Wer wird die Zukunft Frankreichs schreiben?

Wer wird die Zukunft Frankreichs schreiben?


Zwei sehr populäre französische Romane, die sich in Timing und Ton unterscheiden, schildern zwei einflussreiche Visionen von Frankreich in der Zukunft. Beide sind nicht nur gut zu lesen (und beide ins Deutsche übersetzt), sondern zusammen regen die Gedanken zu den Krisen des Landes in Sachen Immigration und kultureller Veränderung an.

Wer wird die Zukunft Frankreichs schreiben?

von Prof. Dr. Daniel Pipes, Washington Times

 

Jean Raspail (geb. 1925) stellt sich eine Rasseninvasion vor, die mit Flößen und Booten über das Meer kommt; sie beginnt auf dem indischen Subkontinent und steuert langsam, unaufhaltsam auf den Süden Frankreichs zu. In Le Camp des Saints (Das Heerlager der Heiligen, 1973) dokumentiert er in erster Linie die hilflose, panische französische Reaktion, während die Horde (ein Wort, das 34-mal benutzt wird) "immer weiter herkommt, um die sich der anschwellenden Masse anzuschließen".

 

Es ist eine krasse Schreckensfantasie über die weiße Rasse und das europäische Leben, die den Ängsten entspricht, die von niemand Geringerem als Charles de Gaulle ausgesprochen wurde, dem dominierenden Politiker des Nachkriegsfrankreich, der nicht-weiße französische Bürger "unter der Bedingung, dass sie eine kleine Minderheit bleiben" aufnahm. "Andernfalls würde Frankreich nicht länger Frankreich bleiben. Immerhin sind wir in erster Linie ein europäisches Volk weißer Rasse."

 

Das Heerlager ahnte auch die Auffassung der "Großen Ersetzung" (Le Gran Remplacement) voraus, die vom französischen Intellektuellen Renaud Camus entworfen wurde; diese antizipiert die rasche Ersetzung "des historischen Volks unseres Landes durch Menschen mit Einwanderungsherkunft, die in überwältigendem Maß nicht europäisch sind".

In etwa dieselbe Angst - dass Immigranten das indigene französische Volk verdrängt und das Land übernimmt - inspiriert die Partei Front National, die heute in Umfragen bei 30 Prozent der Stimmen liegt und weiter zulegt.

Michel Houllebecq (geb. 1956) erzählt in Soumission (Unterwerfung, 2015) nicht die Geschichte eines Landes (Frankreich), sondern einer Einzelperson (François). François ist ein erschöpfter, etwas dekadenter Professor der dekadenten Bewegung in der französischen Literatur. Ihm fehlen eine Familie, Freunde und ein Ziel; obwohl er erst Mitte 40 ist, ist sein Lebenswille durch die Langeweile aus Bestell-Essens und einer Prozession austauschbarer Sexpartnerinnen erodiert.

 

Als ein offensichtlich moderater muslimischer Politiker 2022 unerwartet französischer Präsident wird, folgen schnell viele radikale Veränderungen des französischen Lebens. In einer überraschenden Wendung stellt sich, was unheilvoll beginnt (eine Leiche in der Tankstelle) schon bald als harmlos heraus (köstliches nahöstliches Essen). Angelockt von einem gut bezahlten und zufriedenstellenden Job mit dem Vorteil der Möglichkeit mehrere hübsche, verhüllte Studentinnen heiraten zu können gibt François sein altes Leben auf und tritt zum Islam über, der ihm die Belohnungen des Luxus, des Exotentums und des Patriarchats bietet.

 

Während der Roman aus dem Jahr 1973 das Wort Islam oder Muslim nie erwähnt, verweilt sein Gegenstück von 2015 auf beidem - beginnend mit dem Titel: Islam bedeutet auf Arabisch "Unterwerfung". Im Gegenzug konzentriert sich das erste Buch auf Rasse, während das zweite kaum Notiz von ihr nimmt (François' Lieblingsprostituierte ist eine Nordafrikanerin). Eine Übernahme endet höllisch, die andere angenehm. Das ältere Buch ist eine als Unterhaltung verkleidete apokalyptisch-politische Abhandlung, das jüngere bietet eine literarische und süffisante Ansicht des Verlustes an Willen in Europa, während keine Feindseligkeit gegenüber dem Islam oder Muslimen zum Ausdruck kommt. Eines dokumentiert Aggression, das andere Trost.

 

Die Romane fangen zwei wichtige, fast widersprüchliche Nachkriegs-Strömungen ein: Die Verlockung eines reichen und freien Europas für weit entfernt lebende, verarmte Menschen, besonders Muslime; und die Verlockung eines energischen Islam für ein entkräftetes, nachchristliches Europa. Bei beiden steht Europa - nur 7 Prozent der Landmasse der Welt, aber fünf Jahrhunderte lang, von 1450 bis 1950 die dominierende Region - dafür seine Bräuche, Kultur und Sitten zu verlieren und eine bloße Nebenstelle oder gar ein Schutzgebiet Nordafrikas zu werden.

 

Die Romane implizieren, dass die alarmierende Sorge, die vor Jahrzehnten zum Ausdruck gebracht wurde (Massen wütender, gewalttätiger dunkelhäutiger Leute) zur Gewohnheit und sogar harmlos geworden sind (Universitäten im Nahen Osten zahlen bessere Gehälter). Sie legen nahe, dass die Zeit für Panik vorüber ist, ersetzt wurde durch eine Zeit anmutiger Kapitulation.

 

Heerlager sorgte bei der Rechten für Aufruhr, als es erstmals auftrat, aber beide Bücher sprechen heute in größerem Umfang vertretende Bedenken an; Die Neuauflage von Heerlager im Jahr 2011 schoss in Frankreich auf die Bestsellerliste undUnterwerfung wurde vier Jahre später gleichzeitig in Frankreich, Italien und Deutschland zum Bestseller Nummer 1.

 

Zweiundvierzig Jahre trennen die beiden Bücher; wenn wir weitere 42 Jahre in die Zukunft springen, welche Geschichte könnte ein 2047 veröffentlichter Zukunftsroman erzählen? Denker wie Oriana Fallaci, Bat Ye'or und Mark Steyn würden einen Bericht erwarten, der den Sieg des Islam annimmt und in dem die wenigen verbliebenen christlichen Gläubigen Frankreichs verfolgt werden. Ich sage allerdings fast das Gegenteil voraus: einen Bericht, der annimmt, dass Camus' große Ersetzung scheiterte und sich eine gewaltsame Unterdrückung von Muslimen vorstellt, die (mit den Worten vonClaire Berlinski) "aus den Nebeln der europäischen Geschichte schlurft", begleitet von einer nativistischen französischen Wiederbehauptung.

 

 

 

Daniel Pipes (www.DanielPipes.org) ist Präsident des Middle East Forum. Übersetzt von H. Eiteneier


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Freitag, 17 Juni 2016