Je später, umso blauer

Je später, umso blauer


Vor ein paar Tagen hat das ZDF - „Mit dem Zweiten sieht man besser“ - bekannt gegeben, es werde seine Nachrichtensendungen in einer neuen Form präsentieren.

Je später, umso blauer

Von Henryk M. Broder

Mit dem „Relaunch“ wolle man „gebündelte Informationskompetenz, optimierte Virtualität und modernisierte Studioausstattung“ miteinander verbinden.

Wer die Sprache kennt, mit der die öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten Anstalten über sich selbst berichten, weiß, was Adjektive wie „gebündelt“, „optimiert“ und „modernisiert“ bedeuten, vor allem, wenn sie als Cluster auftreten: Alles und nichts. 

Man nennt das Verfahren der Verschleierung durch Blasenbildung „Framing“. Statt „Wir steuern auf eine Krise zu“, sagt man „Wir stehen vor einer großen Herausforderung“, das hört sich gleich viel besser an. 

Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin und Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Aktuelles, kündigt die Inbetriebnahme eines neuen Studios an, aus dem heraus man „kompakter und konzentrierter“ berichten werde. Für ihren Vorgesetzten, Chefredakteur Peter Frey, gilt das offenbar nicht. Er darf wie bisher weiter mäandern: „Mit dem Relaunch stärken wir die Erklär-Kompetenz unserer Nachrichtensendungen und rücken unsere Moderatorinnen und Moderatoren klarer in den Fokus… Unser neues Studio dient dazu, die Anchors und ihre Interaktion mit Studiogästen und zugeschalteten Interviewpartnern zu stützen.“ 

Die Moderatoren und Moderatorinnen, kündigt Frey an, würden an „einem Nachrichtentisch aus Nussbaumholz in geschwungener L-Form“ stehen, „Gespräche mit Gästen und Expert*innen im Studio können über Eck“ geführt werden. Weiteres wichtiges Detail des Relaunch: „Blau soll die bestimmende Sendungsfarbe bleiben, je später die Sendung, desto dunkler der Farbton.“

Das also ist des Pudels Kern, wenn nicht bereits das Ei des Kolumbus, mit dem man entfremdete Zuschauer zurückholen will: Ein Nachrichtentisch aus edlem Nussbaumholz in geschwungener L-Form und eine der Tageszeit angepasste blaue Studiobeleuchtung. 

Wie lange haben die Relaunch-Experten des ZDF an diesem Konzept gearbeitet? Wie viele externe Berater mussten dazugezogen werden? Ginge es vielleicht noch kompakter und noch konzentrierter, wenn man die Nachrichten live aus der ZDF-Kantine senden würde?

Oder aus dem Amtssitz der grünen Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner? Die hat eben einen „Leitfaden“ für eine „geschlechtergerechte Sprache“ auf den Weg gebracht, eine Handreichung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung, die der Tatsache Rechnung tragen soll, dass die Stadt Bonn sich für „eine gerechte, respektvolle und diskriminierungsfreie Sprache einsetzt“ – in „der internen und externen Kommunikation“. 

Irgendwie ist man bis jetzt ohne einen solchen „Leitfaden“ ausgekommen. Soweit bekannt, hat es weder Protestaktionen vor dem Rathaus gegeben noch wurden wichtige Kreuzungen besetzt, weil sich Kunden oder Bedienstete der Stadtverwaltung ungerecht, respektlos und diskriminierend angesprochen fühlten. Aber das mag eine Frage der Sensibilität sein, die erst hergestellt werden muss, bevor in der internen wie externen Kommunikation die „geschlechtergerechte Sprache“ zur Norm wird. 

Weil sich „manche Menschen dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuordnen, manche nicht“, erklärt die Bonner Oberbürgermeisterin, dürfe „die Sprache der Stadtverwaltung nicht Teile der Bevölkerung ausschließen“. Vielmehr müsse die Stadt „eine Orientierung geben für eine Sprache, die alle Menschen einbezieht“. Die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ würde zwar „weiter zugelassen“, besser wäre es aber „Sehr geehrte Anwesende“ oder „Sehr geehrtes Publikum“ zu sagen. Zu den „Formulierungen, die nicht mehr verwendet werden sollen“, gehören „Rednerliste“, „Fahrzeughalter“, „Vollmachtgeber“ und „Zugang für Rollstuhlfahrer“. Als Ersatz werden empfohlen: „Redeliste“, „fahrzeughaltende“ bzw. „vollmacht-gebende Person“ und „rollstuhlgerechter Zugang“. 

Das ist der „Neusprech“, den George Orwell in seinem Roman 1984 vorhergesehen hat. Eine Dystopie wird wahr, nur dass sie dieses Mal nicht von einem totalitären Regime in die Tat umgesetzt wird, sondern von Freunden der Inklusion und Integration. Also von den Guten oder, wie man inzwischen sagen muss, den Gutmeinenden, Wesen, die nicht als Mann oder Frau sondern als „Person“ angesprochen werden möchten.

Alles andere wäre ungerecht, respektlos und diskriminierend.                       

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: PantheraLeo1359531, CC BY 4.0 , via Wikimedia Commons


Sonntag, 18 Juli 2021

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