Kurdistan: Umkämpfte Oasen

Kurdistan:

Umkämpfte Oasen


Umkämpfte Oasen

Die Partei PYD hat ein autonomes Syrisch-Kurdistan ausgerufen. Doch nicht alle kurdischen Gruppen begrüßen diesen Schritt.

von Thomas von der Osten-Sacken

Eine Szene, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre: Der türkische Ministerpräsident trifft sich mit dem Präsidenten Irakisch-Kurdistans, und das auch noch symbolisch in Diyarba­kır, der wichtigsten Stadt im kurdischen Teil der Türkei. Genau das geschah Mitte November. Recep Tayyip Erdoğan und Massoud Barzani besprachen nicht nur Fragen der politischen und ökonomischen Kooperation, sondern nahmen auch noch medienwirksam an einer Massenhochzeit teil und lauschten danach der Musik des kurdischen Sängers Șivan Perwer, der bis vor kurzem noch eine persona non grata in der Türkei war.

Vieles hat sich verändert im Verhältnis der Türkei zu ihrem irakisch-kurdischen Nachbarn, der inzwischen nicht nur ein wichtiges Absatzgebiet für türkische Waren ist. Bald soll, geht es nach dem Willen Erdoğans und Barzanis, irakisches Öl direkt aus den kurdischen Autonomiegebieten durch eine neue Pipeline in die Türkei fließen.

Das Autonomiegebiet Irakisch-Kurdistan symbolisiert seit Jahren eine der wenigen Erfolgsgeschichten des Nahen Ostens. Als eine »Oase des Friedens und der Prosperität« und als »anderen Irak« bewirbt die kurdische Regierung ihre Region. In den Straßen von Arbil und Suleymaniah fällt es schwer sich vorzustellen, dass im West- und Zentralirak fast täglich Menschen Opfer terroris­tischer Anschläge werden und im benachbarten Syrien Bürgerkrieg herrscht. In neuen, teuren Autos fährt im Nordirak eine in den vergangenen Jahren reich gewordene Mittelschicht zur nächsten Shopping Mall oder trinkt überteuerten Cappuccino in Franchise-Coffeeshops.

Haben die Kurdinnen und Kurden also ihre historische Chance genutzt? Sind sie, wie in den vergangenen zwei Jahren gerne kolportiert wurde, die eigentlichen Gewinner des sogenannten arabischen Frühlings? Nur Tage bevor sich Erdoğan mir Barzani traf, rief Salih Muslim, der Vorsitzende der Demokratischen Unionspartei (PYD) in Syrien, das autonome Gebiet Rojava aus. Von nun an, erklärte die der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahe stehende PYD, sei Syrisch-Kurdistan nach dem Vorbild des benachbarten kurdischen Nordirak eine autonome Region und in Kürze werde man auch Parlamentswahlen abhalten.

Statt diesen Schritt zu begrüßen und Hilfe für die Verwirklichung kurdischer Selbstverwaltung in Syrien anzubieten, verurteilte Barzani ihn ausgerechnet während seines Türkei-Aufenthaltes und warf der PYD zudem vor, sie unterstütze das syrische Regime. Umgekehrt stieß Barzanis Besuch in der Türkei keineswegs nur auf Zustimmung, im südlich von Diyarbakır gelegen Quami­sh­li, der größten Stadt in Syrisch-Kurdistan, demonstrierten aufgebrachte Anhänger der PYD gegen Barzanis Besuch und warfen ihm vor, die kurdische Sache zu verraten. Auch von Seiten der PKK hagelte es Kritik. Zwar betonte Barzani, wie wichtig der Friedensprozess zwischen Türken und Kurden ihm sei. Dieser allerdings stockt seit Monaten, und immer öfter drohen Vertreter der PKK, den Waffenstillstand aufzukündigen.

Einiges hat sich also geändert in Kurdistan, vieles aber nicht. Wie eh und je untereinander tief zerstritten, konkurrieren die kurdischen Parteien um die Führungsrolle bei der »kurdischen Sache« und verbünden sich dabei nur zu gerne mit Regierungen der umliegenden Staaten, die alle nicht gerade als Förderer kurdischer Autonomie im eigenen Land gelten. Seit Jahren schwelt vor allem zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) und der PKK ein Machtkampf, der in der Vergangenheit häufig blutig ausgetragen wurde. Versuche, eine einigermaßen einheitliche kurdische Position zu entwickeln, sind bislang gescheitert. Zuletzt sollte in Arbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, eine pankurdische Konferenz stattfinden, auf der Repräsentanten aller Teile Kurdistans eine Vertretung wählen. Aufgrund der Konflikte wurde die Konferenz mehrmals verschoben und schließlich vorläufig abgesagt.

Während die DPK enge Beziehungen zur Türkei und den Golfstaaten pflegt und, wenn auch eher halbherzig, die Opposition gegen das Regime Bashar al-Assads in Syrien unterstützt, unterhält die PKK weiter beste Kontakte zum Iran. Wenig verwundert es deshalb, dass die iranische Regierung der PYD zur Ausrufung der Selbstverwaltung gratulierte. Auch aus Syrien hörte man keinerlei Kritik an diesem Schritt. Ob dagegen, wie türkische Medien behaupten, das Verhältnis zwischen der PYD und dem Regime Assads so eng ist, dass die Kurden Waffen aus den Beständen der syrischen Armee erhalten, sei dahingestellt.

Da die PYD, anders als andere kurdische Gruppen in Syrien, sich nicht als Teil der »Revolution« versteht, das heißt sich in der Regel nicht aktiv an Kämpfen gegen Regimetruppen beteiligt, sondern höchstens deren Gegner, islamistische Milizen im Norden des Landes, bekämpft, stellt sie für das Regime Assads derzeit keine Bedrohung dar. Deshalb hat es im Sommer de facto die Verwaltung des Nordostens übergeben. Seitdem befinden sich große Teile Syrisch-Kurdistans unter einer Art Doppelregierung: Neben kurdischen, von der PYD dominierten Komitees sind weiterhin Vertreter des Regimes präsent. Andere kurdische Parteien in Syrien klagen seitdem vermehrt über Repression durch den Sicherheitsdienst der PYD. Entsprechend wenig begeistert zeigten sich die meisten der in der gesamtsyrischen Opposition organisierten kurdischen Parteien über die Autonomieerklärung der PYD.

Die Türkei wiederum verfolgt mit Grauen, wie ein Alliierter beziehungsweise Ableger der PKK nun einen großen Teil der syrisch-türkischen Grenze kontrolliert und dort seine Macht sukzessive ausbaut. Die Türkei hat lange Zeit islamistische Rebellen in Syrien unterstützt und lässt noch immer Jihadisten über ihre Grenzen ins Nachbarland einreisen. Für al-Qaida und Konsorten gelten allerdings nicht nur die PYD, sondern auch die irakischen Kurden als Verräter und Abtrünnige. Vor kurzem hatte die Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß, erst werde man die PYD vernichten und danach die irakisch-kurdischen Parteien. Daran, dass sich in den Wirren des Bürgerkriegs ein islamistisches Kalifat in Nordsyrien herausbildet, kann allerdings keine kurdische Gruppe ein Interesse haben.

Als wichtige Hegemonialmacht, gestärkt durch das Genfer Atomabkommen und den Rückzug der USA aus der Region, versucht auch der Iran seinen Einfluss auf die kurdische Politik zu verstärken. Kein Wunder, dass die Ausrufung von Rojava deshalb von den irakisch-kurdischen Parteien Patriotische Union Kurdistans (Puk) und Goran begrüßt wurde. Lange war die Puk der größte Konkurrent der DPK, in den vergangenen Jahren regierten beide den Nordirak gemeinsam. Bei den Wahlen am 21. September allerdings wurde sie nur noch drittstärkste Partei hinter der oppositionellen Bewegung Goran, die 2009 von Dissidenten der Puk in Suleymaniah gegründet worden war. Ein harter Schlag für die Puk, deren Vorsitzender und zugleich amtierender irakischer Präsident, Jalal Talabani, sich seit Monaten von einem Herzschlag in einem deutschen Krankenhaus erholt. Fraglich ist, ob er je wieder zurückkehrt. Schon ist die angeschlagene Partei von Nachfolgekämpfen erschüttert, während der Iran seinen Einfluss auf die Puk, die, obwohl alles andere als religiös orientiert, schon immer ein enges stra­tegisches Verhältnis zum Iran hatte, weiter zu vergrößern sucht.

Es scheint, als ob sich die Kurdinnen und Kurden einmal mehr von konkurrierenden Regionalmächten instrumentalisieren lassen und sich damit die Polarisierung in einen protürkischen Block, bestehend aus der DPK und ihren Schwesterorganisationen im Iran und Syrien, und einen proiranischen aus Puk, PKK und PYD verstärken wird.

 

Erstveröffentlicht in der Jungle Word, zweitveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors - Foto: Fahne der PYD

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Sonntag, 08 Dezember 2013

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