellt, ist der „Demokratie-Index“ natürlich subjektiv. Er ist nichts anderes als eine Meinungsäußerung desjenigen, der ihn erstellt hat und kein „Beleg“. Und was ehrenrührig daran sein soll, „auf ein(em) Niveau mit Griechenland, der Slowakei und Mauritius“ zu stehen, das sollte tagesschau.de bitte mal erklären. Wenn das nicht erklärt werden kann, dann ist es Chauvinismus. 

Ebenso unverhohlen ressentimentgeladen, ja: rassistisch, ist ein tagesschau.de-Bericht (wieder nichts, was als Kommentar gekennzeichnet wäre!) des Korrespondenten Torsten Teichmann vom Bayerischen Rundfunk:

„Nach dem Rückzug der Senatorin Warren steht fest: Auch nach der nächsten Präsidentschaftswahl wird wieder keine Frau im Oval Office sitzen. Stattdessen wird es wieder ein alter, weißer Mann.“

Das ist blanker Hass, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Dass niemand, der sich um ein politisches Amt bewirbt, wegen seiner Hautfarbe, seines Geschlechts oder seiner Senilität diskriminiert werden soll, ist offenkundig nichts, was Teichmann unterschreiben würde. Zudem stellt er die unbelegte These auf, dass Warren bei der Vorwahl der Demokraten benachteiligt worden wäre:

„Und noch etwas kommt hinzu: Auch in den USA werden Kandidatinnen immer noch für ihren öffentlichen gezeigten Ehrgeiz bestraft. Das bedeutet, als Warren im September 2019 im Feld der Kandidaten und Kandidatinnen die Führung übernahm, ging es im US-Fernsehen nicht mehr um ihre Pläne für einen Wandel in den USA. Es ging nur noch um die Frage, ob Warren denn auch sympathisch genug ist für US-Wähler.“

Unterziehen wir diese Behauptung einem Faktencheck: Hier ist ein Ausschnitt einer CNN-Debatte, in der Pete Buttigieg, einer von Warrens Gegenkandidaten, sie wegen ihrer Pläne einer Gesundheitsreform angreift. Vielleicht interessiert Teichmann sich ja auch für diesen Artikel der New York Times vom 1. Januar 2020, in dem steht, das Warren „seit Monaten“ von anderen Kandidaten wegen ihres Medicare for all-Plans „angegriffen“ werde, weswegen sie selbst am liebsten gar nicht mehr darüber rede:

„Nach monatelangen Angriffen anderer Kandidaten und Fragen und einigen Rückschlägen sowohl von Liberalen als auch von Gemäßigten ist der ehrgeizigste und teuerste von Frau Warrens vielen Plänen – und derjenige, der wohl das Leben der Wähler am meisten verändert – nur eine flüchtige Erwähnung in ihren Wahlkampfreden, der sie nur selten viele Worte widmet, wenn nicht ein Fragesteller sie darauf anspricht.“

Der Faktencheck ergibt: Die Behauptung ist falsch. Teichmann hat sich seine Nachricht aus den Fingern gesogen. Tagesschau.de hat allgemein einen lockeren Umgang mit Fakten, wie wir noch sehen werden. Nun könnte man sagen: Warum soll sich Herr Teichmann nicht darüber freuen, wenn zum ersten Mal in der Geschichte eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika würde? Er steht eben auf dominante Frauen. Gut – aber er sollte das von seinem Beruf trennen. Der Korrespondent einer halbstaatlichen deutschen Website sollte nicht seine Präferenzen als Nachricht verpacken und dabei auch noch offenkundig Unwahres über die Gründe des Scheiterns der Kandidatin verbreiten. 

