Forschungsfülle an der Universität Tel Aviv

Forschungsfülle an der Universität Tel Aviv


Forschungsfülle an der Universität Tel Aviv

An Israels größter Hochschule reichen die Kooperationsfelder mit deutschen Partnern von der biblischen Archäologie bis zur Nanotechnologie.
Die Liebe zur Archäologie hat Lisa Yehuda bereits in ihrer Kindheit entdeckt. Im Haus der Großeltern in Thüringen grub sie als junges Mädchen immer wieder im riesigen Innenhof. Dabei fand sie nicht nur jede Menge zerbrochenen Hausrat aus mehreren Jahrhunderten, sondern auch Grammophonplatten und eine Bronzegürtelschnalle aus der Biedermeierzeit. Heute ist die Archäologin Expertin für Keramik aus der Kreuzfahrerzeit, statt bei den Großeltern gräbt sie nun in der Ausgrabungsstätte Apollonia zwischen Herzlia und Caesarea an der israelischen Mittelmeerküste. Hier kooperiert die Universität Tel Aviv (TAU), und dort speziell das Institut für Archäologie, mit mehreren Mittelalterarchäologen aus Deutschland. Unterstützt wird das deutsch-israelische Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die TAU ist mit 30.000 Studenten an neun Fakultäten und 130 Forschungsinstituten die größte der sechs Universitäten in Israel. Ihre Forschungsaktivitäten und Patentanmeldungen machen sie zu einer international führenden Hochschule. 1956 gegründet, ist sie ein wichtiger Teil der israelischen Wissenschaftszusammenarbeit mit Deutschland, die Ende der 1950er-Jahre begann – noch bevor beide Länder 1965 diplomatische Beziehungen aufnahmen. Die Minerva-Stiftung, eine Tochter der Max-Planck-Gesellschaft, finanziert allein an der TAU vier Minerva-Zentren. Bereits seit 1980 unterstützt die Stiftung auch das Minerva-Institut für Deutsche Geschichte, an das die Wiener Library mit ihrer umfangreichen Sammlung von Originaldokumenten zum Holocaust angeschlossen ist.

„Die biblische Archäologie wäre ohne das Sonia-und-Marco-Nadler-Institut für Archäologie gar nicht zu denken“, sagt Lisa Yehuda über die archäologische Abteilung der TAU. Sie erklärt damit auch das starke Interesse deutscher Wissenschaftler an der Kooperation mit Israel. Im Fall von Apollonia stellten die deutschen Partner den Forschungsantrag an die DFG, in anderen Programmen wie der Deutsch-Israelischen Projektkooperation muss die Initiative von den Israelis ausgehen, so sehen es die Förderregeln vor. In Apollonia graben die Archäologen bereits seit den 1950er-Jahren ununterbrochen, wie Yehuda erzählt, „trotzdem sind noch nicht einmal fünf Prozent der Stadt freigelegt“. Yehuda, die das Konzept für das laufende DFG-Projekt entworfen hat, erklärt das wissenschaftliche Ziel: „Wir erforschen Struktur und Kulturadaptionen der mittelalterlichen Stadt sowie ihre Beziehungen zum Umland.“

Mit dem Minerva-Vertrag 1964 stellten Deutschland und Israel ihre Wissenschaftskooperation auf eine erste feste Grundlage. Seitdem werden die Förderprogramme vor allem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert, ergänzt durch israelische Ko-Finanzierung.

„Die Wiener Library hat eine regelmäßige Zusammenarbeit mit deutschen Forschern, die auch an unseren internationalen Konferenzen teilnehmen“, erklärt ihr Akademischer Direktor Roni Stauber. Neben der Minerva-Stiftung erhält die Dokumentationsstätte, die 1980 von London dauerhaft nach Tel Aviv umsiedelte, Unterstützung von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese fördert ausgewählte Projekte, beispielsweise im Juni 2015 eine Konferenz zum Thema „Aussöhnung zwischen Gruppen und Völkern durch Aufarbeitung der Vergangenheit“.

Die Wiener Library ist einzigartig, weil ihr Gründer Alfred Wiener bereits zwischen den beiden Weltkriegen begonnen hatte, den Aufstieg der deutschen Nationalsozialisten und den wachsenden Antisemitismus zu dokumentieren. 1933 ging Wiener, ein deutscher liberaler Jude, in die Niederlande, 1939 nach London. „Die Leute verstanden nicht, was der Holocaust war, was da in Deutschland und in den von Hitler eroberten Gebieten vor sich ging“, erklärt Stauber. Wiener versorgte die Regierungen in Washington und London mit umfassenden Informationen über die Gräueltaten der Nazis. „Nach dem Krieg verwendete die Anklage bei den Nürnberger Prozessen die Dokumente Wieners, um die Hauptverantwortlichen der Verbrechen überführen zu können“, sagt Stauber.

Enge Verbindung zu deutschen Forschern unterhält auch Scott Ury, der das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism leitet. Die Studenten und Wissenschaftler des Instituts tauschen sich regelmäßig mit ihren Pendants am „Zentrum für Antisemitismusforschung“ an der Technischen Hochschule Berlin aus. Das Stephen-Roth-Institut erhält wesentliche Unterstützung vom Ernst-und-Marianne-Pieper-Fonds, der von einer Unternehmerfamilie aus Hannover gegründet wurde. Außerdem finanziert die Rosa-Luxemburg-Stiftung Stipendien und einige Forschungsprojekte, „die wir sonst nicht durchführen könnten“, erklärt Ury. „Wir haben hier Juristen, Literaturwissenschaftler, Historiker und Judaistikforscher. Wer sich mit etwas aus unserem Forschungsgebiet befasst, den unterstützen wir gern mit einem Stipendium und stellen ihm alles zur Verfügung, um Spitzenleistungen zu erbringen. Wir sehen uns als Inkubator“, sagt Ury.

Vor allem den Naturwissenschaften verschrieben hat sich die Deutsch-Israelische Projektkooperation (DIP). Vor allem, aber nicht ausschließlich: So unterstützt die DIP zum Beispiel auch die Arbeit der Wiener Library. Seit 1997 sind über das Förderinstrument DIP rund 90 Millionen Euro in deutsch-israelische Forschungsvorhaben geflossen. Vier Projekte wählt ein Gremium jährlich aus, die jeweils für fünf Jahre mit maximal 1,65 Millionen Euro jährlich gefördert werden. Im Jahr 2015 werden drei dieser DIP-Forschungsvorhaben an der TAU finanziert.

An einem davon ist Rafal Dunin-Borkowski beteiligt. Er leitet das Ernst-Ruska-Centrum (ER-C) am Forschungszentrum Jülich. Mit Elektronenmikroskopen von einigen Metern Länge erhalten dort Wissenschaftler Einblicke in die Welt der Atome. Dunin-Borkowski bringt auf den Punkt, wie international vernetzt die Elektronenmikroskopie ist: „Fast jeder kennt jeden.“ Spitzenforscher aus aller Welt kämen an das ER-C, um die Höchstleistungsmikroskope zu nutzen, so Dunin-Borkowski. Dabei entscheide allein die Qualität der Arbeit, wer experimentieren darf. Die Zusammenarbeit mit den Israelis sei komplementär: „Die Forscher an der TAU sind extrem stark in theoretischer Physik“, sagt Dunin-Borkowski, „für sie sind wir ein logischer Partner.“ Der Inhalt ihrer Arbeit sei die „Erzeugung und Manipulation von Elektronenwellen durch Nanohologramme und deren Anwendung.“ Noch ist das Grundlagenforschung, aber irgendwann könnte sie die Computertechnik oder Energiegewinnung voranbringen.

Die Biologin Neta Erez leitet eines von 400 Laboratorien an der TAU. Vor drei Jahren startete sie ihr erstes bilaterales Projekt, das vom israelischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie sowie vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg unterstützt wird. Dort arbeitet ihre deutsche Ko-Forscherin. Beide untersuchen die Entwicklung von Metastasen bei Hautkrebs, die typischerweise im Gehirn entstehen und beim Patienten oft innerhalb eines Jahres zum Tod führen. „Wir beobachten Interaktionen zwischen den Tumorzellen und Astrozyten im Gehirn, die von den Tumorzellen gekapert oder umprogrammiert werden." Erez meint, dass Krebs wohl nicht heilbar sein werde. „Aber wir müssen die physiologischen Mechanismen verstehen, die zu Metastasen führen, und versuchen, wie wir diese dann blocken können.“

Archäologie sei „Sisyphusarbeit“, sagt Lisa Yehuda. Der Satz lässt sich auf jede Forschung anwenden. Yehuda zeigt eine Handvoll Keramikscherben, die sie gerade ausgegraben hat. In Apollonia hat sie Stücke aus dem gesamten Mittelmeerraum gefunden. 1.000 Kilometer Nord-Süd-Ausdehnung und 2.000 Kilometer von Ost nach West, stellt sie fest. „Das ist schon fantastisch.“

 

Ulla Thiele - Website zu 50 Jahren diplomatischen Beziehungen Israel - Deutschland / Foto: Studenten der Universität Tel Aviv (Foto: von Lilach Daniel [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)

 

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Autor: joerg
Bild Quelle:


Donnerstag, 20 August 2015

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