Ein Wunder in Zeiten von Corona

Ein Wunder in Zeiten von Corona


Mit einer hoch komplexen Operation ermöglichte Israel, dass eine der wichtigsten Zeremonien des orthodoxen Christentums trotz der Pandemie abgehalten werden konnte.

Ein Wunder in Zeiten von Corona

Von Thomas M. Eppinger

Seit 1200 Jahren feiern die Orthodoxen Kirchen alljährlich ein Wunder in der Jerusalemer Grabeskirche – dem Ort, an dem Jesus der Überlieferung nach gekreuzigt und begraben wurde. Pünktlich am Karsamstag Nachmittag entzündet sich ein „Heiliges Feuer“, das, so glaubt man, keinen natürlichen Ursprung hat und in den ersten Minuten niemanden versengt. Von Jerusalem wird das „Heilige Feuer“ dann in alle Hauptstädte der östlichen christlichen Welt getragen.

An diesem Tag ist die Kirche schon in den Morgenstunden voller Gläubiger mit Kerzen in der Hand, sie singen und warten ungeduldig auf den großen Moment gegen 14.00 Uhr, wenn sich das Feuer auf den Kerzen des Jerusalemer Patriarchen entzündet. Das Licht wird herumgereicht, binnen weniger Minuten ist die Kirche ist voller Rauch, sind die jahrhundertealten Wände vom Widerschein der Kerzen erleuchtet. 

Wahrung der Religionsfreiheit

Die Versammlungsbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie verhinderten dieses Jahr, dass sich Zehntausende ekstatisch singende Pilger aus aller Welt in der Kirche und vor deren Toren drängen und danach nicht nur ein Licht nach Hause tragen, sondern auch ein Virus. 

Israel scheute jedoch keinen Aufwand, um die Zeremonie dennoch zu ermöglichen, wenn auch in einem anderen Rahmen als sonst. Erfreulicherweise, besagt doch die Legende, dass in dem Jahr, in dem das Heilige Feuer nicht herabsteigt, das Ende der Welt bevorstünde. Sieht so aus, als hätten wir noch ein paar Jahre. 

Und so nahmen am Samstag, den 18. April (die orthodoxen Kirchen richten sich nach dem julianischen Kalender und feierten Ostern daher erst an diesem Wochenende), nur acht Geistliche aus den griechisch-orthodoxen, armenischen, koptischen und syrisch-orthodoxen Konfessionen an der Zeremonie in der Grabeskirche teil. 

Danach brachten Botschafter und Diplomaten das „Heilige Feuer“ in Öllampen zum Ben-Gurion-Flughafen, wo Sonderflüge bereitstanden, um das Feuer in die Ukraine, nach Kasachstan, Russland, Griechenland, Zypern, Georgien, Belarus, Moldawien, Rumänien und Polen zu transportieren. Sonderbotschafter brachten es zu den christlichen Gemeinden in Nordisrael, Jordanien und zur Palästinensischen Autonomiebehörde.

Außenminister Israel Katz ließ verlauten:

„Der Staat Israel tut alles in seiner Macht Stehende, um die Religions- und Kultusfreiheit an heiligen Stätten zu wahren und Hunderttausenden von Gläubigen auf der ganzen Welt zu ermöglichen, ihren Feiertag zu begehen. (…) Wir hoffen, dass wir in den kommenden Jahren wieder Tausende von Touristen in Jerusalem sehen werden, die den Feiertag feiern.“

Vom Glauben und Wundern

Menschen glauben an alles Mögliche, auch in unserer angeblich so aufgeklärten Zeit. Dass schwarze Katzen Unglück bringen und Rauchfangkehrer Glück, an den Weltuntergang, an die heilende Wirkung von Zuckerkügelchen, an die tödliche Gefahr von Mobilfunkstrahlen, an Chemtrails, an die jüdische Weltverschwörung oder an alles zusammen. Jeden Tag aufs Neue bewahrheitet sich der Aphorismus: Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern jeden Blödsinn. 

Wunder gibt es, weil Menschen an sie glauben. Ohne Gläubige wären Wunder keine Wunder, sondern Wissenschaft. Weshalb wir uns hier nicht über Wunder wundern mögen. Aber welchen Respekt dieses kleine Land allen seinen verschiedenen Konfessionen, Traditionen und Kulturen entgegenbringt, ist dann doch irgendwie ein Wunder. 

 


Autor: Thomas Eppinger
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Dienstag, 21 April 2020