Im Übrigen hat tagesschau.de zu der Frage von Frauen in der Politik ein rein instrumentelles Verhältnis. Oder glaubt irgendjemand, Teichmann oder einer der anderen Redakteure würde es begrüßen, wenn eine Frau wie Margret Thatcher US-Präsidentin würde? Es geht in Wahrheit um eine Partei, die nach dem Willen von tagesschau.de gewinnen soll. Teichmann sagt es selbst:

„Nach der Niederlage von Hillary Clinton in der Präsidentschaftswahl 2016 hatten viele gehofft, dass es 2020 einer Politikerin gelingt, Präsident Donald Trump zu schlagen.“

Es würde Teichmann also nicht freuen, wenn eine Republikanerin Trump nachfolgt – nein, nur der Politikerin, die Trump schlägt, drückt er die Daumen. Um es noch einmal zu sagen: Teichmanns Text ist kein Leitartikel in derFrankfurter Rundschau, sondern ein Korrespondentenbericht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. auf dessen Website. 

Kürzlich habe ich an dieser Stelle darüber geschrieben, wie tagesschau.de die Covid-19-Epidemie in den Vereinigten Staaten allein dem US-Präsidenten ankreidet, aber die Gouverneure (die in Wahrheit für das Gesundheitswesen und die öffentliche Ordnung in ihren Bundesstaaten verantwortlich sind) und Europas Regierungschefs von jeder Verantwortung freispricht – also mit zweierlei Maß misst. Mittlerweile gibt sich die Redaktion, was Präsident Trump betrifft, nicht einmal mehr die Mühe, irgendeinen Anschein von Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit zu erwecken. Im Hinblick auf Trumps vielfach kritisierten Besuch in der St. Johns-Kirche in Washington (die „Kirche der Präsidenten“ gegenüber dem Weißen Haus, die von jedem US-Präsidenten seit James Madison besucht wurde), auf die in der Nacht zuvor ein Brandanschlag verübt worden war, hieß es  auf tagesschau.de:

Selbstverständlich könnte man sich als europäischer Journalist jetzt cool und altklug zurücklehnen und abgeklärt diese Vorgänge den Menschen zu Hause erklären. Das geht aber mittlerweile nicht mehr. Was Trump da macht, ist schlicht widerlich.“

Argumente? Fehlanzeige. So sehr ist die Redaktion sicher, dass sie gar nichts erklären muss, weil die Leser ja (so scheint sie zu glauben) ohnehin auf der gleichen Wellenlänge sind und – angeblich – nichts anderes wollen, als ihre Meinung bestätigt sehen. Während der amerikanische Präsident aus Sicht der Redaktion von tageschau.de„widerlich“ ist, nennt sie den iranischen Regierungschef Ajatollah Rouhani einen Hoffnungsträger

Bolivien: Präsidentin unerwünscht

Ein Vergleich mit einem Bericht zur Lage in Bolivien zeigt, dass tagesschau.de sich in Wahrheit gar nicht über eine Frau an der Spitze eines Staates freut. Am 25. Januar 2020 veröffentlichte tagesschau.de einen Beitrag mit dem Titel „Wohin steuert Bolivien?“. Er stammte von Marie-Kristin Boese vom SWR. Der erste Begriff, den Boese benutzt, um Boliviens Übergangspräsidentin Jeanine Añez zu beschreiben, ist „Putschistin“. Weil Boese gar nicht vorhat, irgendwelche Belege für die Behauptung beizubringen, legt sie das Wort ungenannten politischen Gegnern der Präsidentin in den Mund, sogenannten „Kritikern“ eben:

„‚Putschistin‘ nennen Kritiker die 52-Jährige, etwa aus der linksgerichteten MAS-Partei von Evo Morales.“

Das Wort bleibt beim Leser hängen, und dass soll es ja auch. Was dann kommt, ist ein Beispiel für Verleumdung und Schmierenjournalismus:

„Añez ist Juristin und gehört zu Boliviens weißer Wirtschaftselite, die teils voller Verachtung auf die indigene Bevölkerungsmehrheit blickt.“

Lügen, Rassismus und das Verkleiden von Vorurteilen als Nachricht – in dem zitierten Satz kommt vieles von dem zusammen, was tagesschau.de ausmacht. Da ist zunächst einmal die Behauptung, Boliviens weiße Bevölkerung sei reich („Wirtschafselite“). Ebenso gut könnte tagesschau.de schreiben, die Schwarzen in den USA seien hochbezahlte Basketballer. Boliviens Präsidentin Jeanine Añez ist die Tochter eines Lehrers und einer Lehrerin und wuchs mit sechs Geschwistern in dem ärmlichen Dorf San Joaquin unweit des Amazonas auf. Von weißer Wirtschaftselite keine Spur. Das hat Boese offenbar einfach aus der Hautfarbe abgeleitet: Weiß gleich reich. Aus ihrem ersten Vorurteil leitet Boese sodann das zweite ab: Boliviens „weiße Wirtschaftselite“ blicke „teils voller Verachtung auf die indigene Bevölkerungsmehrheit“. Und Añez gehört ihr an, muss also wohl irgendwie mit Rassismus infiziert sein? Das nennt man guilt by association, Kontaktschuld. Erst konstruiert Boese die „weiße Wirtschaftselite“, dann unterstellt sie den Weißen, „voller Verachtung auf die indigene Bevölkerungsmehrheit“ zu blicken. Dass sie das durch ein „teils“ einschränkt, macht es nicht besser. Wie wäre das, wenn man schreiben würde, der Bürgermeister von Edinburgh gehöre den Schotten an, die „teils sehr geizig“ sind? Oder wenn in den biografischen Angaben zu einem ARD-Korrespondenten stände, er komme aus einer Familie von Leuten, die nicht einparken können? Nie würde tagesschau.de über, sagen wir: Hillary Clinton oder Emmanuel Macron schreiben, dass sie einer „weißen Wirtschaftselite“ angehörten. Es ist einerseits Ressentiment gegenüber einer Politikerin, die mutmaßlich keine Linke ist, andererseits offenbar chauvinistische Verachtung gegenüber der Präsidentin eines Dritte-Welt-Lands, die Boese zu solchen Entgleisungen bringt.

Was Boese und tagesschau.de betreiben, ist üble Nachrede. Allein wegen ihrer hellen Hautfarbe wird die bolivianische Präsidentin mit Schmutz beworfen. Bei keinem europäischen Regierungschef – etwa der deutschen Bundeskanzlerin – würde tagesschau.de das tun. Von Freude darüber, dass eine Frau Präsidentin Boliviens ist – die offenbar nicht für „für ihren öffentlichen gezeigten Ehrgeiz bestraft“ wird“ –, keine Spur. Es ist eben die falsche Frau: keine Sozialistin wie Warren, sondern eine Christin.

Afrikas Christen zählen nicht

So, wie Frauen in der Politik für tagesschau.de nur dann gut sind, wenn es sich um Linke handelt, so sind ermordete Schwarze ebenfalls nur dann von Interesse, wenn sie sich in den gewünschten Zusammenhang stellen lassen – wenn man sie also bespielsweise als Propagandamittel gegen die USA benutzen kann. Über die Black Lives Matter-Demonstrationen berichtet tagesschau.de seit Wochen ausführlich. Aber schwarze Leben zählen wenig, wenn es die von Christen in Afrika sind. Vor einigen Tagen meldete Achgut unter Berufung auf die österreichische Kleine Zeitung: „Bei zwei Angriffen im Nordosten Nigerias haben Islamisten Augenzeugen zufolge mehr als 60 Menschen getötet.“ Wo ist die entsprechende Meldung auf tagesschau.de? Es gibt sie nicht. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen – wie etwa bei den Bombenanschlägen in Sri Lanka im letzten Jahr – berichtet tagesschau.de über Massaker und Völkermorde an Christen. Dass in Nigeria seit 2009 mehr als 32.000 Christen ermordet wurden (mehr als 600 allein in diesem Jahr), wüsste man nicht, wenn man sich nur über tagesschau.de informieren würde. Warum zählen die Leben dieser Schwarzen nicht? Weil es die Falschen sind, die falschen Opfer und die falschen Täter?

Israel und der Iran

Auch andere über andere Themen hüllt tagesschau.de den Mantel des Schweigens. Seit anderthalb Jahren schicken Terroristen aus dem Gazastreifen Ballons mit Brandsätzen nach Israel, die großflächig die Felder von Bauern verbrannt, Flora und Fauna zerstört haben. Andere bunte Ballons sind mit Sprengsätzen versehen, die explodieren sollen, wenn ein israelisches Kind sie aufhebt. Hat tagesschau.de je darüber berichtet? Nein. Dafür kam aber ausgerechnet an Heiligabend ein Beitrag mit dem Titel „Bethlehem, die eingezwängte Stadt.“ Die Palästinenser wurden darin als ein Volk ohne Raum dargestellt. In Bethlehem – jener Stadt, die von König Rehoboam, dem Sohn Salomons und König von Juda, gegründet wurde und in der David und Jesus geboren wurde – lebt heute kein einziger Jude mehr. Aus Sicht von tagesschau.de-Autor Tim Aßmann ist das nicht erwähnenswert. Was ihn umtreibt, sind die gefräßigen Juden in Bethlehems Umgebung:

„Von drei Seiten fressen sich die Siedlungen immer näher an die palästinensische Stadt und ihre Nachbardörfer heran, an der vierten Seite begrenzt die israelische Sperrmauer das Gebiet. Die Folge ist, dass die palästinensischen Kommunen, eingezwängt zwischen Siedlungen, den Verbindungsstraßen und der Mauer, keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr haben.“

Erwähnt werden in dem Text „Grenzübergänge“, eine „Sperrmauer“ und eine „acht Meter hohe Betonwand“. Wozu sie dienen, weiß kein Mensch, jedenfalls nicht, wenn er Tim Aßmann heißt und für tagesschau.de schreibt. Mordanschläge auf Israelis gibt es für tagesschau.de nicht. Das also war die Weihnachtsbotschaft von tagesschau.de: Böse Juden nehmen Kurs auf Bethlehem. Dass zur selben Zeit, an Weihnachten, in Nigeria Christen geköpft wurden, war wiederum keine Nachricht.

So gut wie gar nicht informierte tagesschau.de auch über die Massenproteste im Iran vom letzten Herbst. In einem Kommentar hieß es sogar, Unterstützung aus dem Ausland sei für die Iraner „Gift“; das Ausland müsse sich da völlig „raushalten“. Das war Propaganda im Sinne des Ajatollah-Regimes. Über die Beerdigung des iranischen Terror-Generals Kassem Soleimani hat tagesschau.de übrigens dann wieder groß berichtet („Zehntausende bei Trauerzug für Soleimani“).

Man liest auf tagesschau.de kaum je ein Wort der Kritik am iranischen Regime. Nicht an der Hinrichtung von Homosexuellen, nicht an all den anderen Morden und der Folter. Es gab im November 2019 nur zwei oder drei tagesschau.de-Berichte über die Proteste im Iran (auf die das Regime mit Massenverhaftungen und Tötungen reagierte), und sie waren kurz und oberflächlich. Man merkte, dass das kein Thema ist, über das die Redaktion gern schreibt. Und als tagesschau.de am 5. Juni 2020 berichtete: „Iran verletzt alle Atom-Auflagen“ – wer war da schuld? Ganz bestimmt nicht die Ajatollahs. Sie müssen Atombomben bauen, 

„weil die EU ihr Versprechen nicht erfüllen konnte, die wirtschaftlichen Folgen der US-Sanktionen aufzufangen“.

