Reaktionen auf den Antisemitismus in der britischen Labour Party

Reaktionen auf den Antisemitismus in der britischen Labour Party


Die zahlreichen antisemitischen und antiisraelischen Verleumdungen durch gewählte Vertreter der britischen Labour Party haben prominente Juden gezwungen sich öffentlich gegen diese Verbreitung von Hass zu positionieren.

Reaktionen auf den Antisemitismus in der britischen Labour Party

von Dr. Manfred Gerstenfeld

Gewöhnlich haben es Leiter der jüdischen Gemeinschaft vorgezogen problematische gesellschaftliche Themen über direkte Kontakte mit Politikern zu behandeln, wobei sie die „old boy networks“[1] nutzten, die in der britischen Tradition weit verbreitet sind. Da es im Vereinten Königreich keinen Holocaust gab, fand dort kein großer historischer „Bruch“ statt, der die Juden vom Rest der Bevölkerung abtrennte, wie es in Europa der Fall war; die Netzwerke blieben intakt. Im Gegensatz dazu haben einige jüdische Leiter auf dem Kontinent gelernt, dass es – ob es einem gefällt oder nicht – oft Juden betreffende Dinge gibt, die in der Öffentlichkeit ausgetragen werden müssen.

Viele prominente britische Juden haben auf die manchmal extremen antisemitischen Verleumdungen reagiert. Diese Reaktionen haben drei Hauptformen angenommen: verändertes Wahlverhalten, verbale Kommentare und das Zurückhalten von Spenden. Eine Umfrage des Jewish Chronicle stellte fest, dass, sollten jetzt allgemeine Wahlen stattfinden, nur 8,5% der Juden für Labour stimmen würden, dafür 82% für die Konservative Partei. Darüber hinaus geben 38,5 Prozent der Juden Labour wegen des Antisemitismus unter Parteimitgliedern und gewählten Repräsentanten die schlechteste Note – 5 von 5.[2]

Wegen der vielen verbalen Reaktionen von Juden können hier nur wenige angeführt werden. Der Oberrabbiner Ephraim Mirvis veröffentlichte im The Telegraph einen Artikel mit dem Titel „Ken Livingstone and the hard Left are spreading the insidious virus of anti-Semitim“[3] In einem deutlichen Verweis auf Ken Livingstone, dem ehemaligen Bürgermeister von London, der sagte Hitler habe den Zionismus unterstützt, schrieb Mirvis: „Denen, die so eifrig nach einer boshaften Holocaust-Anspielung greifen, um ‚Zionisten‘ das Maximum an Schmerz und Beleidigung abzuverlangen, sage ich: Ihr verbreitet diesen uralten und tückischen Virus des Antisemitismus.“[4]Mirvis‘ Vorgänger, Lord Jonathan Sacks, sagte später der Jerusalem Post: „Ken Livingstone hätte aus der Labour Party geworfen werden müssen.“[5]

Der Leiter des Board of Deputies[6], Jonathan Arkush, traf sich im Februar 2016 mit Corbyn; die Begegnung beschrieb er damals als „positiv“ und „konstruktiv“. Arkush merkte an, dass Corbyn während ihres Gesprächs „eine sehr solide Verpflichtung zum Recht Israels in sicheren und anerkannten Grenzen als Teil einer Zweistaatenlösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu leben anerkennt.“[7]

Weniger als zwei Monate später schrieb Arkush einen Artikel mit dem Titel „Labour has a serious anti-Semitism problem – and Jeremy Corbyn is failing to fix it“:[8] Ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Artikels griff er Corbyn erneut an, als er auf das reagierte, was er „eine tief verstörende Antwort auf einen Tweet von Corbyns Bruder Piers, der einen jüdisches Labour-MP kritisierte“ nannte. Dieses Parlamentsmitglied, Louise Ellman, hatte gesagt, dass in der Antisemitismusfrage mehr getan werden müsse und dass hartes Vorgehen gegen solches Verhalten „nicht nur mit Worten erfolgen darf“. Piers Corbyn twitterte, dass sei Unsinn. Jeremy Corbyn reagierte: „Mein Bruder hat seinen Standpunkt, ich habe meinen und wir stimmen im Wesentlichen überein – wir sind eine Familie, die vom Tag unserer Geburt an im Kampf gegen Rassismus erzogen wurden.“[9]

Louise Ellman, die seit 1997 im Parlament sitzt, ist während der letzten zwei Monate von Labour-Aktivisten auf Wahlkreistreffen belästigt worden; dabei waren auch antisemitische Äußerungen zu hören.[10] Eine weitere jüdische Abgeordnete, Luciana Berger, Mitglied im Schattenkabinett, hat tausende beleidigender Botschaften erhalten. Einige bezeichneten sie als Schwein oder drohten sie zu vergewaltigen und zu töten.[11][12] Später sagte sie: „Ich denke, es wäre absolut pervers, wenn Leute wie ich und meine jüdischen Parlamentskollegen – [die Abgeordneten] Louise Ellman, Ivan Lewis, Ruth Smeeth – die Labour Party verlassen würden und es nicht die Antisemiten wären, die die Labor Party verlassen hätten.“[13] Die riesige Anzahl der erhaltenen Hass-Mails, zu denen auch Mails gehören müssen, die von Labour-Unterstützern geschickt wurden, deutet an, dass das Antisemitismusproblem nicht auf ein paar Einzelne beschränkt ist, wie die Beschöniger des Antisemitismus in der Partei so gerne behaupten.

Lewis, ein MP und ehemaliger Labour-Minister, traf sich im Mai diesen Jahres mit Corbyn und forderte diesen auf, er soll „totale Gegnerschaft gegenüber den Ansichten und der Gewalt von Organisationen wie Hamas und Hisbollah“ demonstrieren. Lewis sagte zudem, dass Labour-Stadtverordnete in seinem Wahlkreis von Greater Manchester bei den letzten Lokalwahlen ihre Sitze verloren, weil jüdische Wähler sie in Protest gegen Ken Livingstones Äußerungen über Hitler als Zionist nicht weiter unterstützen wollten. Nach dem Treffen mit Corbyn sagte er: „Ich habe deutlich gemacht, dass zwar die überwiegende Mehrheit der Mitglieder von Labour nicht antisemitisch ist, es aber ein ernstes Problem bei einer Minderheit gibt, das entschieden angepackt werden muss.“[14] Bereits vor Corbyns Wahl hatte Lewis gesagt, dass dieser Unterstützung zum Ausdruck bringt und darin versagt diejenigen zu verurteilen, die antisemitische Rhetorik betrieben haben.[15]

Ein in der Debatte um den Antisemitismus in der Partei auffallend abwesender jüdischer Abgeordneten ist der antiisraelischen Hass verbreitende Sir Gerald Kaufman. 2015 beschuldigte dieser „Father of the House“ (d.h. der älteste Abgeordnete des Parlaments) Israel, es würde die Messeranschläge durch Terroristen erfinden und fügte hinzu, die Konservative Partei sei von „jüdischem Geld“ beeinflusst.[16]

2009 beschuldigte Kaufman in einer Rede vor dem Parlament die israelische Regierung; er sagte, diese sei „skrupellos und nutze das fortbestehende Schuldgefühl unter den Nichtjuden wegen des Abschlachtens der Juden im Holocaust als Rechtfertigung für ihre Morde an Palästinensern“. Kaufman stellte die Hamas-„Militanten“ zudem mit dem jüdischen Widerstand im Warschauer Ghetto während des Zweiten Weltkriegs auf eine Stufe.[17]

In einem Interview mit der BBC sagte der preisgekrönte Romanautor Howard Jacobson, seit Corbyn Parteichef wurde habe er „eine neue Boshaftigkeit“ im Antisemitismus der britischen Linken festgestellt. Jacobson fügte an: „Ich denke, mit Jeremy Corbyn ist einigen Leuten eine Stimme gegeben worden, eine Zuversicht gegeben worden, die davor etwas vorsichtiger waren. Jeremy Corbyn – das ist ein klassischer Fall eines Menschen, der einfach zu der Annahme erzogen worden ist, dass Israel eine unterdrückerische Imperialmacht ist. Er ist schlicht damit gefüttert worden, er wird das nie ändern. Das ist wie Milch.“[18]

Einer der ersten jüdischen Journalisten, der das Thema aufwarf, war der Kolumnist Jonathan Freedland vom Guardian; bis vor kurzem war Seamus Milne einer seiner Kollegen. Milne ist ein Hamas-Anhänger und hat die Gründung Israels als Verbrechen bezeichnet.[19] Freedland schrieb, dass „viele Juden sich Sorgen machen, wenn sie einen Teil der Linken sehen, deren derart intensiver Hass gegen Israel keiner Feindseligkeit irgendeinem anderen Staat gegenüber gleich kommt“.[20] Feedland, selbst ein Linker, der mehrere extreme Positionen zu Israel einnimmt, schrieb, es wäre willkommen, wenn die Linke auf Israel „dieselbe Höflichkeit ausweitet, die die Linke bewundernswert anderen Minderheiten gegenüber zeigt“.[21]

Die jüdische Gemeinschaft spendete der Labour Party bei den allgemeinen Wahlen 2015 eine beträchtliche Geldmenge. Michael Foster, ein Labour-Kandidat und Spender der Partei, schrieb, dass fast ein Drittel der 9,7 Millionen Pfund, die Labour vor den Wahlen von 2015 von privaten Spendern erhielt, von Juden kam. Er fügte an, dass dies trotz des Rückschlags der Abstimmung von Labour zur Anerkennung Palästinas geschah. Foster schrieb zudem, dass dieses Jahr bisher kein wichtiger jüdischer Spender der nationalen Labour Party Geld gegeben hat.[22]

Lord Levy, der unter dem früheren Premierminister Tony Blair der oberste Spendensammler der Partei war, sagte, die Partei habe deutlich gemacht, dass Antisemitismus keinen Platz in irgendeiner politischen Partei hat. Bezüglich Labour sagte er: „Wenn sie das nicht klarstellen, dann werde ich anfangen mir Fragen zu stellen und tatsächlich meine Mitgliedschaft in der Labour Party überdenken.“[23]

An den Rändern hat es einige Juden gegeben, die versucht haben den Antisemitismus in der Labour Party zu „waschen“. Rabbi Jeffrey Newman, der Rabbiner emeritus der Reform-Synagoge von Finchley in Nordwest-London, war einer von 82 Unterzeichnern eines an den  Guardian geschickten Briefs. In diesem stand auch: „Wir akzeptieren nicht, dass Antisemitismus in der Labour Party ‚grassiert‘. Von den Beispielen, die in den Medien wiederholt wurden, sind viele falsch berichtet worden, einige sind belanglos und ein paar sehr wenige mögen echte Beispiele für Antisemitismus gewesen sein.“ Acht der Mitglieder seiner Synagoge reagierten mit einem folgenden Brief an denJewish Chronicle, in dem sie erklärten: „Wir schreiben, um unsere Abscheu über die Art und Weise auszudrücken, in der unsere Synagoge als den Kampf gegen Antisemitismus untergrabend dargestellt wird, wo immer dieser auftaucht.“ Sie fügten hinzu, dass der Rabbiner „nicht in unserem Namen handelte“.[24]

Etwa neunzig Juden, darunter der eingefleischte Antizionist Moshe Machover und einige derer, die den vorigen Brief unterzeichneten, schrieben demGuardian einen Brief, in dem sie Rabbi Mirvis attackierten. Er war mit „Anti-Zionism does not equate to antisemitism“[25] überschrieben. Die Autoren verniedlichen den Antisemitismus in der Labour Party und sagten, Mirvis ignorierte „den ernsteren antimuslimischen Rassismus in der Wahlpolitik“.[26]

Analysiert man die obigen jüdischen Reaktionen, stellt man fest, dass nicht eine davon die Aufmerksamkeit auf die wichtige Rolle von Muslimen beim Verbreiten von Hass richtet. Ein interessanter Nebeneffekt des Skandals der Labour Party besteht darin, dass Antisemitismus außerhalb der Labour Party inzwischen ebenfalls mehr öffentliches Interesse erlangt. Die Daily Mailveröffentlichte einen Artikel über einen Juden, der durch Schikanen gezwungen worden war den Ort zu verlassen, an dem er 20 Jahre lang gelebt hatte. Aus dem Text des Artikels konnte man erkennen, dass diejenigen, die ihn schikanierten, Muslime waren.[27]

Wegen der fortgesetzten neuen Enthüllungen zum Antisemitismus in der Labour Party wird die jüdische Gemeinde weiter reagieren müssen.[28]Zusätzlich wird das Reinwaschen von Jeremy Corbyns Haltung gegenüber dem Antisemitismus in seiner Partei weiter die Reaktionen verstärken.[29]

Viele britische Juden ziehen es vor das Antisemitismusproblem in Großbritannien zu ignorieren. Dieses geht weit über die Labour Party hinaus. Das Thema wird allerdings im Rampenlicht bleiben, weil weitere Fälle sowohl in der Labour Party als auch bei anderen ans Licht kommen.

