Korruption: Verfahren gegen Cristina Kirchner eskaliert außergerichtlich

Korruption: Verfahren gegen Cristina Kirchner eskaliert außergerichtlich


Nachdem die Staatsanwaltschaft im Korruptions-Prozess gegen die argentinische Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner eine Haftstrafe von zwölf Jahren gefordert hat, warnte ihr direkter Vorgesetzter, Staatspräsident Fernández, gestern Abend den ermittelnden Staatsanwalt Luciani eindringlich vor einem „Selbstmord“ à la Nisman.

Korruption: Verfahren gegen Cristina Kirchner eskaliert außergerichtlich

Von Ramiro Fulano

Zum Hintergrund: Gegen Frau Kirchner wurde seit drei Jahren wegen der Veruntreuung von rund einer Milliarde Dollar ermittelt. Die Staatsanwaltschaft in Buenos Aires sieht es als erwiesen an, dass Frau Kirchner während ihrer zweimaligen Amtszeit als argentinische Staatpräsidentin eine – so die Anklage – von ihrem verstorbenen Ehemann Nestor Kirchner gegründete kriminelle Vereinigung geleitet hat, um eine Milliarde Dollar aus Staatsmitteln zu veruntreuen. Die Gelder waren für Straßenbauprojekte in Santa Cruz, der Heimatprovinz der Kirchners, bestimmt und seien – so die Anklage – durch den mit den Kirchners befreundeten Tiefbauunternehmer Baéz (ohne einschlägige Branchenerfahrung) nicht zweckentsprechend verwendet, sondern auf Privatkonten von Hotelunternehmen der Kirchners platziert worden. Viele weitere Personen sind im Verfahren „Vialidad“ zusammen mit Frau Kirchner angeklagt.

Bereits am Montag hatte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von zwölf Jahren, die Aufgabe des passiven Wahlrechts auf Lebenszeit sowie eine Erstattung der angeblich im Amt veruntreuten Beträge von Frau Kirchner gefordert. Öffentlich wird davon ausgegangen, dass es im Fall eines Schuldspruchs zur Berufung am Kassationsgericht in Buenos Aires kommt. Danach kann es erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauern, bis der Oberste Gerichtshof der argentinischen Republik die Sache endgültig entscheidet. Bis zu diesem Punkt – im laufenden Verfahren – wäre Frau Kirchner nicht schuldig gesprochen, könnte also 2023 wiederum für das Präsidialamt kandidieren.

All dem zum Trotz hat der Amtsinhaber, Alberto Fernández, gestern in einem aufsehenerregenden Interview mit dem Staatsender Tele Notícias eine „Warnung“ gegen den ermittelnden Staatsanwalt ausgesprochen. Und die Warnung ist bekanntlich die freundliche Seite der Drohung: Luciani solle sich davor hüten, dass er nicht wie einst Staatsanwalt Nisman Selbstmord begeht. Nisman schied 2015 gewaltsam aus dem Leben, zwei Tage bevor er Beweise für eine angebliche Verwicklung der damaligen Staatspräsidentin Cristina Kirchner in den Anschlag auf die AMIA präsentieren wollte. Der Zentralsitz der israelischen Gemeinden in Argentinien war 1992 Ziel des bislang schlimmsten antisemitischen Attentats in Argentinien. Es kamen 84 Menschen ums Leben, als ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen vor dem Gebäude zur Explosion gebracht wurde. Als Handlanger wird die vom Iran finanzierte Hezbollah angesehen, wobei Experten vermuten, dass es darüber hinaus auch ein örtliches Unterstützerumfeld gab.

Betreffend den Tod des Staatsanwalts Nisman kam die Polizei zunächst zu dem Schluss, dass es sich um Selbstmord gehandelt habe. Anschließende Ermittlungen der Bundesbehörden kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass hier Fremdverschulden vorlag. Das Verfahren ist seit mehreren Jahren erstinstanzlich unverhandelt. Weiterhin von Selbstmord auszugehen, setzt ein erschreckendes Maß an Unkenntnis in dieser sensiblen Affäre voraus – oder aber den Versuch einer gezielten Provokation von Staatswegen. Für die Opposition sprach Elisa Carrió – nicht immer für ihre Diplomatie und Finesse bekannt – bereits von einer „Mafia-Botschaft“ des Präsidenten. Im Sinne der Formulierung: „Nette Familie haben Sie – wäre schade, wenn ihr was zustößt.“ Der ermittelnde Staatsanwalts Luciani kritisierte Präsident Fernández anschließend für seinen, wie er es ausdrückte, „Unterjochungsversuch“. Die argentinische Bundespolizei hat seinen Personenschutz inzwischen auf Lucianis eigenen Wunsch verdoppelt

Auf die Äußerungen von Staatspräsident Fernández wurde – außerhalb seiner peronistischen Basis – kritisch bis schockiert reagiert. Der Vizepräsident der Vereinigung der Staatsanwälte erinnerte Fernández heute daran, dass er für den Schutz aller in der Justiz tätigen Personen zuständig sei. Der Vorsitzende der Richtervereinigung bestätigte diese Einschätzung und betonte, sein Berufstand müsse in der Lage sein, frei von äußerer Einflussnahme zu arbeiten und zu entscheiden. Die Opposition beschuldigte Fernández, ein Klima der Angst zu schüren und an einem Pulverfass zu zündeln.

Derweil ruft die peronistische Basis bereits zu Massenkundgebungen auf, offensichtlich mit dem Ziel, Frau Kirchner außergerichtlich zu unterstützen. Am späten Montagabend kam es am Wohnsitz der Angeklagten im Nobelviertel Recoleta bereits zu lautstarken Protesten ihres politischen Umfelds „gegen das Imperium und die Oligarchie“. Frau Kirchner präsentierte sich am Tag darauf an ihrem Amtssitz im Senat in der mündlichen Verhandlung als unnachgiebig. Sie führte aus, gegen sie würde ein politischer Schauprozess angestrengt, von den Vorgängen während ihrer Amtszeit habe sie nichts gewusst und wer eigentlich auf der Anklagebank sitzen müsse, sei ihr Amtsvorgänger, Ex-Staatspräsident Maurico Macri. Frau Kirchner wirkte in der mehrstündigen Anhörung aufgebracht, erregt und ließ keinen Versuch aus, sich als Opfer einer Intrige zu inszenieren. Anschließend ließ sie sich von Anhängern vor dem Senatsgebäude feiern und regte sie dazu an, den Peronisten-Marsch anzustimmen. Ein Urteil wird gegen Ende des Jahres erwartet.


Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: Presidencia de la Nación Argentina, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons


Freitag, 26 August 2022

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




empfohlene Artikel
weitere Artikel von: Ramiro Fulano

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage