Der Papst, der Großscheich und die Toleranz

Der Papst, der Großscheich und die Toleranz


Papst Franziskus hat mit seinem Besuch auf der arabischen Halbinsel für Begeisterung gesorgt.

Der Papst, der Großscheich und die Toleranz

Von Stefan Frank

Vor allem sein Treffen mit dem Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al Tayyeb, fand großen Anklang. Am 4. Februar 2019 hat das Zeitalter der religiösen Toleranz begonnen (zumindest, was die knapp 40 Prozent der Weltbevölkerung betrifft, die katholisch oder sunnitisch sind, nur für die können der Papst und der Großscheich schließlich die Hand ins Feuer legen), wenn man den Pressestimmen Glauben schenken darf: „Begrüßt wurde Papst Franziskus vom Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al Tayyeb. Die Al-Azhar-Universität ist das wichtigste Lehrzentrum des sunnitischen Islam. Der Großscheich und der Papst sind Freunde“, informierte Malte Lehming im Berliner Tagesspiegel seine Leser.

„Mit Hilfe des interreligiösen Dialogs hoffen sie, Einfluss auch auf die innerislamische Debatte nehmen zu können. Als vermittelnde Institution dient der Muslimische Ältestenrat, der 2014 gegründet wurde und dessen Vorsitzender der Kairoer Großscheich ist. Der Ältestenrat versteht sich als Gegenbewegung zu den Muslimbrüdern. Ihm gehören gemäßigte sunnitische Geistliche aus diversen islamischen Staaten und islamisch geprägten Gesellschaften an.“

Das klingt vielversprechend. Der Bericht der Frankfurter Rundschau geht noch weiter. Die „internationale Gelehrten-Vereinigung“, an deren Spitze al-Tayyeb stehe, „steht für einen toleranten Islam“. So steht es da. Da also ist er, der tolerante Islam. Warum bloß wurde so lange nach ihm gesucht, wenn der Chef der mächtigsten sunnitischen Institution sein oberster Verfechter ist? Manchmal, so scheint es, sieht man einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht. Die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) teilt mit:

„Am Montag hatten Franziskus und der ägyptische Großimam Ahmad Mohammad al-Tayyeb die gemeinsame Erklärung für Frieden und Geschwisterlichkeit unterzeichnet. Darin verurteilen sie Gewalt und Extremismus im Namen der Religion und werben für Menschenrechte. Die Erklärung sei ein Zeichen der Gemeinsamkeit, ‚gerade in einer Zeit, in der die Versuchung groß ist, tobende Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gesellschaften zu sehen’, so Franziskus. Er rief dazu auf, das Dokument zu lesen.“

Das wollen wir tun, hier ist die Erklärung im Wortlaut. Dreimal taucht darin der Begriff „Toleranz“ auf. Der Papst und der Großscheich fordern „ein ernsthaftes Engagement zur Verbreitung einer Kultur der Toleranz“ und geben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass „der Dialog, die Verständigung, die Verbreitung der Kultur der Toleranz“ „beträchtlich dazu beitragen, viele wirtschaftliche, soziale, politische und umweltbezogene Probleme zu verringern, die einen großen Teil des Menschengeschlechts bedrängen“. Damit ihre gemeinsame Erklärung für Toleranz auch jedem klar wird, erklären sie, dass sie als „ein Aufruf an den, der die Werte der Toleranz und Brüderlichkeit, die von den Religionen gefördert und unterstützt werden, liebt“, verstanden werden soll.

Da bleibt nur die Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion?“ Gilt die Toleranz da auch? Ein Blick ins Archiv zeigt, dass diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt wird. Im Juni 2017 zitierte Mena Watch anlässlich des Treffens des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière mit al-Tayyeb auf dem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ausgerichteten Kirchentag aus einem Beitrag der Website Vice, der heute so aktuell ist wie damals. Krsto Lazarević schrieb:

„Das Publikum [des Kirchentags; S.F.] musste davon ausgehen, einen moderaten Moslem vor sich zu haben. Das liegt auch daran, dass Thomas de Maizière ihm keine kritischen Fragen gestellt hat. Dabei wären einige kritische Fragen zu Ahmad al-Tayyebs eigener religiöser Toleranz angebracht gewesen. Thomas de Maizière hätte ihn fragen können, warum sich der Groß-Imam dafür einsetzt, die Abkehr vom Islam mit dem Tod zu bestrafen.“

Ja, warum eigentlich? Der Großscheich hat das in einem Fernsehinterview einmal ausführlich erklärt, und da seine Zeit sicherlich knapp bemessen ist, zitieren wir der Einfachheit halber dieses, statt al-Tayyeb erneut zu befragen. „Die derzeitigen Rechtsgelehrten“, so al-Tayyeb, „stimmen überein – und auch die Rechtsgelehrten der Vergangenheit –, dass Apostasie [der Abfall vom Islam; S.F.] ein Verbrechen ist.“ Der Moderator fragte nach: „Alle Rechtsgelehrten sehen das so?“, worauf Al-Tayyeb antwortete: „Man kann sagen, dass alle Rechtsgelehrten darin übereinstimmen. Einige ganz wenige sind anderer Meinung, doch man kann sagen, dass alle darin übereinstimmen.“ Der Moderator: „Mehr oder weniger jeder?“ Darauf Al-Tayyeb:

„Die vier Schulen des Rechts sind sich einig, dass Apostasie ein Verbrechen ist und dass ein Apostat aufgefordert werden sollte, Buße zu tun, und wenn er das nicht tut, sollte er getötet werden.“

Bei dieser Gelegenheit sagte al-Tayyeb auch, dass „das Konzept der Menschenrechte“ „voller tickender Zeitbomben“ sei.

„Keine muslimische Gesellschaft könnte je sexuelle Freiheit, Homosexualität und so weiter als ein persönliches Recht betrachten. Muslimische Gesellschaften betrachten diese Dinge als Seuchen, die bekämpft und behandelt werden müssen.“

Wie passen diese Äußerungen zu der Wahrnehmung von al-Tayyeb als einem Vorkämpfer der Toleranz? Hatte der Großscheich bloß einen schlechten Tag? Nein, al-Tayyeb und die Institution, die er vertritt – al-Azhar – sind sehr konsistent, was diese Frage betrifft. In einer gültigen Fatwa von 1978 steht es schwarz auf weiß. Vor den Fatwa-Rat von Al-Azhar wurde damals folgende Frage gebracht: Ein muslimischer Ägypter hat eine deutsche Christin geheiratet; das Paar hat sich geeinigt, dass der Mann zum christlichen Glauben übertritt. „Was ist die Haltung des Islam dazu? Wie soll er bestraft werden? Sind seine Kinder als Muslime oder als Christen anzusehen?“ Die Antwort:

„Der Mann hat Apostasie begangen; ihm muss eine Chance gegeben werden, Buße zu tun, und wenn er das nicht tut, dann muss er gemäß der Scharia getötet werden. Was seine Kinder betrifft, so werden sie, solange sie Kinder sind, als Muslime betrachtet, doch wenn sie das Alter der Pubertät erreichen, dann sind sie, wenn sie im Islam bleiben, Muslime, doch wenn sie den Islam verlassen und nicht Buße tun, müssen sie getötet werden, und Allah weiß es am besten.“

In der gemeinsamen Erklärung des Papstes und des Großscheichs heißt es:

„Al-Azhar und die Katholische Kirche bitten, dass dieses Dokument Forschungs- und Reflexionsgegenstand in allen Schulen, in den Universitäten und in den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen werde, um dazu beizutragen, neue Generationen zu bilden, die das Gute und den Frieden bringen und überall das Recht der Unterdrückten und der Geringsten verteidigen.“

Ein Anregung: Schulen, Universitäten und Erziehungs- und Bildungseinrichtungen sollten die gemeinsame Erklärung von Franziskus und al-Tayyeb zusammen mit der Apostasie-Fatwa studieren – gemeinsam sind sie ein Reflexionsgegenstand, für den ein Leben kaum ausreicht.

 

MENA Watch


Autor: MENA Watch
Bild Quelle:


Sonntag, 10 Februar 2019

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