Kohl macht Honnecker Strich durch die Rechnung

Kohl macht Honnecker Strich durch die Rechnung


Kohl macht Honnecker Strich durch die Rechnung

Am 7. September 1987 wird der DDR-Staatschef in Bonn mit militärischen Ehren empfangen. Erich Honecker wähnt sich kurz vor seinem wichtigsten Ziel: der Anerkennung der DDR. Doch schon am Abend folgt die Enttäuschung. Denn der Gastgeber spricht Klartext.

Viele Menschen müssen an diesem Tag erst einmal schlucken: Vor dem Bundeskanzleramt wehen die bundesdeutsche und die DDR-Fahne nebeneinander, die DDR-Hymne ertönt. "Deutschland, einig Vaterland", heißt es in ihrem Text, doch den darf in der SED-Diktatur schon lange niemand mehr singen. Das Regime setzt alles daran, die deutsche Teilung zu zementieren. Und mit seinem Arbeitsbesuch am Rhein will Staats- und Parteichef Erich Honecker den Anspruch der DDR auf Anerkennung unterstreichen.

Schluckbeschwerden haben nicht nur viele Deutsche im Westen, die eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR ablehnen. Auch viele Menschen in der DDR, die auf Veränderungen hoffen, befürchten, der Besuch könne das SED-Regime stabilisieren.

Honeckers erste und einzige Westreise ist, genau genommen, ein Gegenbesuch. Nach den Begegnungen zwischen Willi Stoph und Willy Brandt 1970 in Erfurt und Kassel hatte Honecker Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 am Werbellinsee empfangen. Dessen Nachfolger, Helmut Kohl, erhielt die Gegeneinladung, die Schmidt dabei ausgesprochen hatte, aufrecht.

Kohls deutliche Tischrede

Als Honecker gemeinsam mit Kohl am späten Vormittag die Ehrenkompanie abschreitet, blickt er sehr zufrieden. Mit Mühe, so scheint es, muss er ein triumphierendes Lächeln unterdrücken. Beim Abendessen in der Bad Godesberger "Redoute" wirken Honeckers Gesichtszüge dagegen wie versteinert. Denn was Kohl in seiner Tischrede sagt, macht Honeckers Ambitionen zunichte.

Original-Ton Kohl: "Die Präambel unseres Grundgesetzes steht nicht zur Disposition, weil sie unserer Überzeugung entspricht. Sie will das vereinte Europa, und sie fordert das gesamte deutsche Volk auf, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Das ist unser Ziel. Wir stehen zu diesem Verfassungsauftrag, und wir haben keinen Zweifel, dass dies dem Wunsch und Willen, ja der Sehnsucht der Menschen in Deutschland entspricht."

"Feuer und Wasser"

Honecker bemüht sich, die Fassung zu wahren, und weicht in seiner Entgegnung nur einmal vom Redemanuskript ab. Sozialismus und Kapitalismus ließen sich ebenso wenig vereinigen wie Feuer und Wasser, sagt der Staatsratsvorsitzende. Eine verklausulierte Absage an alle, die sich Deutschlands Einheit wünschen – auch und gerade in der DDR. Denn Honecker weiß nur zu gut, dass dort viele Menschen das Geschehen verfolgen; Kohl hatte darauf bestanden, dass die Reden beiderseits der innerdeutschen Grenze live im Fernsehen übertragen werden.

Vielleicht komme ein Tag, "an dem Grenzen uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen, so wie uns die Grenze zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen vereint". Das sagt Honecker kurz vor seiner Rückreise in seinem saarländischen Heimatort Neunkirchen. Und eröffnet den Menschen in der DDR damit keine attraktive Perspektive: Reisen nach Polen sind für sie Ende der 1980er Jahre fast unmöglich.

Gorbatschows Reformen

Der "Ostblock" ist zu dieser Zeit schon kein Block mehr. Der neue Kreml-Chef Michail Gorbatschow hat der Sowjetunion Reformen verordnet. Glasnost und Perestroika lauten die Stichworte. Und – fast noch wichtiger – bereits kurz nach seiner Amtsübernahme hat Gorbatschow das Ende der so genannten Breschnew-Doktrin verkündet: Jedes Land sei ab sofort für seinen Weg selbst verantwortlich.

Vorbei sind also die Zeiten, in denen sozialistische Machthaber bei Volksaufständen auf sowjetische Panzer hoffen konnten – wie in Ostberlin 1953, Budapest 1956 und Prag 1968. Polen und Ungarn gehören zu den ersten Staaten, welche die neue Linie für Veränderungen nutzen.

Die DDR-Führung lehnt es strikt ab, die sowjetischen Reformen nachzuvollziehen. Ein Vierteljahr vor Honeckers Bonn-Besuch hat SED-Politbüromitglied Kurt Hager erklärt: "Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?" Zusehends isoliert sich die DDR auch gegenüber ihren Bündnispartnern.

Schwerter zu Pflugscharen

Wobei das SED-Regime bestens weiß, dass mehr und mehr Menschen in der DDR nicht nur neue Tapeten wollen. Als es im Juni 1987 in Ostberlin zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Volkspolizei kommt, werden "Gorbatschow"-Rufe laut. Die Bereitschaft gerade junger Leute, sich der Diktatur zu widersetzen, ist seit der Zwangsausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 von Jahr zu Jahr gestiegen.

Als sich in Polen 1980 die unabhängige Gewerkschaft Solidarność gründet, findet sie unter den Jugendlichen in der DDR viele Anhänger. Kurz darauf entsteht die Friedensbewegung, die unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" gegen Aufrüstung in Ost wie West protestiert. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bildet sich so etwas wie ein oppositionelles Netzwerk heraus. Oft ist es die Kirche, die Schutz bietet.

Alles das beobachtet der DDR-Staatssicherheitsdienst äußerst genau. Immer wieder versucht er, die Opposition zu unterdrücken. Aber je halsstarriger die Machthaber in Ostberlin werden, desto mutiger werden die Bürgerrechtler. Am Ende hilft Honecker seine Bonn-Visite nicht im Geringsten. Aus heutiger Sicht: eher im Gegenteil. Weil der Bundeskanzler Klartext sprach. Und damit allen Mut machte, die die Hoffnung auf eine Überwindung der Diktatur und der deutschen Teilung noch nicht aufgegeben hatten. Zwei Jahre später war es so weit.

 

Quelle: Bundesregierung


Autor: haolam.de
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Freitag, 07 September 2012

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