Russische und weißrussiche Künstler im westlichen Dilemma?

Russische und weißrussiche Künstler im westlichen Dilemma?


Die deutsche oder französische Kulturgeschichte wäre diese nicht, gäbe es nicht die russischen, weißrussischen oder alten sowjetischen Künstler und Schriftsteller.

Russische und weißrussiche Künstler im westlichen Dilemma?

Von Torsten Kurschus

Da stehen mächtige  Namen wie Kandinsky oder Lissitzky oder Prokowjev und Schostakovitch bis hin zu den großen Tänzern wie Rudolf Nureyev nur aus der jüngeren Geschichte. Von den Älteren gar nicht zu reden.

Nicht erst seit den Zeiten der jungen und zunächst sehr stillen Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, die im 18. Jahrhundert nicht ganz ohne politischen Effet als Katharina II auf den Zarenthron gelangte, waren deutsche und russische Kultur bis zu dem kaiserreichen Wilhelm II und seines „lieben Cousins Niki“ in Moskau eng verbunden. Das ist Weltkulturerbe mit Bernsteinzimmer-Niveau.

Selbst nach der Oktoberrevolution 1917 sprechen wir von der russischen Avantgarde, dem russischen Symbolismus  oder die russische Empfindsamkeit etwa bei Lermontov. Dies alles hatte großen Eindruck auf die Intellektuellen ihrer Zeit im ganzen Westen gemacht.

Russland und Deutschland waren sogar so eng verbunden, dass Deutschland sich nie wirklich für den Osten oder den Westen entscheiden konnte. Golo Mann versuchte das mit einer unglücklichen Größe der damaligen Großmacht Deutschlands zu begründen. Demnach war Deutschland zu groß für alle seine Nachbarn und zu klein für eine eigene Weltmacht. Das stimmt, aber nicht ganz. Die kulturellen Gemeinsamkeiten trotz der Trennungen der Kirchen waren immer groß und der Handel sowieso stark und elegant. Russen leben seit Generationen in Deutschland und sind trotz eingedeutschter Namen nicht wegzudenken. Das betrifft Religionen und Nationen.

Heute ist der Ton rauh geworden. Nachdem der Münchner Chefdirigent Gergiev gerade sein Dirigat an der Mailänder Scala verlor, feuerten ihn auch die Münchner Philharmoniker. Nun hat der Münchner Ballettchef Zelensky das Handtuch geworfen und heute ist die Mega-Operndiva Netrebko unter Druck. Die allzu starke Nähe zum Putinregime wird auch diese Dame von ihrem Sockel holen. 2014 nach der Annexion der Krim durch die Russen posierte sie mit Flaggen der „aufständischen“ Separatisten im Osten der Ukraine und sprach sich klar für die russische Politik aus.

All das sind die großen Publika nicht mehr bereit hinzunehmen. Auf allen Bühnen dieser Welt verlangt man nicht mehr nur Brillianz, sondern auch Charakter – nicht nur in der Rolle. 

Es ist eine lange Arie, ob und inwiefern Kultur und Kunst politisch sein sollen. Das war sie immer, allerdings gehen die Meinungen stark darüber auseinander. Vom alten Vater Homer über Michelangelo, Dvorak oder Schostakovitch bis in unsere jüngsten Tage zu Ai Weiwei hatten Kunst Kultur und Sport immer eine starke politische Dimension. Das war mal hier als Auftragswerk oder dort als Opportunismus aber auch als Unabhängigkeit der Fall. Und schon das war eine Ansage. Schon der Baron of Verulam, Shakespeare genannt, hatte das gut verstanden.

Kunst, Kultur und Sport waren nie unabhängig. Besonders zeigte sich das für uns, als Hitler 1936 unmäßig sauer über den Olympiasieg des „amerikanischen Negers“ Jesse Owens war oder die Konsequenz des Westens beim fast geschlossenen Boykott der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau und der versuchte Gegenboykott  Moskaus 1984 in Los Angeles. Der halbherzige Boykott der Olympischen Spiele in China spricht genau für das, was der Westen ist – seine ewige Halbherzigkeit.

Ein altes russisches Sprichwort sagt:
„Schau dem in die Augen, mit dem du trinken gehst“. Das ist auch eine kulturelle Interpretation.
Es waren die sowjetischen Kulturfunktionäre, die in den 70er Jahren das Pseudodogma vom „Botschafter im Trainingsanzug“ ausgaben. Der Westen hielt noch an der Kulturneutralität fest.
Er lag falsch.
Als palästinensische Terroristen die Olympischen Spiele 1972 in München gegen die israelischen Todfeinde mit 17 Todesopfern in Schutt und Asche legten, sahen die sozialistischen Bruderstaaten und vor allem die DDR weg.
Plötzlich sollten Sport und Kultur unpolitisch sein. Auch davon hat sich der Westen verarschen lassen. Das muss genau so gesagt werden. Denn immer noch glaubte man dem Traum von Wandel durch Annäherung, was die Kontur eines DDRlichen Selbstbedienungsladens in der Bundesrepublik hatte.

Es sind exzellente Kulturschaffende wie Wolf Biermann, die immer ihre Stimme gegen die Gleichgültigkeit eines Kulturrelativismus erhoben. Auch Nureyev hatte das nach seiner spektakulären Flucht 1961 in Frankreich immer wieder betont. Dazu der Film: The White Crow/2018.

Es ist richtig, wenn das aufgeklärte Publikum eines putinesken Spitzenstars seine eigene Stimme gegen gepflegte Operntöne und -schritte laut werden lässt.

Ja, es ist sicher ungerecht, russische Künstler und Sportler unter Generalverdacht für die russische Aggression in der Ukraine zu stellen. Auch sollte man politisch seinen Stars nicht ein politisches Geständnis abpressen. Denn das grenzt an Gesinnungsforschung. Dann wären wir wieder in der Stalinzeit.  Dieses aber zu verlangen, ist das Recht eines jeden Publikums und das einer Gesellschaft, die für sich entscheidet, mit wem sie wie und wofür zusammenleben will.

Na klar wird es immer Leute geben, die nicht verstehen, dass Kultur mehr ist als Show. Es wird aber immer mehr Menschen geben, die verstanden haben, dass Kultur nicht losgelöst von seiner Zivilisation und Geschichte sein kann. Sonst ist es nämlich keine und dann ist auch eine göttliche Stimme nichts wert.
 


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Charleston, Alan, Public domain, via Wikimedia Commons


Sonntag, 10 April 2022

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