Das Psychogramm eines Täters

Das Psychogramm eines Täters


Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau durch einen rechtsextremistischen Terrorakt neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Die Tat sorgte bundesweit für eine Welle der Bestürzung.

Das Psychogramm eines Täters

Von Shaul Lazarus

Anfang des Jahres kam es zu einem Aufschrei gegen den Film des Regisseurs Dr. Uwe Boll über das Attentat:  Angehörige der Opfer, Presse und vorne dran der Bürgermeister von Hanau starteten eine bundesweit einmalige Kampagne gegen den Filmemacher.

Die Welle der öffentlichen Empörung ist mittlerweile etwas abgeflacht und bei genauerem Hinsehen kann man nicht Nachvollziehen wieso es zum Kreuzzug gegen den Filmemacher kam. Politikwissenschaftler Florian Hartleb im Gegenzug bescheinigt Boll große Verdienste, dass er sich ganz offenbar tief in die Materie eingearbeitet hat, mit einem Ergebnis, das erschaudern lässt, aber eben auch das Phänomen verständlich macht – das Phänomen des „Lonely Wolfs“, des einsamen Wolfes. So werden Attentäter, Terroristen bezeichnet, die nicht einer Zelle angehören, sondern sich selbst radikalisieren und fanatisieren.

Aber vielleicht ist das der springende Punkt: einige Hinterbliebene glauben, dass das Attentat nicht die Tat des Einzeltäters Tobias Rathjens, sondern eine Verschwörung ist, in der Bundesbehörden involviert sind.

Der Film aber zeigt, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, der an paranoid-halluzinatorische Schizophrenie und einer narzisstische Persönlichkeitsstörung  leidet. Auch die Ermittlungsbehörden kamen zu diesem Ergebnis.

Natürlich kam es zu einem Behördenversagen: der Täter wurde wegen Wahnvorstellungen stationär behandelt, war seit langem auffällig und trotzdem durfte er Waffen besitzen. Hinzu kommt, dass der Notruf in jener Nacht nicht ausreichend funktionierte. Anrufe, die während des Amoklaufs bei der Hanauer Polizei eingingen, wurden nicht automatisch in eine zentrale Leitstelle weitergeleitet – weil das System veraltet war. Doch auch hier muss man differenzieren: ein klägliches Behördenversagen ist keine großangelegte Konspiration.

 

Vorneweg: der Verlust eines Familienmitgliedes, eines geliebten Menschen ist grauenvoll. Man ist wie paralysiert, man fällt in ein dunkles Loch, umso mehr, wenn es sich um eine Gewalttat handelt.

Es bring wenig Linderung und es stillt nicht den tiefen Schmerz, wenn der Mörder hinter Schloss und Riegel sitzt und der Gerechtigkeit genüge getan wurde.

 

Doch einige Fragen, betreffend der Opferfamilien wirft es trotzdem auf.

Armin Kurtović ist ein entschiedener Gegner des Boll-Films und drohte den Filmschaffenden zu verklagen. Umso erstaunlicher war es, dass der Vater des ermordeten Hamza Kurtović zusammen mit einem weiteren Sohn in der youtube- Kochshow „BeastKitchen“ auftrat und beim Kochen über den Anschlag erzählt. Auch Arafat Abou-Chaker, der als „Führungsfigur“ des Abou-Chaker-Clans gilt, war zu Gast in dieser Kochshow.

 

Niculescu Păun, Vater von Opfer Vili-Viorel Păun erklärte, wie er seit dem 19.Februar 2020, dem Tag des Anschlages mit dem Versorgungsamt kämpfen muss:

„Ich führe so viele Kämpfe: ich muss für die Aufklärung kämpfen von Vili’s Tod. Für die Gesundheit meiner Frau. Und dann muss ich mich auch noch um so viel Bürokratie kümmern. Erst haben wir zumindest noch Krankengeld bekommen. Seit August kriegen meine Frau und ich auch kein Krankengeld mehr. Wir können beide nicht mehr arbeiten. Bis heute ist nicht klar, wer jetzt für uns zuständig ist. Seit August bekommt meine Frau, die Mutter von Vili, keinerlei Geld mehr.

Wir haben mit allen politisch Verantwortlichen geredet: Steinmeier, Bouffier, Fünfsinn – alle sagen das Versorgungsamt ist zuständig für die Versorgung der Familien. Keiner entscheidet über die Kosten für unseren Lebensunterhalt und auch nicht über die Reha. Keiner will für uns zuständig sein. Aber bis heute (600 Tage nach der Tat) ist vom Versorgungsamt nichts entschieden worden. So wissen wir bis heute nicht, wer zuständig ist für uns! Die Politiker nehmen sich Zeit für öffentliche Stellungnahmen. Alle sagen, dass es wichtig ist, dass wir Hilfe bekommen. Aber wieso brauchen sie so lange, um einfach ihre Arbeit zu tun?

Wir haben vielmals gefragt, was wir machen sollen, wenn das Krankengeld ausläuft – und wir haben uns schon Monate vorher mit der Bürokratie und allem beschäftigt, aber bis heute schieben die Behörden die Verantwortung hin und her.

Es ist genug. Wie lange wollen sie noch warten und die Verantwortung hin und her schieben?”

 

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Herr Păun und seine Frau offensichtlich auf lebenslange Versorgung durch den Staat hoffen, was eigentlich nur als sehr eigenwillige Forderung zu bezeichnen wäre. Es gibt nämlich kein Gesetz, das besagt, wenn irgendjemand durch den Verlust eines Familienangehörigen für immer arbeitsunfähig wird, dass er dann vom Staat dafür kompensiert wird.  Wenn Direktbetroffene eines Anschlags, also z.B. Verletzte, dauerhaft arbeitsunfähig werden, muss natürlich der Staat helfen. Eine lebenslange Bezahlung durch den Staat zu fordern, weil der Sohn erschossen wurde, so schmerzlich es klingt, ist gelinde gesagt schon erstaunlich.

Viele Menschen weltweit verlieren Familienangehörige durch Kriege, Terroranschläge und Naturkatastrophen. Im Sommer haben bei den Fluten im Ahrtal Menschen gesehen wie ihre Angehörige vor ihren Augen ertrunken sind. Diese Menschen bauen jetzt ihre Häuser wieder auf und so hart es ist, gehen arbeiten und setzen ihr Leben fort.

Das würde man auch den Opferfamilien von HANAU wünschen, denn es bringt auch den Opfern nichts, wenn ihre Familien nicht ihr Leben weiterleben und stattdessen jahrzehntelang trauern. Man wünscht diesen Hinterbliebenen von ganzem Herzen, dass sie zumindest einigermaßen Seelenfrieden finden. 

 

Zum Schluss ein Vergleich: Überlebende Juden kamen nur nach langwierigen Antragsverfahren in den Genuss einer kleinen Rente, wenn sie denn überhaupt bewilligt wurde. Es gibt nur Schätzungen, und auch die sind umstritten. In Deutschland spricht man von »rund einer Million«, bei einer Gesamtzahl von 1,5 Millionen Antragstellern. Die Untersuchungen von Raul Teitelbaum zeigten, dass diese Angaben nicht der Realität entsprechen, und dass nicht viel mehr als 650.000 Überlebende entschädigt wurden. Nur 20% der geraubten Werte wurden ersetzt. Ein Holocaustüberlebender erhält etwa 150 Euro im Monat an Rente.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Martin Kania, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons


Dienstag, 09 November 2021

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