Ankara drängt nach Gaza: Erdoğan plant Entsendung türkischer Truppen – gegen Israels ausdrücklichen WillenAnkara drängt nach Gaza: Erdoğan plant Entsendung türkischer Truppen – gegen Israels ausdrücklichen Willen
Ein gefährliches Machtspiel um Einfluss, Prestige und Kontrolle: Während Israel warnt, bereitet sich die Türkei auf einen militärischen Einsatz in Gaza vor. Die Entscheidung darüber fällt letztlich in Washington.
Ein Bericht aus Ankara sorgt für erhebliche Unruhe in Jerusalem: Die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereitet offenbar die Entsendung eines groß angelegten Militärkontingents in den Gazastreifen vor – entgegen der ausdrücklichen israelischen Ablehnung. Laut Informationen des Nachrichtenportals Middle East Eye befindet sich das Projekt bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Etwa 2.000 türkische Soldaten sollen sich in Ausbildung für eine internationale „Friedensmission“ befinden, die offiziell unter dem Mandat der Vereinten Nationen laufen soll.
Die türkische Initiative – oder der Griff nach regionalem Einfluss
In Ankara wird der geplante Einsatz als Beitrag zur „Stabilisierung“ Gazas und zur Sicherung der Waffenruhe dargestellt. Doch hinter der humanitären Rhetorik steht ein klarer politischer Anspruch: die Rückkehr der Türkei als dominanter Akteur im Nahen Osten – auch auf Kosten Israels. Ein hoher türkischer Beamter formulierte es offen: „Unsere Präsenz wird Glaubwürdigkeit und Balance schaffen.“
Die Truppe, die laut Berichten aus verschiedenen Armeeeinheiten zusammengestellt wird, umfasst Ingenieure, Logistiker, Sanitäter und Kampftruppen mit Erfahrung in internationalen Missionen, etwa auf dem Balkan oder in Somalia. Rund 1.000 Soldaten sollen sich bereits freiwillig gemeldet haben. Unklar ist, ob auch Marineeinheiten beteiligt werden – eine Option, die im Kontext des Roten Meeres und der strategischen Seewege durchaus Bedeutung hätte.
Israels „rote Linie“
In Jerusalem reagiert man alarmiert. Regierungsquellen betonen, dass Israel die Anwesenheit türkischer Soldaten in Gaza als inakzeptabel betrachtet. Premierminister Benjamin Netanjahu soll US-Vizepräsident J.D. Vance bei dessen Besuch in Israel im vergangenen Monat unmissverständlich klargemacht haben, dass dies eine „rote Linie“ darstellt.
Ein hochrangiger israelischer Diplomat formulierte es gegenüber N12 so: „Die Türkei will ihren regionalen Einfluss ausweiten, indem sie sich als Schutzmacht der Palästinenser inszeniert. In Wahrheit untergräbt sie Israels Souveränität und versucht, westliche Legitimität für ihre neo-osmanischen Ambitionen zu gewinnen.“
Hinter den Kulissen ist Israel bemüht, über Washington sicherzustellen, dass kein türkisches Kontingent ohne Zustimmung Jerusalems entsendet wird. In Washington selbst herrscht laut diplomatischen Quellen Zurückhaltung. Die Regierung Trump, die auf eine pragmatische Koalition für den Wiederaufbau Gazas drängt, muss zwischen zwei schwierigen Partnern vermitteln – Israel und der Türkei, die beide über strategische Bedeutung verfügen, aber kaum Vertrauen zueinander haben.
Der entscheidende Faktor: das Weiße Haus
Letztlich wird die Entscheidung in Washington fallen. Präsident Donald Trump pflegt seit Jahren ein ambivalentes, aber persönliches Verhältnis zu Erdoğan. Beide stehen sich politisch nahe – zugleich weiß die US-Regierung, dass ein türkisches Truppenkontingent in Gaza Israels Sicherheitsinteressen direkt gefährden könnte.
Amerikanische Berater sehen in der türkischen Initiative auch einen Versuch, den Einfluss Irans und Katars auf die Nachkriegsordnung in Gaza zu begrenzen – doch in Jerusalem glaubt man nicht an altruistische Motive. Israels Haltung bleibt klar: kein fremdes Militär auf dem Boden, der unter israelischer Kontrolle entmilitarisiert wurde.
Symbolische Hilfe oder strategische Falle?
Offiziell betont Ankara, es handle sich um einen „multilateralen Friedenseinsatz unter UN-Mandat“. Doch die Erfahrungen aus Syrien, Libyen und Bergkarabach zeigen, dass türkische „Friedensmissionen“ selten neutral sind. Sie dienen regelmäßig als Instrumente geopolitischer Einflussnahme – durch Militärpräsenz, Geheimdienstaktivität und wirtschaftliche Expansion.
Ein israelischer Sicherheitsexperte formulierte es scharf: „Erdoğan will nicht den Frieden sichern, sondern die Erzählung beherrschen. Wenn türkische Soldaten nach Gaza kommen, werden sie nicht abziehen – sie werden dort bleiben, physisch oder politisch.“
Bröckelnde Koalition für die Stabilisierung
Während Ankara seine Pläne forciert, ziehen sich andere Länder zurück. Aserbaidschan, das ursprünglich als möglicher Teilnehmer der internationalen Stabilisierungstruppe galt, erklärte, dass es derzeit keine Truppen entsenden werde, „solange die Sicherheitslage instabil bleibt“. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben jede militärische Beteiligung ausgeschlossen. Deren außenpolitischer Berater Anwar Gargash bezeichnete den Vorschlag als „gefährlich und verfrüht in einer hochsensiblen Situation“.
Damit droht das gesamte Konzept einer multinationalen Friedenstruppe zu scheitern, bevor es begonnen hat. Ohne eine breite internationale Beteiligung könnte die Türkei versuchen, ihre Truppen notfalls unilateral zu entsenden – ein Szenario, das Israel als Provokation betrachten würde.
Erdoğan zwischen Kalkül und Risiko
Erdoğan spielt mit hohem Einsatz. Nach innen präsentiert er sich als Beschützer der Palästinenser und Führer einer islamischen Front gegen Israel. Nach außen versucht er, sich als unverzichtbarer Partner der USA zu positionieren – ein Gleichgewicht, das bislang noch keinem türkischen Staatschef dauerhaft gelungen ist.
Doch ein militärischer Schritt ohne israelisches Einverständnis würde die ohnehin belasteten Beziehungen zwischen Jerusalem und Ankara weiter verschlechtern. Israel könnte diplomatische und wirtschaftliche Gegenmaßnahmen ergreifen, während Washington gezwungen wäre, zwischen seinen Verbündeten zu vermitteln.
Ein Test für die Nachkriegsordnung
Die türkische Initiative zeigt, wie brüchig die internationale Nachkriegsarchitektur für Gaza ist. Während die USA und Israel versuchen, eine technokratische Übergangsverwaltung zu schaffen, nutzt Ankara die Unklarheit, um Einfluss zu gewinnen. Der Streit um den „Friedenstrupp“ wird so zum Symbol eines viel größeren Konflikts: Wer kontrolliert die Zukunft Gazas – westliche Verbündete Israels oder regionale Mächte mit eigenen Interessen?
Solange diese Frage unbeantwortet bleibt, bleibt auch die Waffenruhe fragil. Gaza ist nicht nur ein humanitärer Brennpunkt, sondern ein geopolitisches Schachbrett – und Erdoğan hat gerade seinen nächsten Zug angekündigt.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By The White House - https://www.flickr.com/photos/202101414@N05/54615269402/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=168602621
Mittwoch, 12 November 2025