Einander bekämpfen und umarmen im Nahen Osten

Einander bekämpfen und umarmen im Nahen Osten


Betrachten Sie drei Episoden innerhalb eines Jahrhunderts:

Einander bekämpfen und umarmen im Nahen Osten

Von Prof. Daniel Pipes

Im März 2019 gerieten die syrischen Jihadisten-Gruppen Hayat Tahrir al-Scham und Nationale Befreiungsfront aneinander, was zu 75 Toten führte.[1] Zwei Monate später schlossen sie sich zusammen, um Syriens Zentralregierung zu bekämpfen.[2] Im Oktober bekämpften sie einander wieder.[3]

1987 waren Saddam Hussein und Hafez al-Assad, die Diktatoren des Irak und Syriens, Todfeinde; dennoch wurden sie, als sie sich bei einem arabischen Gipfel trafen, "gesehen, wie sie miteinander herumgingen und scherzten".[4]

Während des Ersten Weltkriegs bekämpften Armenier und Azeris einander und dann begann mitten in dem, was der Historiker Tadeusz Swietochowski ein "Umschalten vom Töten zu Umarmungen" nennt, ... mitten im zwischengemeinschaftlichen Kampf die Idee eines transkaukasischen Föderalsimus die Runde zu machen, der regionalen Union der Georgier, Armenier und Aserbaidschaner, die in 1921/22 an der Transkaukasischen Union beteiligt waren.[5]

Wie diese Beispiele nahelegen, sind kaleidoskopische Koalitionen und Feindschaften eine der charakteristischsten politischen Merkmale des Nahen Ostens. Nur Vollzeit-Spezialisten können den Überblick über die Bürgerkriege in Libyen, dem Jemen und Syrien behalten – und sie sind dazu auf komplexe Werkzeuge angewiesen.[6]

Dieses Muster des einander Bekämpfens und Umarmens ist den Menschen des Nahen Ostens durchaus bekannt. Khalid al-Hasan von der PLO bezeichnete es als "arabische Natur" und erklärte: "Die arabische Geschichte hat nie eine endgültige Entfremdung gekannt. Sie ist voller Einigungen und Differenzen. Wenn wir streiten und dann des Streitens müde werden, stimmen wir überein. Wenn wir des Einvernehmens müde sind, streiten wir."[7] Faruq Qaddumi, ein weiterer PLO-Führer, stellte fest: "Einstellungen in der arabischen Region ändern sich wie der Sand im Wind – sie bauen sich auf und verschwinden dann schnell wieder."[8] Hussein Sumaida, ein Flüchtling aus Saddam Husseins Irak, verwendete dieselbe Analogie: "So etwas wie Verbündete gibt es im Nahen Osten nicht. Es gibt nur wechselnden Sand."[9]

Abd al-Hamid Zaydani, ein Islamistenführer im Jemen, formulierte es prägnant: "Entweder wir vereinen uns oder wir bekämpfen uns."[10] Barzan Ibrahim at-Takriti, Saddam Husseins Bruder, stimmte zu: "Entweder haben wir komplette Einigkeit oder ein allgemein zerstörerischer Krieg ist die einzige Alternative." Die übliche politische Beziehung, sagte er, "beginn mit Umarmungen und Küssen und endet ein Streit und Krieg."[11]

Zwei Hauptmuster stechen heraus: Palästinenser-Politik und Feinde, die sich gegen einen gemeinsamen Feind zusammenschließen und dann wieder auseinandergehen.

Palästinenser-Politik: 1967 schwor Ahmed al-Schuqayri eine Armee nach Amman zu führen "um Hussein außer Acht zu lassen" – heißt den König von Jordanien zu stürzen; kurz darauf brauchte er den König und erkannte ihn als "Kopf der Palästinenser" an.[12] 1970 bekämpften Arafat und Jordaniens König Hussein einander, kooperierten 1982, trennten sich 1983, verbündeten sich 1985, brachen 1986 miteinander und taten sich 1988 zusammen. Der syrische Intellektuelle Sadiq al-Azm stellte fest, wie eines Tages "die PLO-Führung König Hussein verurteilt und seinen Sturz fordert; als Nächstes sollte Arafat ihn dann bei einem Bankett küssen."[13] Kuwaits Außenminister Sabah al-Ahmad al-Sabah erinnerte sich, dass Arafats verräterisches Verhalten während der Invasion des Irak 1990/91 bedeutete, dass "das kuwaitische Volk ihn in Kuwait nicht haben will. ... Möge Gott verhüten, dass er nach Kuwait kommt, denn das ganze Land würde gegen ihn einen Aufstand veranstalten." Aber, so fuhr Sabah fort: "Als offizielle Vertreter treffen wir ihn im Rahmen der Arabischen Liga oder anderer Foren und wir tauschen Umarmungen aus."[14]

