Zionismus - einer muslimischen Freundin erklärt

Zionismus - einer muslimischen Freundin erklärt


Eine muslimische Freundin fragte neulich: „Wie können wir den Zionismus ohne Judentum diskutieren?“ Ich bot an mich mit ihr zu treffen und es ihr zu erklären. Da das Angebot bisher nicht angenommen wurde, erfolgt die Antwort auf die Frage jetzt schriftlich.

Zionismus - einer muslimischen Freundin erklärt

von Julie Nathan, The Times of Israel (blogs)

 

Das gibt ein großes, unschuldigen Missverständnis darüber, was Judentum und Zionismus sind und die Verbindung zwischen beiden. Es gibt zudem viel zu vorsätzliche Entstellung und Fehldarstellung im Dienst einer ganzen Reihe von politischen Absichten.

 

Das Standard-Mantra antiisraelischer Aktivisten lautet, Judentum und Zionismus seien völlig voneinander getrennt. Das ist ein bequemes, aber völlig falsches und künstliches rhetorisches Mittel zur Überwindung der weit verbreiteten Wahrnehmung, dass viele Antizionisten verkappte Antisemiten sind. Durch den Versuch den Zionismus vom Judentum zu trennen, versuchen Antizonisten andere (wenn nicht auch sich selbst) dazu zu verführen zu glauben, dass man plausibel behaupten kann das jüdische Volk oder die jüdische Religion nicht zu hassen, sondern „nur“ den einzigen mehrheitlich jüdischen Staat der Welt.

 

Um Judentum und Zionismus zu verstehen, müssen die Begriffe erklärt werden.

 

Der Zionismus ist die Bewegung für nationale Selbstbestimmung des jüdischen Volkes mit dem Ziel der Wiedergründung eines Staats in der jüdischen nationalen Heimat, die die Juden als Eretz Yisrael (das Land Israel) kennen. Er hat sich keiner bestimmten Grenzziehung oder der Vertreibung nichtjüdischer Gemeinschaften verschrieben.

 

Mit der Wiedergründung des jüdischen Staates 1948 unterstützt der Zionismus das Fortbestehen der Existenz des Staates Israel. Das Wort „Zion“, vom Berg Zion im Herzen Jerusalems, ist aus der hebräischen Bibel abgeleitet und ein symbolischer Verweis auf Jerusalem als Ganzes, der Hauptstadt des früheren jüdischen Staates im Land. Der Zionismus wird zwar als moderne Idee betrachtet, ist in Wirklichkeit aber uralt; die moderne zionistische Bewegung ist schlicht der moderne, praktische Ausdruck der Jahrtausende alten organisierten politischen Präsenz des jüdischen Volks im Lande.

 

Das Judentum wird oft einfach als Religion des jüdischen Volks definiert oder verstanden. Es ist aber weit mehr als eine Religion. Es ist eine Zivilisation, die das volle Spektrum des Lebens des jüdischen Volks umfasst, seine Identität als Nation und als Volk, sein Rechtssystem, seine Religion, Kultur, Bräuche, Sprache, Literatur, Geschichte, Werte, Ideale und die Vision für eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden für die gesamte Menschheit.

 

Diese duale Identität sowohl als National aus auch als Glaubensgemeinschaft kann bis ganz zum Anfang des jüdischen Volks zurückverfolgt werden. In der Bibel wird auf die Juden durchweg als Nation (‚gov‘) und als Volk (‚am‘) verwiesen. Das zeitgenössische Denken, das scharf zwischen Religion, Kultur und Nationalität trennt, kann es schwierig finden, die Natur der jüdischen Identität zu begreifen. Aber während des größten Teils der menschlichen Geschichte wurden diese Facetten der menschlichen Selbstdefinition so verstanden, dass sie sich in ein integriertes Ganzes einfügen. Erst in den letzten etwa 300 Jahren und einzig im westlichen Denken sind sie konzeptionell unterteilt worden. Die meisten Juden betrachten sich weiterhin als Teil sowohl einer nationalen als auch einer Glaubensgemeinschaft, wie sie das immer getan haben. (Die Sikhs zum Beispiel werden ebenfalls auf diese Weise definiert.) Juden, die Atheisten sind, sich aber kulturell als Juden identifizieren, werden von sich selbst wie von den meisten in der jüdischen Gemeinschaft als jüdisch betrachtet, obwohl sie an keinerlei religiösen Überzeugungen oder Bräuchen festhalten.

