Patientensicherheit: Der Krankenhaus-Report 2014

Patientensicherheit: Der Krankenhaus-Report 2014


Patientensicherheit: Der Krankenhaus-Report 2014

von Dr. Nathan Warszawski

19.000.000 Patienten werden jährlich in deutschen Krankenhäusern behandelt. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK mit beinahe 25.000.000 gesetzlich Versicherten schreiben in ihrem Krankenhaus-Report 2014, dass bei 1% der Krankenhauspatienten ein „unerwünschtes Ereignis" auftritt, welches vermeidbar ist, also bei 190.000 Patienten im Jahr. Jeder zehnte dieser Patienten verstirbt daran, entsprechend 19.000 Patienten im Jahr.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft DKG vertritt die deutschen Krankenhäuser. Die DKG findet den AOK-Bericht völlig übertrieben. Sie kommt auf 122 Todesfälle durch Behandlungsfehler im Jahr 2012. Die DKG erwartet eine öffentliche Entschuldigung von der AOK. Bisher verlangt die DKG nicht die Rücknahme des Krankenhaus-Reportes.

Der potentielle Patient ist verunsichert. Wer stirbt schon gerne im Krankenhaus, welches aufsucht wird, um gesund zu werden? Soll man Krankenhäuser meiden und lernen, Schmerzen und Behinderungen möglichst lange klaglos zu ertragen? Wo hat denn die AOK die Zahlen her? Stimmen sie überhaupt oder gibt es jährlich wirklich nur 122 vermeidbare Tote in allen Krankenhäusern Deutschlands?

Wenden wir uns als Erstes zur Frage, woher die Zahlen der AOK stammen.

Es gibt keine Studien in Deutschland über unerwünschte Ereignissen, über Behandlungsfehlern im Krankenhaus. Somit existieren auch keine Studien, die die Zahl von 19.000 vermeidbaren Verstorbenen jährlich belegen. Die Zahlen der AOK basieren auf US-amerikanische Studien. Es gibt es genügend Studien, dass die Verhältnisse in den amerikanischen Krankenhäusern denen in Deutschland gleichen. Die Zahlen in Deutschland entsprechen folglich denen der USA und werden von dort aus auf deutsche Größen reduziert.

Ist diese Beweiskette ausreichend, um solche Zahlen zu veröffentlichen?

Die Beweiskette reicht aus. Die Zahl von 19.000 jährlich in deutschen Krankenhäusern vermeidbaren Toten als Folge von Behandlungsfehlern kann jedoch zu hoch, aber auch viel zu niedrig gegriffen sein. Die Beweiskette spricht dafür, dass die richtige Zahl zwischen 10.000 und 30.000 liegt, keineswegs bei nur 122, wie von der DKG gewollt.

Damit kommen wir zur zweiten Frage: Warum gibt es in Deutschland keine durch Studien gesicherte Zahlen über vermeidbare Komplikationen mit Todesfällen in Krankenhäusern?

Jeder, der als Patient ein Krankenhaus des Öfteren aufsuchen muss, weiß, dass die Bürokratie dort im Laufe der Zeit zugenommen hat. Daten werden nicht nur in der Aufnahme erhoben, auch Ärzte und Krankenschwestern verbringen einen zunehmend größer werdenden Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Ausfüllen von Formularen, die auf diversen Computern gespeichert werden, die noch im kleinsten Behandlungsraum aufgestellt werden. Die Daten dienen der Abrechnung. Sind sie deshalb unzuverlässig?

Nein. Fehler in der Abrechnung kommen sicherlich vor, doch der Todeszeitpunkt wird richtig ausgefüllt. Es ist die durch eine vermeidbare Komplikation entstandene Todesursache, die Ärzte und Schwestern nicht beschreiben wollen und können. Somit gibt es auch keine medizinische Studien in Deutschland über vermeidbare Komplikationen mit Todesfolge in Krankenhäusern.

Warum wollen und können die Krankenhausärzte nicht die vermeidbaren Komplikationen aufschreiben?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst klären, wie vermeidbare Komplikationen entstehen. Die folgenden Texte entstammen dem Krankenhaus-Report 2014.

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wird immer älter. Auch die Patienten. Im Alter nehmen chronische Erkrankungen zu. Ab dem Alter von 60 Jahren ist niemand mehr gesund, er ist nur nicht genau genug untersucht worden, lautet ein harmloser Ärztewitz, der der Realität entspricht. Der medizinische Fortschritt bewirkt, dass immer mehr kränkere und ältere Patienten mit Erfolg behandelt werden, die früher als unbehandelbar galten. Wer wagt, gewinnt, kann jedoch auch verlieren. Vermeidbare Komplikationen bei über 80-jährigen würden schlagartig verschwinden, wenn kein Arzt Patienten dieser Altersgruppe mehr behandeln würde. Dank nicht erhobener Daten weiß niemand, wie sich die vermeidbaren Komplikationen mit Todesfolge auf die Altersstufen verteilen.

