Weitere Blickwinkel zum Besuch des österreichischen Kanzlers in Israel

Weitere Blickwinkel zum Besuch des österreichischen Kanzlers in Israel


Dem ersten Besuch von Sebastian Kurz als österreichischer Bundeskanzler in Israel ist viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden.

Weitere Blickwinkel zum Besuch des österreichischen Kanzlers in Israel

Von Dr. Manfred Gerstenfeld

 

Dieser 31-jährige Politiker ist der Parteichef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP).[1] Wenn seine Äußerungen und Taten typisch für alle besuchenden Regierungschefs europäischer Länder wären, hatte Israel die Beziehungen zur Europäischen Union enorm verbessert.

 

In Yad Vaschem gestand Kurz die große Verantwortung Österreichs und der Österreicher für „beschämende, während der Schoah begangene Verbrechen“ ein.[2] Er besuchte privat auch die Westmauer.[3] Die populistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), Juniorpartner der ÖVP, musste Kurz‘ Haltung gegen Antisemitismus übernehmen, um in die Regierung eintreten zu können.[4] Israel hat allerdings nur Kontakt mit Vertretern der von der FPÖ gehaltenen Ministerien gepflegt, weil die Partei Neonazi-Wurzeln hat.[5]

 

Während seines Besuchs bat Kurz Israel nicht einmal darum Kontakte mit den FPÖ-Ministern aufzunehmen. Das war eine angenehme Geste.[6] Der Boykott der Partei durch Israel kann gerechtfertigt werden, da es auch die sozialistische schwedische Außenministerin Margot Wallström nicht empfängt, eine Teilzeit-Antisemitin, die antiisraelischen Hass verbreitet.[7] Es wäre zudem eine interessante Vergleichsanalyse, würde man auswerten, wie FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn jeweils zum Antisemitismus stehen.[8]

 

Kurz erwähnte muslimischen Antisemitismus nicht ausdrücklich, aber er sagte: „Ich kann Ihnen versichern, dass Österreich alle Formen des Antisemitismus in Europa entschieden bekämpfen wird, sei es ein bestehender oder ein neu importierter Antisemitismus.“[9] Österreich wird im nächsten halben Jahr die EU-Präsidentschaft übernehmen. Kurz versprach in Jerusalem, dass er sich während dieser Zeit darum bemühen wird, dass Europa Israels „besondere Sicherheitsbedürfnisse ernster nehmen wird“.[10] Kurz‘ Äußerungen sind um so wichtiger, als er ein stärkeres Profil Österreichs in der EU anstrebt als viele seiner Vorgänger.

 

Österreich machte, nachdem es 1938 Teil Deutschlands wurde, nicht nur bereitwillig beim Holocaust mit. Viele seiner Nachkriegs-Führungskräfte verzerrten die Geschichte des Landes stark, indem sie es als erstes Opfer des deutschen Nationalsozialismus hinstellten.[11] Ihnen half dabei die falsche Erklärung der Alliierten, dass Österreich Hitlers erstes Opfer gewesen sei.[12] Es sollte der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky sein, Parteichef der sozialistischen SPÖ, der 1991 erstmals die Wahrheit sagte und sich gegenüber den Überlebenden entschuldigte.[13]

 

Einen der größten Nachkriegsskandale Österreichs leistete sich der ehemaligerÖVP-Parteichef Alois Mock. Er schlug 1986 den ehemaligen UNO-Generalsekretär Kurz Waldheim als Kandidaten seiner Partei für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten vor. Damals war bereits bekannt, dass sein Kandidat der Nazi-

Studentenorganisation angehört hatte und Mitglied der paramilitärischen SA-Reiterstandarten war. Waldheim bagatellisierte die Fakten. Der sozialistische Parteichef und damalige österreichische Bundeskanzler Fred Sinowatz sagte daraufhin: „Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd.“[14]

Waldheim hatte entscheidende Elemente seines Dienstes im Krieg in seiner Biografie ausgelassen.[15] Währen eines Zeitraums war er Adjutant des österreichischen Generals Alexander Löhr in Jugoslawien, der 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde.[16] Ebenso wenig erwähnte Waldheim seine Stationierung in Saloniki während der Zeit, in der die große jüdische Bevölkerung zusammengetrieben und in ein Todeslager geschickt worden war. Er sagte später, er habe von dieser – unstrittigen – Tatsache nichts gewusst. Trotzdem wurde Waldheim vom österreichischen Volk gewählt. Während seiner Amtszeit sollte er oft von Moral und Werten sprechen.

 

Nachkriegsprobleme bezüglich Juden in Österreich beschränkten sich nicht nur auf die ÖVP. Der sozialistische Kanzler Bruno Kreisky stand an vorderster Front der Rehabilitierung früherer Nazis.[17] Er war zudem ein selbsthassender Jude, der sagte, wenn die Juden ein Volk wären, dann sei es „ein mieses Volk“.[18] All dies gibt den radikal anderen Haltungen eine Perspektive, die derzeit von Kurz zum Ausdruck gebracht werden.

 

Es gibt einen damit verbundenen Aspekt, der ebenfalls Erwähnung finden sollte. Der World Jewish Congress (WJC – Jüdischer Weltkongress) führte die Kampagne gegen Waldheim an und war für viele Aufdeckungen zu seiner Vergangenheit verantwortlich. Diese kleine Organisation – von Mock kräftig verleumdet – führte eine meisterliche Kampagne.[19][20] Der WJC hatte später den Erfolg, dass Waldheim die Einreise in die USA nicht mehr gestattet wurde. Er wurde als Präsident auch von anderen westlichen Ländern nicht mehr eingeladen.[21

]

1994 sickerte allerdings durch, dass Papst Johannes Paul II. dem Katholiken Waldheim die päpstliche Ritterwürde verliehen hatte. Statt sie ihm eigenhändig zu überreichen, wurde das im Geheimen vom päpstlichen Nuntius, dem Erzbischof Donato Squicciarini gemacht. Die Washington Post schrieb: „Die neue Ehre seitens des Vatikans kam man kaum als Abweichung bezeichnen. Als der damalige Präsident Österreichs vom Großteil der Weltgemeinschaft ausgegrenzt wurde, schloss sich der Vatikan einigen arabischen und kommunistischen Ländern an, Waldheim als ganz normales Staatsoberhaupt zu behandeln. … Dass der Papst einen solchen Mann ehrt, entehrt sowohl den Papst selbst als auch den Vatikan.“[22]

 

Die erfolgreiche Kampagne des WJC gegen Waldheim steht schlussendlich in starkem Kontrast zur regelmäßigen Unbeholfenheit des Handelns der israelischen Regierung gegenüber ihren Gegnern.

 

[1] http://www.timesofisrael.com/austrian-leader-visits-yad-vashem-vows-to-ensure-horrific-crimes-remembered/

[2] ebenda

[3] ebenda

[4] http://www.haaretz.com/world-news/europe/austrian-jewish-leader-not-credible-fpo-tackling-anti-semitism-1.5824303

[5] http://www.jpost.com/Israel-News/Politics-And-Diplomacy/Israel-renegotiates-ties-with-Austria-over-party-with-Nazi-roots-550024

[6] http://www.dw.com/en/austrian-chancellor-sebastian-kurz-in-israel-vows-to-fight-anti-semitism-promote-israeli-security/a-44164344

[7] www.jpost.com/Israel-News/Politics-And-Diplomacy/Israel-blasts-Swedish-FM-for-supporting-terrorism-encouraging-violence-441266

[8] https://besacenter.org/perspectives-papers/uk-labour-antisemitism/

[9] http://www.israelhayom.com/2018/06/12/in-israel-austrian-chancellor-vows-to-fight-all-forms-of-anti-semitism/

[10] derstandard.at/2000081324311/Die-besondere-Verantwortung-Oesterreichs

[11] Manfred Gerstenfeld: The Abuse of Holocaust Memory Distortions and Responses. 2009, JCPA, S. 25.

[12] http://www.demokratiezentrum.org/wissen/timelines/der-opfermythos-in-oesterreich-entstehung-und-entwicklung.html

[13] ebenda

[14] https://diepresse.com/home/zeitgeschichte/641277/Sinowatz_Nur-sein-Pferd-war-bei-der-SA-

[15] http://www.nytimes.com/1986/03/04/world/files-show-kurt-waldheim-served-under-war-criminal.html

[16] ebenda

[17] Robert Wistrich: From Ambivalence to Betrayal. Lincoln (University of Nebraska Press) 2012, S. 478-508

[18] ebenda

[19] http://www.worldjewishcongress.org/en/news/former-un-secretary-general-kurt-waldheim-dies-at-88?printable=true

[20] http://www.nytimes.com/1986/05/17/world/wiesenthal-faults-jewish-congress-on-waldheim.html

[21] http://articles.latimes.com/2012/apr/11/local/la-me-elan-steinberg-20120411

[22] http://www.washingtonpost.com/archive/opinions/1994/07/28/a-papal-pardon-for-waldheim/4fcd4ea2-c9b0-4d6b-b73c-b18cd40eae3e/

 

 

Heplev - Dr. Manfred Gerstenfeld war jahrelang Direktor des Jerusalem Centers for Political Defense (JCPD) und ist regelmäßiger Autor von Kommentaren und Analysen in der Jerusalem Post sowie beim israelischen Nachrichtensender Arutz Sheva. / Foto: Sebastian Kurz bei einem früheren Besuch bei Binjamin Netanyahu in Jerusalem (Foto: By Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (Arbeitsbesuch Israel) [CC BY 2.0  (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)


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Mittwoch, 11 Juli 2018