Noch mehr Transparenz wagen!

Noch mehr Transparenz wagen!


Wenn inzwischen sogar der stets um Maß und Mitte bemühte Theo Koll in einem Kommentar zum letzten Treffen des Corona-Kabinetts sagt, er komme sich vor wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, dann muss etwas schiefgelaufen sein, gründlich schiefgelaufen, ohne jeden Anflug von deutscher Flexibilität.

Noch mehr Transparenz wagen!

Von Henrk M. Broder

Mich haben die Berichte über das letzte Marathon-Treffen im Kanzleramt an einen anderen Film erinnert, den „Untergang“ von Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel. Er spielt in den letzten Tagen des Krieges im Berliner Führerbunker und zeigt die NS-Größen am Rande eines kollektiven Nervenzusammenbruchs, aber immer noch fest überzeugt vom bevorstehenden Endsieg. Mir ist klar, dass ich mich mit diesem Vergleich auf dünnes Eis begebe. Und ich bitte im Voraus um Verzeihung, sollte sich jemand verletzt fühlen. Aber ich kann nichts dafür, ich habe meine Assoziationen derzeit ebenso wenig unter Kontrolle wie die Kanzlerin das Corona-Virus.

Es geht nicht mehr um die richtige „Strategie“, um „Perspektiven“, „Erleichterungen“, „Inzidenzen“, „AHA-Regeln“, „Ausnahmen“, „Paradigmenwechsel“, „Notbremsen“, das „Licht am Ende des Tunnels“ und zuletzt ein „kontaktarmes Verreisen“. Es geht um das, was eine Demokratie ausmacht: Vertrauen und Transparenz.

Das Volk reibt sich die Augen

Die Regierung spielt mit dem Volk „Versuch und Irrtum“, während das Volk, dem schon Tucholsky bescheinigte, dass es „das meiste falsch (versteht), aber das meiste richtig (fühlt)“, sich verwundert die Augen reibt. Die wievielte Ministerpräsidenten-Konferenz mit der Kanzlerin war das eigentlich? Und warum wollen die sich in 14 Tagen wiedertreffen? Um die Beschlüsse zu erneuern, die sie schon vor 14 Tagen festgeschrieben haben?

Will man das Vertrauen der Menschen draußen im Land in die Politik wiederherstellen, hilft nur eines: Radikale Transparenz. Die Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten müssen live übertragen werden, auf 3sat oder Phoenix, ungeschnitten und in Echtzeit. Ich möchte sehen, wie die Kanzlerin die Sitzungen moderiert, wie Bodo Ramelow auf seinem Smartphone „Candy Crush“ spielt und wie Reiner Haseloff Nonsens twittert; wie Michael Müller mit seiner Krawatte die Brille putzt, Markus Söder seine Notizen ordnet, Jens Spahn in einen Duplo-Riegel beißt und Peter Altmaier Suppe löffelt.

Das Kanzleramt entsprechend zu verkabeln, dürfte kein Problem sein. Bei RTL weiß man, wie so etwas geht. Am Ende einer jeden Sitzung sollte es keine Pressekonferenz geben, sondern ein Call-In, an dem jeder und jede teilnehmen kann. 

Das wäre gelebte Demokratie. Bürgernah, kontaktarm und preiswert.


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: Bundesregierung/Kugler


Donnerstag, 25 März 2021