Die Krankenkassen bezahlen dem Krankenhaus die erbrachten Leistungen nach Fallpauschalen. Die Vergütung entspricht nicht der Verweildauer, der Zeit, die der Patient im Krankenhaus verbringt. Bei vorgegebenen Untersuchungen kann das Krankenhaus mehr verdienen, wenn die Leistungen in kürzerer Zeit erfolgen und die Verweildauer sinkt, um Platz für den nächsten Patienten zu schaffen. Die Anzahl der jährlich behandelten Patienten steigt. Die Anzahl der Patienten, die sich täglich auf Station befinden, bleibt konstant. Die Folge ist eine Arbeitsverdichtung. Mehr Untersuchungen werden in immer kürzeren Zeitabständen veranlasst und ausgewertet. Mehr Pateinten werden therapiert. Wie auch in der Industrie oder bei Behörden steigt unter diesen Umständen die Fehlerrate.

Leistungen, die höher bewertet werden, werden öfters angewandt. Das hat nichts mit bösem Willen zu tun, sondern ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, welches unser Miteinander erst ermöglicht. So kommt es zu nicht notwendigen Überversorgungen. Komplikationen aus nicht notwendigen Untersuchungen sind immer vermeidbar.

Es ist üblich, dass Chefärzte am Umsatz ihrer Abteilung beteiligt werden. Ein guter Chefarzt lockt viele Patienten an! Und ein schlechter? Auch er wird seinen Umsatz erhöhen wollen. Umfragen unter Privatpatienten, die von Chefärzten behandelt werden, ergeben, dass Chefärzte mehr Untersuchungen bei gut zahlenden Kunden anfordern.

Leistungsmengensteigerungen und Überversorgungen führen irgendwann zu einer Rationierung, da die Menge der Leistungen nicht beliebig erhöht werden kann. Rationierung bedeutet, dass eine medizinische Maßnahme, sei es Pflege, sei es Diagnostik oder Therapie, nicht oder verspätet eingeleitet wird. Komplikationen sind möglich.

Mehrere Studie aus den USA zeigen, dass in Abteilungen, in denen das Team sich gegenseitig unterstützt, mehr Behandlungsfehler registriert werden. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass in der Krankenhausabteilung, wo Respekt und kein Mobbing herrscht, frei über Fehler gesprochen wird. Dort, wo Mobbing herrscht, werden Fehler vertuscht. Der Arzt wird aus Selbstschutz Fehler verschweigen, um seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren.

Je zahlreicher das medizinische Pflegepersonal, je besser das medizinische Personal ausgebildet ist, desto geringer die Zahl der vermeidbaren Behandlungsfehler. Dies beweisen mehrere internationale Studien. In Deutschland kann man aus amtlichen Statistiken nicht schließen, ob eine Erhöhung des Pflegeaufwandes die Zahl von Behandlungsfehlern senkt. Aus diesem Grund werden Krankenhausträger nicht verpflichtet, mehr Pflegekräfte einzustellen und zu bezahlen. Die Anzahl der beschäftigten Krankenschwestern und Pfleger nimmt in Deutschland trotz Patientenzunahme ab! Im Gegensatz dazu hat eine vielbeachtete Studie in den USA herausgefunden, dass mehr gut ausgebildete Pflegekräfte nicht nur die Sterblichkeit im Krankenhaus reduziert, sondern auch zu finanziellen Einsparungen führt. Dank Fachkräftemangel trotz Werbung im Ausland kann und braucht dieses Problem in deutschen Krankenhäusern derzeit nicht angegangen werden.

Somit ist beantwortet, weshalb Krankenhausärzte keine vermeidbare Komplikationen aufschreiben wollen und können. Es ist der Selbstschutz. Wie viel Geld könnte eingespart, wie viele vermeidbare medizinische Fehler und wie viele Tote vermieden werden, wenn durch flache Hierarchien, durch gegenseitige Unterstützung statt Mobbing unter den Ärzten, das Misstrauen verschwindet und offen über Fehlergesprochen wird, ohne persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen? Brauchbare Studien über Mobbing im deutschen Krankenhaus mit Zahlenangaben sind weder vorhanden, noch geplant. Aus dem Deutschen Ärzteblatt wissen wir, dass die Anzahl der gemobbten Ärzte höher sein soll als angenommen.

 

Erstveröffentlicht in The Huffington Post Deutschland - Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors - Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-1107-020 / Ritter, Steffen / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

 

Dr. Nathan Warszawski bei haOlam.de (Auswahl):

 

haOlam.de - Interaktiv und zum mitgestalten

haOlam.de - die `Gefällt mir´-Seite bei Facebook - immer ich Echtzeit informiert werden, wenn neue Artikel und Meldungen bei haOlam.de online erscheinen

haOlam.de - Dein Magazin - die Facebook-Gruppe zum diskutieren der Artikel und zum vorschlagen von Themen und Artikeln für haOlam.de - und zum diskutieren rund um haOlam.de und die Themengebiete des Magazins.

 

 


Autor: fischerde
Bild Quelle:


Mittwoch, 29 Januar 2014

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




empfohlene Artikel

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage