Diskussionsbeitrag zur Bundestagswahl: „Warum ich die SPD wähle“

Diskussionsbeitrag zur Bundestagswahl:

„Warum ich die SPD wähle“


„Warum ich die SPD wähle“

von Rechtsanwalt Grigori Lagodinsky

Bei der Beantwortung der Frage, warum ich die SPD wähle, verzichte ich im Nachfolgenden auf die Aufzählung der einzelnen Programmpunkte der SPD. Diese finden die Leser wohl auch selbst. Viel interessanter ist jedoch die Frage, warum diese so wichtigen Vorhaben der Sozialdemokraten ausgerechnet ganz im Sinne von uns – von jüdischen Deutschen ist. Als Vertreter einer Gemeinschaft, die zum größten Teil aus Zugewanderten aus der ehem. Sowjetunion besteht, hört man die Antwort bereits: „Du bist ja Migrant; da sind die Sozis und die Grünen eben am besten.“ Nun ganz Unrecht haben diese Menschen nicht. Trotzdem wähle ich die SPD auch als Jude.

So selbstverständlich es für mich auch ist, so stößt das manchen doch ziemlich auf. Für einige deutsch-jüdische Blogger und Autoren ist alles, was sich nur ansatzweise links von der politischen Mitte zu befinden scheint, eine Verkörperung des Unheimlichen und des gefährlichen, ja des gefährdenden. Dabei ist deren schon fast auffällige Vernachlässigung des rechten Spektrums nicht nur eine polemische Übertreibung, sondern trägt der eigentlichen Nähe einer Partei wie der SPD zu den jüdischen Werten nicht genügend Rechnung.

Ja, ich wähle diesen Sonntag die SPD. Und ich tue das aus Überzeugung und ohne Zweifel. Ich tue das nicht nur als einfacher Bürger – ich wähle die 150jährige Partei auch bewusst als jüdischer Bürger. Denn schon seit ihren frühen Zeiten verkörpert diese Partei den Geist einer Gesellschaft, der in der jüdischen Gemeinschaft zuhause ist. Es ist eine Partei, deren Werte auf dem Streben nach Gleichgewicht zwischen Rücksicht, gesellschaftlicher Solidarität, Gerechtigkeit und individueller Freiheit gründen. Wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die großen Denker in den Anfängen der Sozialdemokratie jüdisch waren und zu deren Lebzeiten diese Werte Mangelware waren.

Uns dagegen geht es heute viel besser als vor 100 Jahren. Wir leben in einer Demokratie. Ja, wir leben im Wohlstand. Allerdings ist dieses weiche Kissen trügerisch. Denn wir neigen dazu, lediglich die chronologischen Zusammenhänge zu vergleichen. Dabei übersehen wir, dass unsere Gesellschaft, unser Land, das im internationalen Vergleich heute so stabil erscheint, einer Tendenz erliegt, die uns in ähnliche Verhältnisse wie vor mehr als 100 Jahren bewegen kann. Das Versprechen „Aufstieg durch Bildung“ war aus jüdisch-sozialdemokratischer Sicht im letzten Jahrhundert die zentrale Forderung. Allerdings klingt dieses Versprechen heute für viele angesichts mangelnder Aufstiegschancen wie blanker Hohn. Es wurde durch den CDU/FDP-Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ abgelöst, der zynischerweise nichts als die Besitzstandswahrung der privilegierten Schichten im Blick hat.

Dies entspricht und entsprach nie dem modernen jüdischen Verständnis einer Gesellschaft. Die Juden reduzierten auch in ihren schwersten Zeiten selten das Gebot der Nächstenliebe nie auf dessen rein religiösen Inhalt. Es war vielmehr das Gebot des Alltags. Dies ist es heute noch. Und dafür treten wir jeden Tag auf unsere Art und Weise ein. Doch auch in dem Land, dessen Bürger wir sind, muss dieser Grundsatz weiterhin Bestand haben. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass Leistung zwar honoriert wird, jedoch wir anderen Menschen helfen, unabhängig von ihrem Hintergrund, eine Chance zu erhalten, ebenfalls selbst zu leisten.

Ja, mir ist bewusst, dass die meisten jüdische Wähler dem oben gesagten zustimmen und trotzdem mit einem „aber“ aufwarten: die Außenpolitik, das Verhältnis zu Israel. Dass dies zu einer zentralen Wahlentscheidung bei deutschen Juden verkommt, ist nicht verwunderlich. Immerhin haben fast alle von uns Verwandte oder zumindest gute Freunde dort. Es ist eben nicht nur die abstrakte religiöse und geschichtliche Bindung an dieses Land, wie manche sog. Israelkritiker meinen. Die Bindung ist ganz reell und sehr familiär, und natürlich emotional. Jedoch ist die Angst mancher deutschen Juden vor einer rot-grünen Regierung schlicht irrational.

Es wäre zwar fatal zu leugnen, dass im linken Spektrum Israelkritik zu einem geeigneten Deckmantel von Antisemiten geworden ist. Es wäre aber genauso fatal, daraus einen allgemeinen Schluss zu ziehen. Die rot-grüne Regierung z.B. hat in ihrer Amtszeit nie an der sog. „besonderen Beziehung“ zum Staat Israel gerüttelt. Auch wenn dies in Wahlkampfzeiten unpopulär ist, so muss man hervorheben, dass es nicht nur die Merkel-Regierung war, die Israel auch militärisch unterstützte – auch unter Rot-Grün sicherte Deutschland Israels Existenz durch Verkauf von U-Booten.

Genauso wie in der anderen Volkspartei tummeln sich jedoch auch in der SPD einzelne Gestalten, die sich offensichtlich bei der Parteiwahl geirrt haben – es sind nicht nur Antisemiten; auch andere Ressentiments werden durch sie bedient. Doch dies ist umso mehr ein Grund, die Werte der Sozialdemokratie zu stärken und sichtbar zu machen, denn diese sind nicht mit Verallgemeinerung und Vorurteilen vereinbar. Von manchen sichtbaren Linksantisemiten und Migrantenhassern sollten wir die Grundpfeiler der Sozialdemokratie nicht zerstören lassen. Die Sozialdemokratie ist das wahre politische Zuhause für Juden. Von hier aus setzen wir uns gemeinsam mit anderen Sozialdemokraten nicht nur gegen Antisemitismus und Rassismus ein, sondern auch für Gerechtigkeit und Freiheit in Deutschland und in der Welt – und ja, auch für den Staat Israel ein. Die Juden in Deutschland sollten sich dieser Nähe zu dieser Partei bewusst werden – über den 22. September 2013 hinaus.

 

Grigori Lagodinsky ist Bundesvorstand des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten / Foto: By Graf Foto (Eigenes Werk) [<font><font>CC-BY-SA-3.0</font></font>], via Wikimedia Commons

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Samstag, 21 September 2013

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