Aha. Meine Kollegen von MENA Watch haben noch diesen Edelstein zutage gefördert. Für einen Artikel, der davon handelt, dass der Palästinensische Islamische Jihad die Waffenruhe gebrochen und Israel mit Raketen beschossen hat, worauf Israel dann reagierte, wählte tagesschau.de die Schlagzeile: 

„Ungeachtet einer Waffenruhe hat Israel am Freitag erneut Stellungen der Palästinensermiliz Islamischer Dschihad im Gazastreifen bombardiert.“

Hofberichterstattung bei den Grünen

Statt angemessen über die Lage im Iran zu berichten, pflasterte tagesschau.de zu dieser Zeit die Seite mit zahllosen Beiträgen über den Bundesparteitag der Grünen zu. Es war Jubelpropaganda. tagesschau.de schwelgte in einer Begeisterung, die wirkte, als schriebe das Neue Deutschland über den XX. Parteitag der SED:

„Wir sind eine große Partei, die alle Themen abdecken kann, das war die Botschaft aller Reden nach außen, das Leitmotiv nach innen war: Einheit und Zusammenhalt.“

Oder:

„Selbstbewusst, machtbewusst, diszipliniert: Auf ihrem Parteitag präsentieren sich die Grünen regierungstauglich. … Die Grünen bereiten sich auf die Regierungsbeteiligung vor, den Führungsanspruch haben sie auf diesem Parteitag deutlich gemacht.“

Im tagesschau.de-Interview wurden der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock Softbälle zugespielt wie:

„Wenn Klimaschutz konkret wird und beginnt weh zu tun, dann gehen auch die Umfragewerte leicht zurück. Wie wollen Sie diese Gratwanderung hinbekommen?“

Oder:

„Sie werden jetzt zucken bei der K-Frage und Sie werden sagen, die stellt sich im Moment noch nicht. Aber wenn sie sich stellt, wann immer das ist, werden Sie dann zupacken?“

Stellte die Interviewerin Tina Hassel doch mal eine ganz leicht kritische Frage, dann distanzierte sie sich sogleich von dieser Majestätsbeleidigung, indem sie sie anderen in den Mund schob:

Die FDP sagt schon, Sie zeichnen lauter linke Wunschschlösser und das sei unverantwortlich in Zeiten, in denen es jetzt möglicherweise in die Rezession geht.

Oder:

Jetzt sagen Herr Dobrindt und die CSU, mit den Grünen koalieren wir nicht, denn letztlich seien die eine Melone, außen grün, innen rot. Was sagen Sie?“

Häufig braucht tagesschau.de nur eine einzige ideologisierte Vokabel zu benutzen, um die Leser zu manipulieren – Framing nennt man das heutzutage. So ist die christdemokratische Werteunion für tagesschau.de ultrakonservativ. Ist von Konservativen in den USA die Rede, werden diese gern als erzkonservativ bezeichnet. „Erzgrüne“ oder „Ultrasozialisten“ hingegen existieren im Wortschatz von tagesschau.de nicht. 

Fazit

Halten wie fest: Gut sind aus Sicht von tagesschau.de: Die Grünen, Windkraft und Solaranlagen und das iranische Regime. Schlecht sind: Die USA und Präsident Trump, Kohlekraftwerke, Israel, Christen und Konservative. Was wäre aus Sicht von tagesschau.de die Hölle auf Erden? Die Gesellschaft amerikanischer konservativer Christen, die das iranische Folter- und Mordregime schlimmer finden als das Kraftwerk Datteln. tagesschau.de ist eine Art öffentlich-rechtliche Taz. Ich habe nichts gegen die Taz. Sie stört mich nicht mehr als, sagen wir: das Ozonloch. Der Unterschied zwischen der Taz und tagesschau.de ist indessen, dass das Abonnieren der Taz bislang noch freiwillig ist.

 

Zuerst erschienen auf der Achse des Guten.


Autor: Stefan Frank
Bild Quelle:


Montag, 22 Juni 2020

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