Hallo Kurdistan

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Hallo Kurdistan

von Prof. Daniel Pipes, The Washington Times, 10. September 2014

Bevor ich den entstehenden Staat Kurdistan im Nordirak begrüßte, das muss ich zugeben, bin ich in der Vergangenheit gegen ihn gewesen.

Nachdem der 1991 Kuwait-Krieg geendet hatte und Saddam Hussein die sechs Millionen Kurden des Irak angriff, gab ich drei Argumente gegen eine Intervention Amerikas zu ihren Gunsten zu bedenken – Argumente, die heute immer noch allgemein zu hören sind: (1) Kurdische Unabhängigkeit würde das Ende des Irak als Staat bedeuten; (2) sie würde die kurdische Agitation für Unabhängigkeit in Syrien, der Türkei und dem Iran ermutigen, was zu Destabilisierung und Grenzkonflikten führen wird; und (3) würde sie zur Verfolgung nicht kurdischer Bevölkerung einladen, was "starken und blutigen Bevölkerungsaustausch" verursachen würde.

lle drei Erwartungen erwiesen sich als völlig falsch. Angesichts der erbärmlichen innen- wie außenpolitischen Bilanz des Irak, dem Ende eines geeinten Irak verspricht Hilfe, ebenso kurdische Bewegungen in den Nachbarländern. Syriens bricht in seine drei ethnischen und religiösen Komponenten (Kurden, sunnitische Araber und schiitische Araber) auseinander, woraus man langfristig Vorteile erwarten kann. Der Austritt der Kurden aus der Türkei behindert die unverantwortlichen Ambitionen des inzwischen zum Präsidenten gewählten Recep Tayyip Erdoğan. Gleichermaßen wird, wenn die Kurden den Iran verlassen, dessen erzaggressives Mini-Reich hilfreich aufgebrochen. Weit davon entfernt, dass Nichtkurden aus dem irakischen Kurdistan fliehen, wie ich es befürchtete, ist das Gegenteil eingetreten: Hunderttausende Flüchtlinge strömen aus dem Rest des Irak hin, um von Kurdistans Sicherheit, Toleranz und Chancen zu profitieren.

Ich kann diese Fehler erklären: 1991 wusste niemand, dass autonome kurdische Herrschaft im Irak so aufblühen würde, wie das geschah. Die Kurdistan-Regionalregierung (KRG), die im folgenden Jahr entstand, kann (leicht übertrieben) die Schweiz des muslimischen Mittleren Ostens genannt werden. Ihr bewaffnetes, wirtschaftlich gesinntes Bergvolk strebt danach in Ruhe gelassen zu werden, um zu gedeihen.

Man konnte 1991 auch nicht wissen, dass die kurdische Armee, die Peschmerga, sich als kompetente und disziplinierte Streitmacht etablieren würde; dass die KRG die terroristischen Methoden ablehnen würde, die damals von Kurden in der Türkei berüchtigterweise angewandt wurden; dass die Wirtschaft boomen würde; dass die beiden führenden Familien der Kurden, die Talabanis und die Barzanis, lernen würden miteinander auszukommen; dass die KRG verantwortliche Diplomatie betreiben würde; dass ihre Führung internationale Handelsabkommen unterzeichnen würde; dass zehn höhere Bildungsinstitutionen entstehen würden; und dass die kurdische Kultur aufblühen würde.

Doch all dies trat ein. Die israelische Wissenschaftlerin Ofra Bengio beschreibt es so: "Das autonome Kurdistan hat sich als der stabilste, wohlhabendste, friedlichste und demokratischste Teil des Irak erwiesen."

Was steht als Nächstes auf der Tagesordnung der KRG?

Als erstes heißt es für die Peschmerga, nach schweren Verlusten an den Islamischen Staat neue Kämpfer auszubilden, sich wieder zu bewaffnen und mit ehemaligen Gegnern wie der irakischen Zentralregierung und den türkischen Kurden taktisch zu verbünden - Schritte, die für Kurdistans Zukunft positive Auswirkungen haben.

Zweitens hat die KRG-Führung ihre Bereitschaft signalisiert eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit abzuhalten, von der sie zurecht annimmt, dass sie eine lautstarke Befürwortung generieren wird. Die Diplomatie hinkt allerdings hinterher. Die irakische Zentralregierung lehnt dieses Ziel natürlich ab, ebenso die Großmächte, was deren übliche Vorsicht und Sorge um Stabilität spiegelt. (Man erinnere sich an George H. W. Bush "Kiew-Hühnchen-Rede" von 1991.)

Angesichts der überlegenen Bilanz der KRG sollten Außenmächte aber die Unabhängigkeit unterstützen. Pro-Regierungs-Medien in der Türkei tun das bereits. US-Vizepräsident Joe Biden könnte auf seinem Vorschlag von 2006 aufbauen, "jeder ethno-religiösen Gruppe - Kurden, sunnitischen Arabern und schiitischen Arabern - Raum zu geben ihre Dinge selbst zu regeln, während man der Zentralregierung die Leitung der allgemeinen Interessen überlässt".

Drittens: Was wäre, wenn die kurdischen Streitkräfte über drei Grenzen hinweg - wie sie das gelegentlich schon getan haben - zusammentun und ein Gesamt-Kurdistan bilden, mit einer Bevölkerung von rund 30 Millionen und möglicherweise einem Korridor zum Mittelmeer? Eine der größten ethnischen Gruppen der Welt ohne eigenen Staat (eine strittige Behauptung, wenn man zum Beispiel die Kannadiga in Indien betrachtet) verpassten die Kurden bei der Regelung nach dem Ersten Weltkrieg ihre Chance, weil ihnen die nötigen Intellektuellen und Politiker fehlten.

Dass jetzt ein kurdischer Staat aufkommt, würde die Region tiefgreifend verändern, indem gleichzeitig ein ansehnliches neues Land hinzu kommt und seine vier Nachbarn teilweise zergliedert werden. Diese Aussicht wäre in den meisten Teilen der Welt erschreckend. Doch der Nahe/Mittlere Osten - der sich immer noch im Griff des von den europäischen Mächten 1916 im Geheimen verhandelten, elenden Sykes-Picot-Abkommens befindet - braucht eine heilsame Neustrukturierung.

Aus dieser Perspektive ist das Aufkommen eines kurdischen Staates Teil der die gesamte Region betreffenden Destabilisierung, die gefährlich aber notwendig war und im Dezember 2010 in Tunesien einsetzte. Entsprechend biete ich der Bildung eines einzelnen, geeinten Kurdistan aus seinen vier Teilen ein herzliches Willkommen an.

 

Übersetzung: H. Eiteneier - Foto: Kurdische Fahne


Autor: fischerde
Bild Quelle:


Sonntag, 28 September 2014

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