Mitte 1992 bekämpften Yassir Arafats und George Habaschs Milizen einander im Libanon; Aber als die beiden Führer sich im Oktober 1992 in Amman trafen, umarmten sie sich einander.[15] Die palästinensische Autonomiebehörde kooperiert manchmal mit Israel in Sicherheitsfragen und zu anderen Zeiten verlegt sie sich auf Aufhetzung und Mord. Solche Wendungen betrafen besonders Arafat; in Barry Rubins Beschreibung "erinnerte er sich immer, dass der Araberführer, der auf ihn schoss, eines Tages derjenige werden könnte, der ihn an einem anderen küsst und genauso umgekehrt."[16]

Feinde, die sich zusammentun: Islamisten, die Saddam Hussein bekämpft hatten, unterstützten ihn nach seiner Invasion Kuwaits 1990. Ähnlich lag Teheran mit ihm nur zwei Jahre zuvor im Krieg, machte aber jetzt mit ihm gemeinsame Sache gegen einen gemeinsamen Feind, die USA. Hamas und PA wechselten wiederholt dazwischen einander zu töten (insbesondere als die Hamas 2007 die PA gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieb) und dem Versuch ihre Kräfte gegen Israel zu vereinen. Recep Tayyip ErdoÄŸan, der Führer der Türkei, beleidigt leidenschaftlich ehemalige Verbündete wie die Führer Frankreichs, Deutschlands, Syriens und des Iran. Sollte iranische Aggression nachlassen, könnte diese Logik plötzlich die Abraham-Vereinbarungen vorzeitig beenden.

Was erklärt diese extreme politische Unbeständigkeit? Philip Salzman[17] erklärte das brillant als Ergebnis des Stammesethos, der von dem bekannten Spruch zusammengefasst wird: "Ich gegen meinen Bruder; ich und meine Brüder gegen meine Cousins; ich und meine Brüder und meine Cousins gegen die Welt." Diese vormoderne Mentalität ermutigt zu abrupten Veränderungen. Bis der Tribalismus ausstirbt wird die Nahost-Politik weiter von Amoral, Fluidität, Zeitweiligkeit, Unbeständigkeit und Widerspruch gekennzeichnet sein.

[1] Agence France-Presse: Syria rebel-jihadist clashes kill dozens: monitor. France24, 1. März 2019.

[2] Anchal Vohra: Turkey-backed fighters join forces with HTS rebels in Idlib. Al Jazeera, 22. Mai 2019.

[3] Jared Szuba: Turkey-backed rebels announce unification under 'Syrian National Army'. The Defense Post, 4. Oktober 2019.

[4] Elie A. Salem: Violence and Diplomacy in Lebanon: The Troubled Years, 1982-1988. London (I. B. Tauris), 1995, S. 249.

[5] Tadeusz Swietochowski: Azerbaijan: Between Ethnic Conflict and Irredentism. Armenian Review, Sommer/Herbst 1990, S. 47, 37.

[6] Zum Beispiel Yemen Matrix: Allies & Adversaries vom Washington Institute for Near Eastern Policy.

[7] Radio Monte Carlo, 11. Dezember 1984.

[8] Zitiert in: Al-Majalla, 18. Juni 1986.

[9] Hussein Sumaida/Carole Jerome: Circle of Fear: My Life as an Israeli and Iraqi Spy. Washington (Brassey's) 1994, S. 75, 258.

[10] Zitiert in: Agence France Presse, 15. April 1990.

[11] Zitiert in: Al-Jumhuriya (Bagdad), zitiert in: Babil, 9. Mai 1994.

[12] Zitiert in: Michael B. Oren: Six Days of War: June 1967 and the Making of the Modern Middle East. New York (Oxford University Press) 2002, S. 131.

[13] Wie von Barry Rubin umschrieben in: Revolution Until Victory? The Politics and History of the PLO. Cambridge (Harvard University Press), 1996, S. 37.

[14] Interivew von al-Hayat und berichtet von Agence France Presse, 28. Juli 2001.

[15] Radio Monte Carlo, 8. Oktober 1992.

[16] Rubin: Revolution Until Victory?, S. 128.

[17] In: Culture and Conflict in the MiddleEast. Amherst, NY (Prometheus) 2008.

 

Übersetzt von H. Eiteneier


Autor: Prof. Daniel Pipes
Bild Quelle: Unknown authorUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons


Mittwoch, 14 April 2021