Rede von Dieter Graumann zum 40. Jahrestags des Olympia-Massakers: `Tränen lügen nicht´

Rede von Dieter Graumann zum 40. Jahrestags des Olympia-Massakers:

`Tränen lügen nicht´


`Tränen lügen nicht´

Rede von Dr. Dieter Graumann anlässlich der Gedenkveranstaltung in Fürstenfeldbruck, 5. September 2012

Es gilt das gesprochene Wort!
Dr. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, anlässlich der Gedenkveranstaltung in Fürstenfeldbruck am 5. September 2012 für die ermordeten israelischen Athleten der Olympischen Sommerspiele in München 1972 (Redemanuskript)

Herr Ministerpräsident,
Herr Bundesinnenminister,
Herr Vize-Premierminister Shalom,
Ihre Exzellenz: Herr Botschafter,
Herr Generalkonsul,
Herr Oberbürgermeister,
Herr Landrat,
Liebe Charlotte Knobloch,
Herr Dr. Bach,
Herr Professor Tröger,
Sehr geehrte, liebe Frau Spitzer, verehrte Angehörige
Verehrte Ehrengäste,
Meine Damen und Herren,

Die Zeit heilt Wunden, so heißt es oft.

Manche Wunden aber heilen niemals so ganz, und ihr Schmerz will einfach nicht vergehen.

Für mich selbst gehören die Ereignisse vom September 1972 zu den Einschnitten, die Gefühle in mir ausgelöst haben, die ich niemals vergessen kann. Es sind Gefühle, die ich noch heute immer wieder in mir selbst abrufen kann. Diese starken, und keineswegs glattgebügelten Gefühle will ich heute ein wenig mit Ihnen teilen.

Mit Gefühlen kann man aber nicht groß verhandeln und sie haben auch keine Diplomatenschule besucht – sie folgen vielleicht auch nicht immer in allen Details ganz den Konventionen der „Political Correctness".

Dafür bitte ich vorab nicht um Entschuldigung – aber doch um Verständnis.

Für uns Juden hier in Deutschland ist das Geschehen vom 5. September 1972 noch heute sehr präsent. Und traumatisch obendrein. Wie hatten wir uns doch darüber gefreut, dass wieder heitere Olympische Spiele in Deutschland stattfanden – so ganz andere als damals im Jahre 1936, und dass daran auch Sportler des jungen jüdischen Staates teilnahmen, im Spirit von Freundschaft und Kameradschaft.

Unvergesslich, für immer eingebrannt sind aber nun die Erinnerungen, die Empfindungen für uns und in uns – für uns, die wir die Schrecken sozusagen live in den Nachrichten miterlebt, mit gelebt und allesamt mit erlitten haben.

Niemals im Leben werden wir vergessen können, wie wir am Abend des 5. Septembers alle schlafen gingen mit der relativ beglückenden Nachricht: „Befreiungsaktion gelungen, keine weiteren Opfer, alle Geiseln leben." Und wie wir alle dann am nächsten Morgen erwachten und ungläubig, erstarrt und versteinert die ganz neue Nachrichtenlage zur Kenntnis zu nehmen hatten:

Alles falsch. Alles total missglückt. Alle tot.

Wer kann das je vergessen - eine solche traumatisch gewordene Umkehrung der Gefühle? Wie wir dann zusätzlich allmählich die Summe, die Serie, die Kette der schier unglaublichen Fehler und Versäumnisse der damals Verantwortlichen erkennen mussten: Angefangen vom Fehlen elementarster Ausrüstung, von nicht vorhandener Koordination, über katastrophale Kommunikation und schierer Schlamperei und so vielem mehr. Bei den Sicherheitsbehörden von damals offenbarte sich hier ein desaströser Dilettantismus, wie man ihn sich niemals vorgestellt hätte.

Und ich spreche überhaupt gar nicht von der Kategorie „Schuld", denn guten Willens waren ohne Zweifel alle Amtsträger. Aber dennoch die Fehler waren überall buchstäblich mit Händen zu greifen. Sie verursachten so viele Tränen und so heftigen Schmerz. Von Selbstkritik übrigens, keine Spur.

