Libanon: Arbeiterinnen ohne jedes Recht

Libanon: Arbeiterinnen ohne jedes Recht


Vor dem äthiopischen Konsulat in der libanesischen Hauptstadt Beirut campieren seit Wochen Gruppen von Äthiopierinnen, die als Hausangestellte für reiche libanesische Familien gearbeitet haben und im Zuge der Wirtschaftskrise buchstäblich auf die Straße gesetzt wurden.

Libanon: Arbeiterinnen ohne jedes Recht

Von Stefan Frank

Viele von ihnen wollen zurück in ihr Heimatland, aber können es nicht. Das berichtet u.a. die Nachrichtenagentur AP

Der äthiopische Journalist Zecharias Zelalem hat Videoaufnahmen auf Twitter gestellt, die die Situation der Wartenden zeigen. Derzeit habe das Konsulat schon zum dritten Mal seit Anfang März geschlossen, schreibt Zelalem, aus Angst vor Covid-19, so die offizielle Begründung. Wann es wieder öffnet, ist unbekannt.

Ärger über das Kafala-System …

Schuldige an der Lage gibt es mehrere: Zum einen die libanesischen Arbeitgeber, die Verträge nicht einhalten und die Angestellten auf die Straße werfen – häufig, ohne den ausstehenden Lohn zu zahlen oder auch nur ihren einbehaltenen Reisepass zurückzugeben.

Zum anderen das libanesische Kafala-System, durch das das Visum der Angestellten an den Arbeitgeber gebunden ist: Schmeißt der sie raus, erlischt ihr Aufenthaltsrecht. Das System öffnet die Tür für alle Arten von Missbrauch. Denn die Arbeiterinnen können nicht einfach kündigen, wenn der Arbeitgeber sich nicht an Vereinbarungen hält, sie misshandelt oder ihren Lohn nicht zahlt.

Und wenn sie auf die Straße gesetzt wurden, haben sie kaum eine Möglichkeit, den Lohn einzuklagen, der ihnen zusteht. Die libanesischen Arbeitsgesetze gelten für sie nicht. Und nun, da sie arbeitslos sind, laufen sie sogar Gefahr, ins Gefängnis geworfen zu werden, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung erloschen ist.

… aber auch über die äthiopische Regierung

Doch die Äthiopierinnen vor dem Konsulat in Beirut sind auch wütend auf die äthiopische Regierung. Denn seit März verlangt die äthiopische Fluggesellschaft einen sogenannten „Quarantänezuschlag“ in Höhe von 550 US-Dollar, der in Dollar zu entrichten ist.

Äthiopische Hausangestellte im Libanon verdienten vor der Krise im Durchschnitt 150 Dollar pro Monat; dadurch, dass viele ihren Lohn – wenn überhaupt – nur noch in der entwerteten libanesischen Währung erhalten haben, ist es nun viel weniger.

Das äthiopische Konsulat schrieb auf seiner Facebookseite, es „arbeite daran“, eine Lösung bezüglich des Quarantänezuschlags zu finden. Das war vor über einer Woche, seitdem wurde die Facebookseite nicht mehr aktualisiert.

Wie die Website Al-Arabiya English berichtet, übernachten einige Frauen auf dem Gehweg. Einige hätten kleine Kinder bei sich. Letzte Woche wurden 35 Äthiopierinnen in eine von der Caritas bereitgestellte Notunterkunft gebracht, doch diese Woche hat sich der Platz vor der Botschaft schon wieder gefüllt.

Die Journalistin Sunniva Rose, die in Beirut lebt und u.a. für die französische Tageszeitung Le Figaro arbeitet, konnte mit einer der Frauen sprechen. Die Frau namens Hayat erzählte:

„Ich sagte meinem Arbeitgeber, dass ich nach Hause zurückkehren möchte, aber sie sagte, dass sie kein Geld habe, um mich zu bezahlen. Sie sagte mir, die Botschaft würde mein Ticket zurück nach Äthiopien bezahlen.“

Der Arbeitgeber habe Hayats Pass nicht zurückgegeben, und das Konsulat war nicht zu sprechen, sagte sie. Das Ergebnis war, dass Hayat „eine ganze Woche lang auf dem kalten, harten Pflaster schlief“, so Rose.

Moderner Sklavenhandel

Die Wirtschafts- und Währungskrise begann bereits vor der Covid-19-Pandemie, wurde aber durch den Lockdown noch einmal verschärft. Einige libanesische Familien hätten begonnen, ihre Haushaltshilfe in der abgewerteten heimischen Währung zu bezahlen, berichtet Al-Arabiya English, während andere überhaupt nicht mehr zahlten, „und es wird zunehmend berichtet, dass Hausangestellte auf die Straße geworfen werden“.

Ein Neuankömmling namens Lomi erzählte Al Arabiya English, dass sie 20 Jahre alt und vor etwas mehr als einem Jahr im Libanon angekommen sei, um ihren Eltern in Äthiopien zu unterstützen. Ihr Arbeitgeber habe ihren Lohn seit vier Monaten nicht bezahlt und sie dann rausgeworfen. Nachdem Lomi auf das geschuldete Geld gedrängt hatte, rief ihr Arbeitgeber ein Taxi und schickte sie los. Nur mit einem Koffer, ohne ihren Reisepass.

Arbeitsministerin Lamia Yammine Douaihy sprach von einer „unglücklichen Szene“ vor dem Konsulat und kündigte an, „notwendige“ Maßnahmen gegen die betreffenden Arbeitgeber zu ergreifen. „Arbeitgeber, die Gastarbeiter vor dem Konsulat gestrandet zurückgelassen haben, werden gesetzlich bestraft und auf eine schwarze Liste gesetzt, die sie daran hindert, wieder ausländische Hausangestellte einzustellen“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Das Ministerium werde sie dazu drängen, alle ausstehenden Zahlungen, die sie ihren Hausangestellten schulden, zu begleichen, bevor diese nach Äthiopien zurückgeführt würden.

Frauen und Mädchen aus Süd- und Südostasien sowie „eine zunehmende Zahl aus Ost- und Westafrika“ seien im Libanon „häuslicher Knechtschaft“ ausgesetzt, schreibt das US-Außenministerium in seinem Jahresbericht 2019 zum weltweiten Menschenhandel.

Libanesische Regierungsbeamte und NGOs berichteten, „dass die meisten Arbeitgeber die Pässe ihrer Arbeitnehmer zurückhalten, wodurch das Risiko des Menschenhandels besteht, und NGOs berichten, dass der Missbrauch von Hausangestellten in der Regel nicht ausreichend gemeldet“ werde. Viele Wanderarbeitnehmer kämen über legale Arbeitsagenturen in den Libanon, würden jedoch später von ihren Arbeitgebern ausgebeutet, missbraucht oder wie Sklaven verkauft.

„Sind schwarze Leben im Libanon wirklich wichtig? Die kurze Antwort lautet: Nein“, schreibt Amr Jomaa, ein libanesischer Mitarbeiter der Schweizer NGO Centre for Humanitarian Dialogue, in einem Gastbeitrag für die Website Beirut Today. Es sei „kein Geheimnis“, dass der Libanon es versäumt habe, Gastarbeiter „fair zu behandeln“. Das Land leide unter einer „Vielzahl von Problemen“, so Jomaa. Für viele Bürger habe die Abschaffung des Kafala-Systems daher keine Priorität. Doch die Gesellschaft werde sich „niemals weiterentwickeln, wenn sie nicht die Fesseln aller Männer und Frauen löst, die in unseren Haushalten leben“.

Äthiopierinnen stellen die Mehrheit der ausländischen Hausangestellten im Libanon. 145.000 von ihnen sind bei den Behörden registriert, dazu kommt eine unbekannt Zahl von Frauen, die sich illegal im Land aufhalten.

 

MENA Watch - Foto: Äthiopische Arbeiterinnen protestiren vor der Botschaft gegen das "Kafala"-System im Libanon


Autor: Stefan Frank
Bild Quelle: Twitter Egna Legna Besidet እኛ ለኛ በስደት)


Sonntag, 14 Juni 2020