Covid 19 als Katalysator für Allmachtsphantasien

Covid 19 als Katalysator für Allmachtsphantasien


Seit einem Monat steht Deutschland unter Hausarrest. Nein, nicht das ganze Deutschland.

Covid 19 als Katalysator für Allmachtsphantasien

Von Vera Lengsfeld

Alle, die wirklich wichtig sind, Müllabfuhr, Feuerwehr, Polizei, Verkäuferinnen, Pflegepersonal, Reinigungskräfte, Fahrer, Bäcker, Fleischer, Bauern, Ärzte, Ingenieure, Bauarbeiter, Lokführer, arbeiten bis zum Anschlag und sorgen dafür, dass uns Anderen die Illusion erhalten bleibt, es liefe alles mehr oder weniger normal. All die vielen Staatsbediensteten im Home Office machen sich dagegen Gedanken über Entschleunigung, zur Ruhe kommen und finden gar, dass der Zustand des Lockdown gar nicht so schlecht ist, von Klopapiermangel einmal abgesehen. Tatsächlich hat eine „Ethikerin“, die im Nebenberuf Ministerpräsident Armin Laschet berät, schon öffentlich geäußert, dass sie gar nicht in den Vor-Corona-Zustand zurück möchte. Wahrscheinlich spricht sie damit allen aus der Seele, die schon immer das „System“ zum Stillstand bringen wollten, weil Kapitalismus angeblich tötet, obwohl er für den Massenwohlstand verantwortlich ist, den wir noch genießen. Nach Sozialismus als rettenden Ausweg wird verlangt, obwohl der Sozialismus massenhaft getötet hat, zum Beispiel 1931-1933 geschätzte 10 Millionen Bauern mit Frau und Kindern in der Ukraine. Von den wirtschaftlichen Folgen hat sich die ehemalige Weltkornkammer bis heute nicht erholt.

Immer wieder höre ich, was wir erleben, sei noch nie da gewesen. Das ist falsch. Was sich vor unseren Augen abspielt, hat schon Fjodor Dostojewski, der in seinem Roman „Die Dämonen“ die Schrecken des Kommunismus vorausgesagt hat, in seinem letzten Werk „Die Brüder Karamasow“ beschrieben. Dort gibt es eine Szene, in der Jesus in Sevilla während der Inquisition erscheint. Er wird vom Volk erkannt, aber auch vom Großinquisitor, der ihn inhaftieren lässt. Im Gefängnis hält der Großinquisitor Jesus einen Vortrag, dass er kein Recht habe „die Ordnung zu stören“. Wenn er Steine in Brot verwandelte, würden die Menschen ihm folgen „wie eine willige Herde“, aber wenn er seine Hand zurückzöge, hätte es damit ein Ende. Auf Jesus Antwort, der Mensch lebe nicht von Brot allein, es müsse noch etwas Höheres geben, erwidert der Großinquisitor, die Menschen würden ihm ihre Freiheit zu Füßen legen und sagen “Knechtet uns, aber macht uns satt“.

In unserer brotreichen Zeit ist die Sättigung ein Synonym für Sicherheit. Die Angst vor dem Verlust an Sicherheit bewirkt, dass der moderne Mensch seine Freiheit opfert. Wie wir augenblicklich erleben, verläuft dieser Prozess halb unbewusst. Der Rechtsstaat und die mühsam erkämpften politischen Rechte und emanzipatorischen Errungenschaften werden vor unser aller Augen abgeschafft, ohne dass es zu nennenswertem Widerstand kommt.

Das weiseste Volk der Erde, die Hebräer, haben das schon in biblischen Zeiten vorausgesehen. Das 5. Buch Mose beschreibt ein demokratisches Experiment. Nach dem erfolgreichen Exodus aus der Sklaverei Ägyptens wurde ein Ältestenrat unter dem Vorsitz von Moses gebildet. Die Gemeinschaft hatte ein Mitspracherecht, es gab eine unabhängige Gerichtsbarkeit und gestaffelte Verantwortlichkeiten. Aber die mosaischen Bücher haben schon vorausgesagt: „Ihr werdet eure Freiheit aufgeben und euch dem König versklaven.”

Das geschieht umso leichter, wie wir gerade erleben, wenn die Menschen in die denkbar größte Furcht, die Todesfurcht, versetzt werden. Wie leicht das in einer Zeit ist, die verlernt hat, dass der Tod zum Leben gehört, konnten wir in den letzten Wochen beobachten.

Von einem Tag auf den anderen ließ sich fast die gesamte Bevölkerung widerstandslos unter Hausarrest stellen. Es genügte, ein Virus zum Kriegsherren zu erklären, der allen nach dem Leben trachtet. Was die Terroristen nie geschafft haben, hat Covid 19 mühelos, fast über Nacht erreicht: Die Abschaffung der Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, alles verfassungsmäßige Rechte, die nichts mehr wert waren.

Wie so oft in ihrer Geschichte haben sich die Deutschen wieder als Musterschüler geriert. Das Denunziantentum gelangte zu einer solchen Blüte, dass Bürgermeister und andere Politiker gezwungen waren, zur Zurückhaltung zu mahnen und nicht jeden gefühlten Verstoß gegen die Corona-Verordnungen zu melden.

Je schärfer die Einschränkungen waren, die ein Politiker verkündete, desto höher stiegen seine Umfragewerte. Nach dem Sinn der von der Politik verordneten Maßnahmen zu fragen, gar Fehler oder Mängel im Krisenmanagement der Bundesregierung zu benennen, wird mit sofortiger öffentlicher Ächtung bestraft. Freiheit der Wissenschaft ist ersetzt durch die Einheitsmeinung regierungstreuer Virologen.

Aber selbst Maßnahmen, die sichtbar nichts mit Seuchenschutz zu tun haben, wie das Verbot, allein auf einer Bank in der Frühlingssonne ein Buch zu lesen, oder sich in seinem ländlichen Zweitwohnsitz in Quarantäne zu begeben, werden stillschweigend hingenommen. Die Bürger bekommen wieder die ganze Härte des Rechtsstaats zu spüren, wie dieser einsame Nackte am Ufer eines Sees, der für mich zum Symbol für unsere Zeit geworden ist. Alle befolgen nur die Anweisungen. Wenn das Heulen und Zähneklappern beginnt, spätestens wenn die drastischen Folgen der politisch herbeigeführten wirtschaftlichen Depression spürbar werden, wird sich Niemand an seine Mitschuld erinnern.

 

Vera Lengsfeld, Publizistin, war eine der prominentesten Vertreterinnen der demokratischen Bürgerrechtsbewegung gegen die "DDR"-Diktatur, sie gehörte 15 Jahre dem Deutschen Bundestag als Abgeordnete der CDU an. Vera Lengsfeld publiziert auch in der Achse des Guten und in der Jüdischen Rundschau.


Autor: Vera Lengsfeld
Bild Quelle: Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)


Donnerstag, 16 April 2020