Nur weil ich schwarz bin!

Nur weil ich schwarz bin!


Es ist 2022, und so kann sich auch Thilo Schneider als Person of Color definieren - endlich!

Nur weil ich schwarz bin!

Von Thilo Schneider

Begonnen hatte es ganz harmlos. Ich hatte die volle Kaffeetasse in der Hand, als der Henkel abbrach und sich Kaffee und Scherben über den Küchenboden verteilten. Aufgeschreckt von dem Knall, erhob sich der Schatz von der gemeinsamen Schlafstatt und stand in Shirt und Slip in der Küche. „Was ist los? Ist dir was passiert?“, wollte er wissen. Ich zeigte ihm den traurigen Henkel ohne Tasse. „Nein, nein, der Henkel ist abgebrochen, das ist alles!“ „Na, dann besorge dir einen Putzlumpen und einen Besen und mache es weg“, befahl der Schatz und wollte sich umdrehen und, weiß der Teufel, was mich geritten hatte, ich antwortete: „Das sagst du nur, weil ich schwarz bin!“ Der Schatz hielt in der Bewegung inne, kniff die Augen zu und stellte die Frage: „Was? Was hast du eben gesagt?“ Die Küchenuhr tickte leise in die zwei Sekunden Stille.

„Das sagst du nur, weil ich schwarz bin!“, antwortete ich, merklich leiser als vorher. Sie drehte sich wieder zu mir um: „Du bist schwarz“, stellte sie fest. Ja, das war ein guter Anfang. Ich musste das jetzt nur durchziehen. „Ja, ich bin schwarz, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.“, stellte ich fest. „Du bist behämmert!“, sagte sie, „aber nicht schwarz!“ „Woher willst du das wissen?“, fragte ich. „Das sehe ich: Ich habe Augen im Kopf. Deine Haut ist BESTENFALLS dunkelrosa oder ganz, ganz, ganz hellbraun. Du bist sowas von weiß.“ Aha. So war das also. Sie machte meine Hautfarbe an meiner Hautfarbe fest! 

Mein Schatz, die Rassistin

Das hätte vielleicht noch 2010 funktioniert, aber nicht mehr 2022. „Ich bin schwarz“, insistierte ich, „wir haben das Jahr 2022, wenn ich mich als Person of Color identifiziere, dann ist das mein gutes Recht!“ „Du kannst nicht schwarz sein, deine Haut ist weiß!“, gab sie patzig zurück, die Rassistin. „Sehr wohl kann ich schwarz sein. Wichtig ist nicht meine Hautfarbe, sondern wie ich mich fühle. Und ich habe es satt, von weißen Frauen wie dir terrorisiert zu werden. Check deine Privilegien!“, donnerte ich ihr ein argumentatives Brett vor die Füße. „Verarschst du mich? Du? Der seinen Stammbaum bis Sechzehnhundertschlagmichtot zurückverfolgt hat? Du, der du schon immer Schneider heißt, dessen Vorfahren irgendwo aus der hessischen Einöde kamen, was zwar um 1600 als Urwald durchging, heute aber Brachland ist?“ „Urwald, soso… Da haben wir es schon! Wichtig ist nicht, was ist, sondern wie ich selbst mich identifiziere. Ich bin ein Schwarzer, ein BiPoC, eine Person of Color, my life matters, so sieht das aus, und die Zeiten, als Ihr weißen Kolonialfrauen uns Vorschriften gemacht habt, sind LANGE vorbei, Missus Schatz!“

„Du begehst kulturelle Aneignung, du bist nicht schwarz, du fauler Sack!“, schleuderte sie mir entgegen. Oha, sie versuchte, den Spieß umzudrehen! Jetzt wurde es kritisch! „Meine Hautfarbe hat nichts mit kultureller Aneignung zu tun, sondern damit, wie ich mich fühle. Willst du mir meine Gefühle absprechen? Willst du mir meine Existenzberechtigung absprechen?“, zog ich die Daumenschrauben an und warf noch ein „… diese Art des Absprechens von Gefühlen hatten wir in Deutschland schon mal, das Ergebnis ist bekannt!“ hinterher. Und bevor sie Luft holen konnte, zog ich das ganz große Register: „Mir meine Hautfarbe abzusprechen, ist nichts anderes als Rassismus.“

Don't assume my gender!

Sie sah mich an wie damals den Hund, als er in den Flur gekackt hatte: „Du - bist - nicht - schwarz! Egal, was du sagst oder tust oder was du behauptest: Du bist so weiß wie ein Stück Ziegenkäse, das die Nacht außerhalb des Kühlschranks verbracht hat. Völlig egal, was du dabei fühlst!“ „Meine Gefühle sind dir also völlig egal“, jammerte ich, und sie setzte ein trockenes „Ja, exakt, so ist es“ entgegen. Soso. Dem Schatz, den ich geheiratet hatte, ohne zu wissen, dass er eine glasharte Rassistin ist, waren also meine Gefühle egal. „Genau diese Einstellung ist es, die zu unserer permanenten Benachteiligung führt“, führte ich die permanente Benachteiligung ins Feld. Sie gab nicht auf. „Du bist aber nicht benachteiligt. Du bist ein alter weißer Mann.“ „Ach, ja? Und das weißt du woher?“, hakte ich nach. „Weil du weiß bist, das sehe ich doch!“, gab sie Auskunft über ihr Sehvermögen. „Ich meine nicht meine Hautfarbe. Woher willst du wissen, dass ich alt und ein Mann bin?“, konkretisierte ich meine Frage.

Der Schatz hob flehend seine Hände gen Himmel, um eine imaginäre Macht anzurufen und einen Blitzschlag auf mich herab zu beschwören. „Oh, Himmel hilf“, sprach sie die Zauberworte, „Dein verdammtes Geburtsdatum steht in deinem verdammten Personalausweis und dein Dingdong habe ich mehr als einmal gesehen, du Spinner.“ „Und wenn ich als junge, schwarze Frau gelesen werden will, was dann?“, hämmerte ich ihr in die Parade. „Dann ist das sexuelle Aneignung, oh, Freund meiner Lenden“, schoss sie zurück und packte mich am Arm. Sie zerrte mich ins Schlafzimmer vor den Spiegel und warf ihren BH von dem berühmten Schlafzimmerstuhl (das ist der einzige Existenzzweck eines Stuhls im Schlafzimmer) aufs Bett. „Da! Anziehen, Missus Schneider!“, fordert sie mich mit leichtem Südstaatenakzent auf. „Das ist lächerlich“, wandte ich ein. „Warum?“, fauchte sie zurück, „Du bist doch eine schwarze junge Frau? Also: Anziehen!“ „Nein“, weigerte ich mich, „der ist zu groß! Der passt nicht!“ „Dann identifiziere dich als schwarze junge Frau mit Doppel-D, Du Blödma … Du Blödfrau.“, hebelte sie mich aus.

Anders lesen lassen

Dagegen war schlecht anzukommen. „Wenn ich dafür die Sauerei in der Küche nicht wegmachen muss, dann mache ich’s“, schlug ich als Kompromiss vor. „Doch, den Dreck machst du trotzdem weg. Ob du den als alter weißer Mann oder als junge schwarze Frau aufputzt, ist mir völlig egal!“ „Das ist ungerecht, rassistisch, xenophob, transphob, rechts, kleinkariert, bieder …“ „… und legitim. Sieh zu, mach das weg, ich will mit meinem heterosexuellen alten und weißen Ehemann jetzt frühstücken. Danach identifizierst du dich als Schafskopf und mähst den Rasen, bevor er zum unterfränkischen Umweltbiotop wird.“

Sprach's und verschwand im Badezimmer. Ich hatte das falsch gemacht. Ich hätte mich als Rückenkranker, der sich nicht bücken kann, lesen lassen sollen. Aber so … können alte weiße Männer genauso die Küche putzen wie junge schwarze Frauen. Ich hatte es verbockt. Ich war und bin eben doch nur ein Mann. Ich wählte einen Putzlappen in Regenbogenfarben aus, um ein letztes Zeichen des Protests zu setzen und machte mich an die Arbeit. In einer Welt, in der jeder alles sein kann, ist am Ende niemand etwas.

(Weitere bunte Artikel des Autors gibt's unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

 


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Mueller-lein, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons


Montag, 06 Juni 2022

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