Die Anklage gegen Sharon in Belgien: eine Fallstudie

Die Anklage gegen Sharon in Belgien: eine Fallstudie


Die Anklage gegen Sharon in Belgien: eine Fallstudie

Dr. Manfred Gerstenfeld interviewt Irit Kohn (direkt vom Autor)

Während des Libanon-Kriegs 1982 ermordeten libanesisch-christliche Milizen Hunderte Palästinenser in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila. Im Juni 2001 reichten mehrere Überlebende und Familienmitglieder von Opfern bei einem belgischen Gericht eine Klage ein, die sich nicht gegen die Mörder richtete, von denen viele bekannt waren. Die Eingabe nannte als Angeklagte den israelischen Premierminister Ariel Sharon, den israelischen Generalstabschef von 1982, Rafael Eitan und den damaligen Chef des Nordkommandos, General Amos Yaron.

Sie sagt: Zur Zeit der Eingabe hatte das belgische Recht universale Zuständigkeit wenn es um Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Völkermord ging. Eine Verbindung zum betroffenen Land war nicht nötig. Jede Privatperson in Belgien oder anderswo in der Welt konnte im belgischen Gerichtssystem eine Klage gegen jedermann einreichen, die als Antrag für eine Strafverfolgung dort dienen konnte.

Neunzehn Jahre waren seit den Massenmorden der libanesisch-christlichen Milizen vergangen. Die Klage schien politisch motiviert zu sein. Die Kläger warteten, bis Sharon Premierminister Israels wurde. Sie wollten ihn einem Strafverfahren wegen angeblicher Kriegsverbrechen unterwerfen. Sie behaupteten, da Sharon 1982 israelischer Verteidigungsminister war und mit den christlichen Milizen zusammenarbeitete, hätte er wissen müssen, dass es, wenn sie in die palästinensischen Flüchtlingslager kamen, dort ein Massaker geben würde.

Ich vertrat die Meinung, dass wir unseren Premierminister verteidigen sollten. Die Auslieferungsgesetze in Europa bedeuteten, dass, wenn Sharon in ein europäisches Land reisen wollte, Belgien einen Haftbefehl gegen ihn ausstellen könnte. Da andere europäische Länder Auslieferungsverträge mit Belgien haben, würde das in der Praxis bedeuten, dass Sharon Europa nicht besuchen konnte. Ginge der Fall in Belgien vor Gericht und wir fochten ihn nicht an, könnte der Richter sich entschließen, aufgrund der ihm von der anderen Seite vorgelegten Fakten zu entscheiden.

Wir hatten ursprünglich angenommen, dass wie in den meisten demokratischen Staaten bei einem Strafverfahren der belgische Staatsanwalt die Ermessensgewalt darüber hat, ob er Anklage erhebt oder nicht. Im Verlauf des Falls wurde klar, dass dieses Prinzip in diesem Fall vom belgischen Recht nicht aufrechterhalten wurde.

Unsere Darstellung war, dass die Klage politisch motiviert war. Die Massaker von Sabra und Shatila waren von einem Komitee unter Leitung des Präsidenten des israelischen Obersten Gerichtshofs untersucht worden, dem Richter Yitzhak Kahan. Wir wissen heute, dass es während der Morde nicht einen einzigen israelischen Soldaten in Sabra und Shatila gab.

Der belgische Ermittlungsrichter akzeptierte unsere Position damals und entschied, dass es keinen Grund für eine Anklage gab. Er schloss, dass die Mörder die christlich-libanesischen Milizionäre waren, die nicht vor Gericht gebracht wurden.

Die Klagenden wandten sich daraufhin an das belgische Appellationsgericht. Der belgische Generalstaatsanwalt, der vor dem Appellationsgericht auftrat, sprach sich in unserem Sinne aus. In 99 Prozent der Fälle wird die Ansicht des Generalstaatsanwalts vom Appellationsgericht übernommen. Am 12. Februar 2003 entschied das Gericht allerdings gegen uns. Unserem Rechtsanwalt und uns erschien dies als eine politisch motivierte Entscheidung.

Bei der Vorbereitung des Falles hatte ich das Gesetz zur universalen Zuständigkeit vieler, einschließlich europäischer Länder, analysiert. Alle außer Belgien verlangten die Anwesenheit des Betroffenen im Land, wo der Fall verhandelt werden würde, bevor die Ermittlungen begannen.

Schließlich wurde die Strafverfolgung Sharons infolge einer Entwicklung nicht weiter geführt, die nichts mit ihm oder Israel zu tun hatte. Unter dem Universal-Gesetz wurde 2003 eine Klage gegen Präsident George Bush senior, Außenminister Colin Powell und den General a.D. Norman Schwarzkopf wegen des Ersten Golfkriegs im Irak eingereicht. Die Vereinigten Staaten waren mächtiger als Israel. Sie sagten der belgischen Regierung, wenn ihre Justiz den Prozess fortführen würde, würde das NATO-Hauptquartier aus Brüssel weg verlegt werden.

Das brachte die Belgier aus dem Gleichgewicht. Sie begannen nun endlich zu verstehen, dass sie sich selbst Probleme geschaffen hatten. Das Parlament beeilte sich das Gesetz zu ändern und Änderungen wurden verabschiedet, die zukünftigen Klägern Hindernisse schufen. Dazu gehörten Vorkehrungen, dass ein Kläger oder ein Opfer drei Jahre lang in Belgien gelebt haben musste. Es hätte außerdem eine echte Verbindung zwischen dem vorgeworfenen Verbrechen und belgischen Interessen sowie mehrere andere derartige Bestimmungen geben müssen.

Ursprünglich gab es starke Bemühungen im Parlament diese drei Israelis nicht in die Ausnahmen des Universal-Gesetzes einzubeziehen, sondern nur die Amerikaner. Das jedoch hätte bewiesen, dass die Motivation zum Prozess gegen Sharon politisch war. Am Ende begriffen die belgischen Entscheidungsträger auch, dass ein solcher Zug sich juristisch nicht hätte halten lassen.

Dies ist die gekürzte Version eines Interviews, das auf Niederländisch in Manfred Gerstenfelds Buch „European-Israeli Relations: Between Confusion and Change“ (Die Beziehungen zwischen Europa und Israel: Zwischen Verwirrung und Wandel), dass 2006 in Jerusalem (Jerusalem Center of Public Affairs, Konrad-Adenauer-Stiftung) erschien.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war. Irit Kohn war damals Leiterin der internationalen Abteilung des israelischen Justizministeriums. Sie leitete in diesem Fall das israelische Verteidigerteam. 2011 wurde sie zur Präsidentin des Internationalen Verbandes jüdischer Rechtsanwälte und Juristen gewählt. - Erstveröffentlicht bei unserem Partnerblog Heplev / Foto: GPO

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Dienstag, 14 Januar 2014

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