 

Teil des modernen westlichen Verständnisses von Juden als nur religiöser Gemeinschaft und nicht als nationaler Gemeinschaft entstammt der Erklärung von Graf Stanislas von Clermon-Tonnerre vor der Nationalversammlung in Frankreich im Jahr 1789 in der Debatte darüber, ob Juden in Frankreich nach der Französischen Revolution die Bürgerrechte erhalten sollten, als er erklärte: „Den Juden als Einzelpersonen, alle Rechte. Den Juden als Nation keine Rechte.“

 

Und so begann die nichtjüdische Vorstellung von Juden nur als religiöser Gemeinschaft. Heutige Antizionisten nutzen diese Idee um abzustreiten, dass die Juden auch eine Nation sind. Mit der Art von Ignoranz und Arroganz, die für viele Arten von Rassismus kennzeichnend sind, behaupten sie praktisch ein besseres Verständnis dessen zu haben, was es heißt jüdisch zu sein als das jüdische Volk selbst. Dies ist ein durchsichtiger Versuch einer Gruppe von Leuten eine andere so zu definieren, dass sie ihren eigenen Interessen und Nutzen dienlich sind. Das sollte man verurteilen.

 

Der künstliche Versuch einzuschränken, was es heißt jüdisch zu sein und es ausschließlich auf die Sphäre der Religion zu beschränken, ist Teil des polemischen Arsenals, das von Gegnern der Existenz Israels als Staat des jüdischen Volks eingesetzt wird. Es wird benutzt um ihre diskriminierende – und damit rassistische – Leugnung des Rechts des jüdischen Volks auf nationale Selbstbestimmung zu rechtfertigen.

 

Juden sind im Land Israel heimisch. Die hebräische Sprache, Gesetze Traditionen, Kultur und Gebräuche des jüdischen Volks sind nahöstlich, nicht europäisch. Es ist Israel, wo jüdische Traditionen entstanden und sich entwickelten. Juden haben das Land Israel seit mehr als 3.500 Jahren bewohnt, besonders in den vier Städten Jerusalem, Hebron, Safed und Tiberias. Der einzige Teil der Welt, in dem Juden einen Staat hatten, ist das Land Israel. Obwohl die Mehrheit der Juden fast 2000 Jahre lang außerhalb ihres Landes lebten, oft in benachbarten Ländern, gab das jüdische Volk die Hoffnung und den Traum nach Hause zurückzukehren nie auf und tatsächlich kehrten viele im Lauf der Jahrtausende zurück.

 

Unabhängig von der Bibel gibt es Dokumente und andere archäologische Artefakte in Hülle und Füle, die belegen, dass ein eigenständiges Volk und Gemeinwesen namens „Israel“ im heiligen Land lebte, was bis in den Beginn der Bronzezeit vor mehr als 3000 Jahren zurückverfolgt werden kann. Im Gegensatz dazu besteht ein völliges Fehlen arabischer Schriften oder Inschriften, die irgendwo im heiligen Land zu finden sein müssten und auf die Zeit vor die muslimischen Eroberungen im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung datierbar sind, ebenso ein Fehlen jeglicher Hinweise auf Palästina als Beschreibung eines Volks vor dem späten neunzehnten Jahrhundert.