 

[1] Männerfreundschaften/Seilschaften/aus der Schule stammende Beziehungen

[2] http://www.thejc.com/news/uk-news/157746/labour-support-among-british-jews-collapses-85-cent

[3] Ken Livingstone und die stramme Linke verbreiten den heimtückischen Virus des Antisemitismus.

[4] http://www.telegraph.co.uk/news/2016/05/03/ken-livingstone-and-the-hard-left-are-spreading-the-insidious-vi/

[5] http://www.jpost.com/Diaspora/Rabbi-Sacks-Livingstone-should-be-sacked-from-Labour-party-for-Hitler-comments-454105

[6] Die Dachorganisation der britischen Juden.

[7] http://www.timesofisrael.com/uk-jewish-leaders-meet-labour-chief-known-for-israel-criticism/

[8] „Labour hat ein ernstes Antisemitismusproblem und Corbyn verfehlt es das in Ordnung zu bringen“;http://www.telegraph.co.uk/news/2016/04/01/labour-has-a-serious-anti-semitism-problem—and-jeremy-corbyn-i/

[9] http://www.bbc.com/news/uk-politics-35987239

[10] http://www.thejc.com/news/uk-news/156118/activists-hell-bent-attacking-jewish-labour-mp-constituency-meetings

[11] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3566667/Jewish-Labour-MP-speaks-vile-anti-semitic-abuse-subjected-online-bullies.html

[12] http://www.timesofisrael.com/jewish-labour-mp-posts-anti-semitic-abuse-she-received-online/

[13] http://www.liverpoolecho.co.uk/news/liverpool-mp-luciana-berger-says-11333850

[14] http://www.theguardian.com/politics/2016/may/11/labour-party-jeremy-corbyn-ivan-lewis-antisemitism-manchester

[15] http://www.theguardian.com/politics/2015/aug/14/jewish-labour-mp-jeremy-corbyn-antisemitism-record-ivan-lewis

[16] http://www.thejc.com/news/uk-news/148290/labour-veteran-sir-gerald-kaufman-claims-jewish-money-has-influenced-conservativJEWISH

[17] http://www.jta.org/2009/01/16/news-opinion/world/mp-kaufman-likens-israelis-to-nazis

[18] http://www.thetower.org/3311-award-winning-british-author-corbyns-rise-brought-a-new-viciousness-to-anti-semitism/

[19] http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/211571

[20] http://www.theguardian.com/commentisfree/2016/mar/18/labour-antisemitism-jews-jeremy-corbyn

[21] http://www.theguardian.com/commentisfree/2016/apr/29/left-jews-labour-antisemitism-jewish-identity

[22] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3532042/Ignorant-Godless-Hateful-Corbyn-s-contempt-Jews-disgrace-withering-attack-Labour-leader-donor-backed-party-400-000-2015-Election.html

[23] http://www.theguardian.com/politics/2016/mar/20/labour-peer-lord-levy-warns-he-could-quit-party-over-antisemitism

[24] http://www.thejc.com/news/uk-news/157849/congregants-hit-back-after-rabbi-signs-letter-undermining-fight-against-antisemi

[25] Antizionismus ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen.

[26] http://www.theguardian.com/world/2016/may/10/anti-zionism-does-not-equate-to-antisemitism

[27] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3573122/Jewish-father-driven-London-home-anti-Semitic-attacks.html

[28] http://www.telegraph.co.uk/news/2016/05/18/labour-refuses-to-discipline-mep-who-compared-israel-to-the-nazi/

[29] http://hackneycitizen.co.uk/2016/05/23/diane-abbott-minimising-concerns-antisemitism-labour-party-hackney-rabbi/

 

 

Erstveröffentlicht bei Heplev - Dr. Manfred Gerstenfeld war jahrelang Direktor des Jerusalemer Centers for Public Affairs (JCPA) und ist Autor u.a. beim israelischen Nachrichtensender Arutz Sheva.


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Dienstag, 07 Juni 2016