Vor allem aber erinnere ich mich noch allzu gut mit welcher lässigen Schnoddrigkeit die Sportfunktionäre von damals zu oft reagierten. Während israelische Sportler doch schon als Geisel genommen und zwei von ihnen sogar schon ermordet worden waren, liefen die Spiele zunächst ganz ungerührt weiter und erst auf Druck von außen wurden sie schließlich unterbrochen– das wird kein Mensch jemals verstehen können. Ich selbst werde das den Sportfunktionären von damals auch niemals vergeben.

Ebenso wenig die eisige Rede, die der damalige IOC-Präsident Avery Brundage bei der Trauerfeier hielt und sein berühmt gewordenes, frostiges Fazit, eiskalt von ihm vorgetragen: "The games must go on".

Man kann es sicherlich so auslegen, dass der Sport sich nicht von Terroristen erpressen lassen dürfe. Mag sein, zugegeben.

Ich selbst habe die Worte von Brundage aber damals so wahrgenommen, dass sie kalt waren und herzlos bleiben. Ich habe sie ganz persönlich wie folgt empfunden:

"The games must go on - Who cares that the Jews are gone!" - Dass jüdisches Blut eben billig war in den Augen der Welt, und dass das bloße Spiel nun einmal wichtiger war als das Leben von Juden.

Ich erlaube mir hier sehr offen zu sagen: Bei diesem speziellen IOC-Präsidenten war das auch so. Er selbst hatte schon bei den Olympischen Spielen 1936 in Deutschland, von den Nazis berechnend und bösartig als Propaganda-Maschine für den Faschismus genutzt, eine höchst zwielichtige Rolle gespielt und sich schon damals durch ekelhaft judenfeindliche Äußerungen hervor getan.

Mich wundert es daher überhaupt nicht, dass er dann, 36 Jahre später, unverständlicherweise inzwischen zum IOC-Präsidenten aufgestiegen, für die Ermordung von jüdischen Menschen so wenig Wärme aufbringen konnte.

Und als persönliche Erinnerung muss ich allerdings auch noch hinzufügen:

Auch die Rede des damaligen deutschen NOK- Präsidenten war, meiner seinerzeitigen Gefühlslage nach, keineswegs ein Beispiel an Wärme, an Herzlichkeit und an wirklicher Empathie. Der großen Verantwortung, speziell als deutscher NOK-Chef die richtigen Worte dafür zu finden, dass gerade in Deutschland wieder Juden ermordet worden waren, nur weil sie Juden waren, wurde er in gar keiner Weise auch nur ansatzweise gerecht. Diese Kälte bleibt bis heute ein dunkler Fleck in der neuen Geschichte des deutschen Sports.

Sportfunktionäre meinten damals offenbar vor allem dafür sorgen zu müssen, dass der Sport eben funktionierte, allem Terror zum Trotz.

Das olympische Feuer musste weiter brennen, fast um jeden Preis. Für mich selbst gilt freilich: Seit jenem Tag sehe ich, wann immer das olympische Feuer irgendwo entzündet wird, darin immer zuallererst das ewige Licht der Erinnerung an die ermordeten israelischen Sportler von damals.

Bei der damaligen großen Trauerfeier im Stadion war es, so empfand ich es, alleine der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann, der die richtigen und passenden Wort zu finden imstande war.

Während damals die jüdischen Sportler ihre letzte Heimreise antraten und ein ganzes Land weinte - und ich selbst auch weinte - wurden lakonisch Sportler zu Siegern gekürt, weil ihr getöteter israelischer Kontrahent nicht antrat, genauer: wegen Ermordung leider nicht präsent sein konnte.

Als Avery Brundage zum Abschied allen Sportlern sogar noch ein fröhlich-unbekümmertes "Auf Wiedersehen" auf den Weg gab - haben denn nur wir diese gigantische Taktlosigkeit empfunden? Denn für die ermordeten israelischen Sportler konnte es doch eben gar kein Wiedersehen geben.

Die Kälte des IOC dauert fort, sogar bis in unsere Tage hinein.

Bei der Eröffnungszeremonie in London bei der diesjährigen Olympiade verweigerte das IOC ausdrücklich und hartherzig eine Schweigeminute für die vor genau 40 Jahren ermordeten israelischen Sportler. Obwohl in einer Petition das über 110.000 Menschen sich doch gewünscht hatten.

Empathie ist anders, Frost geht so. Und kein Mensch, der ein Herz im Leib hat, wird diese vereiste Seelenlosigkeit des IOC in dieser Frage jemals billigen können.

Liebe Frau Spitzer, glauben Sie dennoch nicht, Ihre Bemühungen waren umsonst – denn wir alle, die wir Ihre Petition tatkräftig unterstützt haben, haben auch ohne den IOC an unsere Helden gedacht - mehr als nur eine Minute!

Freilich sehen wir hier, es geht auch anders. Dass diese Veranstaltung heute hier stattfindet, dass sie mit so viel Hingabe und Engagement organisiert und derart eindrucksvoll hochrangig besetzt ist, zeigt mir, dass hier bei uns in Deutschland, im Sport und in der Politik, es inzwischen sehr wohl die richtigen Instinkte von Herzlichkeit, das warme Gefühl von Empathie gibt. Andere, woanders, könnten davon inzwischen eine ganze Menge lernen.

Wie schön ist es doch, wenn gerade ich, als jüdischer Mensch in Deutschland, das heute feststellen darf und stolz darauf sein kann!

Dennoch stellt sich die Frage: Haben wir, hat die Welt, denn überhaupt viel gelernt seit damals? Ich zweifle. Denn wer spricht heute schon von den Ermordeten von damals?

Dagegen scheint Terrorismus seither sozusagen eine lässige Legitimität bekommen zu haben. Selbst die Hamas wird uns heute häufig als Friedenspartner präsentiert.

Dabei verfolgt sie doch ganz offen das Ziel, Israel zu vernichten und ausdrücklich sogar alle Juden auf der Welt zu ermorden.

Auch heute gibt es Terrorismus. Und wie sogar. Vor knapp einem Jahr ist Gilad Shalit, der blutjunge israelische Soldat, freigelassen worden, nachdem er mehr als fünf lange Jahre lang isoliert und grausam zynisch festgehalten wurde. Im Austausch hat Israel dafür so viele Gefangene frei gelassen, um genau zu sein: 1027. So viele für einen.

Dies ist der Triumph von Leben über den Kult von Tod und Hass.

Unter den Freigelassenen waren auch eiskalte, verurteilte Massenmörder, sadistische Killer mit Blut an ihren Händen: Sie sind dann von der Hamas, aber auch von Präsident Mahmud Abbas und den Massen in den palästinensischen Gebieten begeistert empfangen und gefeiert worden. Staatsempfang für Terroristen. Fiesta für Sadisten.

So viel hat die Welt also gar nicht gelernt.

Und dass der Iran heute die Mutter des Terrorismus ist, sein Pate und Financier – wird das denn immer genügend beachtet? Zum Teil schon, inzwischen. Aber noch immer längst nicht genug.

Dass wir heute die richtigen Schlüsse aus dem Attentat von damals ziehen - zumindest das sind wir doch den Ermordeten schuldig. Das Erinnern an die getöteten Menschen bleibt uns Anliegen und absolute Herzenssache.

Wissen wir doch: Die Trauer in den betroffenen Familien lässt niemals nach.

Die Lücken, die hier gerissen wurden, können niemals geschlossen werden.

Es ist ein Schmerz, der immer weh tut und niemals endet.

Man sieht: Unsere eigenen Gefühle sind noch immer machtvoll und stark. Vielleicht beherrschen sie uns sogar noch mehr als wir sie.

Auf jeden Fall: Meine Trauer zerreißt mir noch heute mein Herz. Meine Wut ist nicht verraucht. Mein Zorn von damals ist noch immer heftig und meine Tränen sind nicht getrocknet. Nach all den langen Jahren, nach vier Jahrzenten.

Ich habe mich niemals mit dem Drama, dem Sterben, der Kälte, dem Versagen und dem Schmerz von damals abgefunden.

Ich werde es nie tun.

 

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Autor: haolam.de
Bild Quelle:


Donnerstag, 06 September 2012

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