 

Die arabische Invasion und Besetzung des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA – Middle East and North Africa) im siebten Jahrhundert hebt nicht dessen Verbindung zu seinen indigenen Völkern, sprich den Amazighen (Berber), Assyrern, Kopten, Drusen, Juden, Kurden, Jesiden und anderen, zu ihrem angestammten Land auf. Das ähnelt der europäischen Invasion und Besetzung Amerikas, Australiens, Neuseelands und andernorts, die die Verbindung der indigenen Bevölkerung zu ihrem Land nicht aufhebt.

 

Die tiefe und andauernde Verbindung der Juden zum Land Israel ist sowohl in nationalen als auch in religiösen Gesichtspunkten zu sehen. In der religiösen und kulturellen Tradition der Juden, in den biblischen und rabbinischen Texten hat das Land Israel für das jüdische Volk Priorität. Obwohl viele jüdische Gesetze für Juden gelten, wo immer sie auch leben, z.B. das Einhalten des Sabbat, koscher zu essen, die Beschneidung vorzunehmen, können manche Gesetze nur im Land Israel eingehalten werden, so das Schmittah (das Land im siebten Jahr brachliegen zu lassen). Darüber hinaus liegen alle heiligen Stätten des jüdischen Volks, z.B. Jerusalem, Hebron, Safed und andere, im Land Israel. Wo immer Juden leben, wenden sich Juden im Gebet Jerusalem zu. Wo immer Juden leben, beten sie während der Regenzeit für Regen in Israel. Wo immer Juden leben, kaufen und essen sie landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Israel, z.B. während Festen die sieben Früchte (zwei Getreidesorten und fünf Obstsorten, die in Israel heimisch sind. Ein Lied fasst diese tiefe und intensive Verbindung zusammen: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, das bei jedem Pessach-Fest gesungen wird, drückt den Wunsch aus, dass die Juden aus der Diaspora eines Tages nach Hause zurückkehren werden.

 

Da die Juden sowohl eine Nation als auch eine Religionsgemeinschaft sind, die ihre nationale Heimat kontinuierlich bewohnte, die selbst im Exil eine tiefe spirituelle Verbindung zum Land beibehielt, war es nur natürlich, dass der Zionismus, die Bewegung für jüdischen nationale Selbstbestimmung, sich gleichzeitig mit dem Nationalismus anderer Völker entwickeln sollte. Dann kam die Frage auf: Wie sollte sich diese Selbstbestimmung verwirklichen?

Würden die Juden in ihrer Heimat weiter unter islamisch-arabischer Herrschaft leben, wie es unter den Osmanen der Fall war? Oder als autonomes Gebilde innerhalb eines größeren Staates? Oder würden die Juden nach souveräner Eigenstaatlichkeit streben? Freiheit, Würde und die Lektionen der Geschichte stellten sicher, dass die Juden sich mit nichts weniger als der letzten Option zufrieden geben sollten. Es war und bleibt eine Sache der Ehre, der Selbstachtung und der Gerechtigkeit.

 

Angesichts der Diskriminierung und Verfolgung von Juden im Verlauf von 1400 Jahren Geschichte des Islam überrascht es nicht, dass Juden nicht dazu neigen weiterhin unter muslimischer Herrschaft zu leben. Unter dem Islam wurden Juden (und Christen) nie als den Muslimen gleichgestellt behandelt. Obwohl es Juden in muslimischen Ländern allgemein besser erging als Juden in Europa, litten sie doch regelmäßig unter Zwangsbekehrungen, Wegnahme der Kinder (noch bis ins 20. Jahrhundert) und regelmäßig wiederkehrenden Massakern. In der Tat gab es eigen der relativen Toleranz gegenüber Juden und manchmal ein Nachlassen bei den restriktiven und diskriminierenden Gesetzen, aber diese Zeiten waren episodenhaft und man konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie lange anhielten. Es konnte keine authentische jüdische Selbstbestimmung unter muslimischer Herrschaft geben. Mehrere Beispiele sollten genügen, um das zu zeigen.

 

Die heiligste Stätte des Judentum ist de Tempelberg; auf ihm bauten Muslime den Felsendom und bis heute ist es Juden verboten dort zu beten. Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, der weithin als „moderat“ gilt, erklärte im September 2015 in Bezug auf jüdische Stätten in Jerusalem, einschließlich des Tempelbergs, dass Juden „nicht das Recht haben sie mit ihren dreckigen Füßen zu besudeln“.

 

Die zweitheiligste Stätte des Judentums ist die Machpela-Höhle in Hebron, wo die misten der jüdischen Patriarchen und Matriarchen beerdigt sind. An der Stelle des Grabs baute König Herodes von Judäa ein gewaltiges Gebäude. Von Beginn des Mameluken-Reichs im dreizehnten Jahrhundert und darauf verboten islamische Herrscher Juden das Gebäude zu betreten. Zudem war es Juden unter islamischer Herrschaft nur erlaubt sich dem Gebäude bis auf sieben Schritte zu nähern. Dieses Verbot dauerte fast 700 Jahre an, bis 1967, als Israel die Kontrolle über Hebron gewann, die erniedrigenden Stufen abriss und Juden erlaubte ihre zweitheiligste Stätte zu betreten und dort zu beten.

 

Viele Jahrhunderte lang war die jüdische Gemeinschaft den Drohungen und Erpressungen von Muslimen unterworfen. Wenn die Juden keine jährliche Summe an „Schutz“-Geld für das Rahelgrab bei Bethlehem zahlten, drohten Muslimführer damit die jüdische Stätte zu zerstören. Selbst heute ist eine weitere jüdische Stätte, das Josefgrab bei Nablus, Objekt regelmäßiger Brandstiftung durch örtliche Muslime.

 

Erst mit der Wiedergründung eines souveränen jüdischen Staates sind die Juden wieder in der Lage ihre kollektive Zukunft selbst zu bestimmen, frei als Juden in ihrer eigenen nationalen Heimstatt zu leben, unter ihrer eigenen Regierung, die Muttersprache Hebräisch als Landesprache zu sprechen, den historischen jüdischen Kalender als offiziell anerkannten Kalender zu benutzen, jüdische nationale und religiöse Feste als offizielle Feiertage zu begehen und vor allem sich gegen physische Angriffe zu verteidigen. Nur durch Selbstbestimmung sind Juden von Unterdrückung, Demütigung und Verfolgung frei geworden, denen sie in der christlichen wie der muslimischen Welt über Jahrhunderte unterworfen waren.

 

Beim Zionismus geht es im Kern um jüdische nationale Selbstbestimmung in der jüdischen historischen Heimat. Der Zionismus selbst kann nicht als etwas diskutiert werden, das vom Judentum, der Zivilisation des jüdischen Volks getrennt und etwas anderes ist. Der Zionismus ist ein wesentlicher Bestandteil des Judentums.

 

Kritik an Politik, Rhetorik und Handeln der israelischen Regierung – oder irgendeiner Regierung – ist fester Bestandteil des Rechts auf freie Meinungsäußerung, so wie das Recht auf diese Kritik zu antworten. Allerdings öffnen sich diejenigen, die Israel immerzu und unverhältnismäßig kritisieren, oft mit Übertreibungen und Entstellung der Tatsachen, der legitimen Kritik, dass sie einseitig und voreingenommen sind. Diejenigen, die weiter gehen und anstreben Israel und den Zionismus auszuradieren, öffnen sich auf die eine oder andere Weise dem zusätzlichen Vorwurf, dass sie in Rassismus abgesunken sind, indem sie dem jüdischen Volk ein Recht zu verweigern versuchen, von dem sie es nicht wagen würden es einem anderen Volk vorzuenthalten – das Recht seine kollektive Zukunft als nationale Gemeinschaft in ihrem eigenen Heimatland zu bestimmen.

 

 

 

 

Übersetzt von Heplev


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Freitag, 11 August 2017