Das Wort `Jude´ ist in Europa ein Schimpfwort

Das Wort `Jude´ ist in Europa ein Schimpfwort


Das Wort `Jude´ ist an vielen Orten in Europa mit ganzer Macht als Mainstream-Schimpfwort zurückgekehrt.

Das Wort `Jude´ ist in Europa ein Schimpfwort

Von Dr. Manfred Gerstenfeld

Ein Adjektiv ist nicht nötig. Für viele Menschen ist der Ausdruck „dreckiger Jude“ eine Tautologie.

Ganz zu Beginn war das Wort „Jude“ nur ein Substantiv. Es kommt vom hebräischen Wort Yehudi, das vom biblischen Namen Juda abstammt. Das Wort Judentum entstammt der Religion der Yehudim. Als dann die christlichen Helden von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ Shylock wiederholt als „den Juden“ bezeichneten, gab es jedoch keine Frage, dass das Wort mehr eine Schmähung als ein Verweis auf die Religion des Kaufmanns war.[1]

Die negativen Konnotationen des Wortes Jude waren in Europa Jahrhunderte lang üblich. In Frankreich bezeichnen die Menschen Juden seit vielen Jahren, um sie nicht zu beleidigen als „Israeliten“; oft machen Juden selbst das auch. Einer meiner Kollegen, als ich in Paris lebte, sprach immer von Israeliten, wenn er Juden erwähnte. Ich konnte ihn nicht überzeugen, dass ich mich in diesem recht üblichen Ausdruck nicht selbst wiederfand und ich mich als Juden betrachte, auf Französisch „Juif“.

Das Wort „Jude“ als abschätzigen Begriff aus der europäischen Gesellschaft zu entfernen war nicht leicht. Das wurde zum Teil und schrittweise erreicht, nachdem die Deutschen auf brutale Weise 6 Millionen Juden ermordeten. Ende der 1970-er Jahre verklagte ein niederländischer Jude das niederländische Hauptwörterbuch. Er fühlte sich persönlich beleidigt, weil das Wörterbuch das Wort Jude als „Fluch oder schlimme Bezeichnung“ definierte.

Das Wörterbuch führte auch „alter, dreckiger Jude“ als Beispiel für die Verwendung des Wortes Jude an. Darüber hinaus erwähnte es die metaphorische Verwendung des Wortes „Jude“ als „Betrüger und Schwindler“. Es gab zudem einen Beispielsatz zur Klärung des Ausdrucks: „Ich würde von einem solchen Juden nichts kaufen wollen.“ Trotzdem gewann der Autor des Wörterbuchs vor Gericht.

Gleichwohl änderte das niederländische Wörterbuch die Definition ab der nächsten Ausgabe.[2] Diese Realität war befristet. CIDI, eine niederländische Organisation, die Antiisraelismus und klassischen Antisemitismus bekämpft, gab in ihrem Jahresüberblick 2016 ihrer Sorge über die Herabwürdigung des Worts „Jude“ Ausdruck: „Dieses Wort ist bei Beschimpfungen zunehmend ‚normal‘ geworden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Verwendung des Fluchs „Kankerjood“ (was so viel wie „Krebsgeschwür Jude“ bedeutet) gegen die Polizei bei einer Demonstration vor und zur Unterstützung der türkischen Botschaft.“[3]

In den Niederlanden wird auf die allgemeine Verwendung von „Jude“ als Schimpfwort noch ein Problem draufgesetzt. Nichtjüdische Fans des großen Fußballvereins Ajax Amsterdam haben das Wort „Jude“ als Name ihrer Gruppe übernommen. In Fußballstadien haben ihre Gegner seit mehr als zwanzig Jahren Lieder skandiert wie „Mein Vater diente in den Sondertruppen, meine Mutter war bei der SS. Zusammen verbrannten sie Juden, weil Juden am besten brennen“ und „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“. Diese antisemitischen Hassgesänge sind zu Gemeingut geworden und werden von Zeit zu Zeit gegen tatsächliche Juden verwendet.

Es gibt viele weitere Beispiele aus den Niederlanden, aber diese sind bei weitem nicht das einzige Land, in dem das Wort „Jude“ als Schimpfwort verwendet wird. Im Dezember 2018 veröffentlichte die EU-Agentur für Grundrechte eine wichtige Studie mit dem Titel Experiences and perceptions of antisemitism[4], in dem ein junge Frau aus Dänemark mit den Worten zitiert wird: „Mein größtes Problem ist gewesen, dass Menschen das Wort ‚Jude‘ als Schmähung im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden, was ich anstößig finde.“[5]

Ein Däne sagte: „Ich habe große Angst um die Zukunft meiner Kinder, da ‚Jude‘ in meinem Stadtteil zum Schimpfwort wurde und Leute hassen Juden derart, dass das Leben nichts mehr wert ist. Wir haben Angst, dass unsere Kinder auf die eine oder andere Weise angegriffen werden.“[6]

Als Ergebnis von all dem verstecken Juden ihre jüdische Identität. Ein spanischer jüdischer Student, der als Freiwilliger vor einigen Jahren in einem von mir geleiteten israelischen Forschungsprogramm zu Antisemitismus arbeitete, erzählte mir, dass seine besten nichtjüdischen Freunde in Spanien nicht wussten, dass er Jude ist.

Letztes Jahr sagte Elvira Noa, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bremen, der Lokalzeitung Weser-Kurier, dass das Wort Jude bereits in vor langem in Schulen ein Fluch gewesen ist.[7] Eine Studie zu jüdischen Kindern und Jugendlichen in deutschen Bildungsinstitutionen aus dem Jahr 2018 hatte den Titel „Jude als Schimpfwort“.[8]

Professorin Julia Bernstein ist Kulturanthropologin; sie untersuchte die Diskriminierung in deutschen Schulen und stellte fest, dass „Jude“ als Synonym für Verrat und Geiz, Aggressivität und Verkörperung des Bösen verwendet wird. Sie schrieb, als Ergebnis davon wird es in einem solchen schulischen Umfeld schwierig jüdische Identität positiv zum Ausdruck zu bringen. Das resultiert darin, dass jüdische Kinder und Jugendliche ihren jüdischen Hintergrund verbergen. Bernstein wies darauf hin, dass „Jude“ heute auch in Schulen als Fluch zwischen Nichtjuden verwendet wird. Als Beispiel beschrieb sie eine Szene, in dem ein Schüler es einem anderen Schüler sein Lineal nicht leihen wollte. Der erste reagierte mit: „Benimm dich nicht wie ein Jude.“ Ein weiteres Beispiel ist: „Du beschissener Jude, sei kein Jude, mach doch keine Judenaktion.“[9]

Das Wort „Jude“ wird auch in Verbindung mit Adjektiven verwendet. Ein Deutscher wurde gefilmt, wie er einen israelischen Restaurantbesitzer in Berlin anschrie: „Dreckige Juden, ihr könnt alle in die Gaskammern gehen.“[10]

Der Gebrauch des Wortes „Jude“ als Fluch schient in einer Reihe europäischer Länder enorm zugenommen zu haben. Eine Menge davon ist eine Rückkehr zur Lage vor dem Holocaust. Es handelt sich um eine der vielen wiederkehrenden Ausdrucksweisen für Antisemitismus in europäischer Kultur. Wenn die Europäische Union mit der Bekämpfung des Antisemitismus ernst machen will, sollte sie eine Studie dazu anordnen. Erst wenn man die Details der Realität kennt, kann man dieses schädliche und weit verbreitete Phänomen bekämpfen.

[1] http://www.washingtonpost.com/news/acts-of-faith/wp/2016/05/03/jew-why-does-the-word-for-a-person-of-my-religion-sound-like-a-slur/?utm_term=.60768f1e2fd5

[2] https://onzetaal.nl/uploads/editor/1409_jood.pdf

[3] http://www.cidi.nl/cidi-monitor-antisemitische-incidenten-2016-jood-steeds-vaker-gebruikt-als-scheldwoord/

[4] Erfahrungen und Wahrnehmung von Antisemitismus

[5] fra-2018-experiences-and-perceptions-of-antisemitism-survey_en%20(11).pdf, pg. 17

[6] ebenda, S. 35

[7] hwww.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-wenn-jude-zum-schimpfwort-wird-_arid,1714969.html

[8] https://zwst-kompetenzzentrum.de/jude-als-schimpfwort/

[9] www.fnp.de/frankfurt/jude-schimpfwort-weit-verbreitet-viele-lehrer-fuerchten-konflikte-10940866.html

[10] www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-5060722,00.html

 

Heplev - Dr. Manfred Gerstenfeld war langjähriger Direktor und Mitbegründer des Jerusalem Centers for Public Affairs (JCPA), er ist Autor u.a. in der Jerusalem Post und Arutz Sheva.


Autor: Dr. Manfred Gerstenf
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Mittwoch, 20 März 2019