Diskussionspapier zu den Antifa-Protest gegen den "Sie politisieren sich die Welt, wie es ihnen gefällt. ..."

Diskussionspapier zu den Antifa-Protest gegen den

"Sie politisieren sich die Welt, wie es ihnen gefällt. ..."


"Sie politisieren sich die Welt, wie es ihnen gefällt. ..."

Stellungnahme von Teilnehmerinnen der linken Bündnisdemonstration antifaschistischer Gruppen gegen den "Al Quds"-Marsch in Berlin, zugesandt zur Veröffentlichung und als Diskussionsbeitrag.

von Paulette Gensler und Katharina Klingan

Dass Organisierung immer auch die unangenehmen Seiten des Warencharakters trägt und damit die einzelnen Monaden, die sich politisch meist mit hohen und naiven Zielen zusammenschließen, noch mehr verdinglicht, zeigt sich an einzelnen Grüppchen der linken Szene immer wieder. Politik pflegt grundsätzlich einen instrumentellen Umgang mit der Welt, weshalb sie immanent eigentlich nur an diesem Anspruch gemessen werden kann. Wenn reine Zweckrationalität sich in der schlechten Praxis aber voll entfalten darf, nämlich dann, wenn vor keinem Mittel mehr zurückgeschreckt wird, um den angestrebten Zweck zu erreichen, dann erübrigt es sich fast zu fragen, was von der Parole der Solidarität mit Israel schließlich noch übrig bleibt. Eben nicht mehr als ein inhaltsloser Slogan. Die Bekundung der Solidarität mit dem jüdischen Staat ist dann nicht mehr der Zweck des Zusammenschlusses, sondern verkommt zu einem bloßen Mittel der Gruppenbildung. Die Mittel schlagen auf den Zweck zurück.
Schnell stellt sich bei dem antifaschistischen Protest gegen den Al-Quds Marsch heraus, dass es den meisten dort eben nicht um eine wahre Darstellung und damit bedingungslose Kritik der antisemitischen Realität geht. Dies hätte bereits bei der Lektüre des Aufrufs und der Broschüre des antifaschistischen Berliner Bündnisses gegen den Al-Quds Tag klar sein können. In eben diesem Aufruf wird zumindest anfangs noch ein durchaus vertretbarer Minimalkonsens versprochen - abgesehen von der reißerischen Betonung der Quantität – nämlich: „wenn über tausend Antisemit*innen gemeinsam auf die Straße gehen, um gegen die Existenz des jüdischen Staates zu demonstrieren, dann sollte das eigentlich Grund genug sein, eine breite Gegenöffentlichkeit zu schaffen“. Doch Antisemitismuskritik und die bedingungslose Israelsolidarität sind schon lange nicht mehr die Hauptmotive dieser Veranstaltung.

Verque(e)rte Israelsolidarität*
Letztes Jahr hatte die association antiallemande bezüglich der Zusammenarbeit mit dem „antifaschistischen Berliner Bündnis gegen den Al-Quds Tag“ richtig bemerkt, dass eben von diesem Bündnis eine Analyse der Realität nicht erwartet werden kann, wenn ein Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus verschwiegen wird. Stattdessen wurde von jenem lieber, ohne ein inhaltliches Problem dabei zu sehen, aktuelle beliebte Feindbilder der Antifa vorgeführt: der deutsche Friedensaktivist, Teilnehmer an Montagskundgebungen und klarerweise deutsche Neonazis. Dieses Jahr wurde hingegen auf Anschlussfähigkeit geschielt, indem der Fokus noch stärker auf das Bekämpfen patriarchaler Strukturen gerichtet wurde. Vielleicht ist es ein wenig penibel, aber selbst die Auflistung der Forderungen des Bündnisses visualisiert sehr treffend die Gewichtung der Themen:
„Solidarität mit den von Antisemitismus, LGBTIQ*-Feindlichkeit und Patriarchat Betroffenen!
Solidarität mit den emanzipatorischen Kräften im Iran!
Solidarität mit Israel!
Nieder mit dem Al Quds-Tag!
Nieder mit dem Holocaust-Leugner-Regime im Iran!“
Vor allem durch die Einreihung des Antisemitismus in die Allianz der Betroffenheit neben den scheinbaren Pendants „LGBTIQ*-Feindlichkeit und Patriarchat“ zeigt sich, dass weit mehr in die Veranstaltung hineinprojiziert wird, als dass tatsächlich etwas in ihr erkannt würde. Maßgeblich müsste sich schon daran gestoßen werden, dass unzählige „Betroffene des Patriarchats“, nennen wir sie Frauen, als gar nicht so friedfertige Antisemitinnen an dem Marsch partizipieren und die Veranstaltung wahrlich nicht nur von Jungmännern getragen wird. So sehr auch wir uns nun wünschen, dass Frauen, Lesben, Schwule etc. nicht als Andere in dieser Welt zu leiden haben, ist die eine Auslegung der Forderung nur absurd, und zwar wenn eine generelle Solidarität mit klarerweise auch antisemitischen Frauen und Queers aller Länder gefordert wird. Ansonsten müsste die Bedingung für Unterstützung schon einiges erfüllen: nur als Frau und/oder „LGBTIQ*“ Antisemitismus zu erfahren. Beide Möglichkeiten sagen viel über den dringenden Wunsch der linken Szene aus: Frauen, Lesben, Schwule und Transsexuelle seien ja doch irgendwie zusammengeschweißt durch ein Einigkeitsgefühl, gestiftet durch den gemeinsamen Kampf gegen die vermeintlich Herrschenden. Beliebt ist es schon seit längerer Zeit, Sticker und Bilder mit sich küssenden IDF-Soldaten oder in die Kamera lächelnden bewaffneten israelischen Soldatinnen als schalen Ersatz für die Kritik der Waffen zum Identifikationsmodell zu stilisieren. All dies wurde kürzlich in der Kurdistansolidarität wiederbelebt. Tatsächlich handelt es sich hierbei um kein Alleinstellungsmerkmal der Unterstützten: Hinlänglich dürften die Frauenbrigaden des IS bekannt sein und auch Assad rief vor zwei Jahren eine Frauenmiliz ins Leben, womit er sich in die Tradition seines Vaters stellte.
Eigentlich müsste es schon ausreichend sein, auf Judith Butler (und noch nicht mal ihre Rezipienten) als bekanntes Beispiel einer theoretischen Verquickung von Queer-Theory und -Politics auf der einen sowie Israel- und Judenfeindlichkeit auf der anderen Seite zu verweisen, um von der unterstellten Zufälligkeit zwischen Queer und Israelhass abzulassen. Auch der queere Vordenker Foucault brachte es allen öffentlichen Bekundungen der Israelsolidarität zum Trotz zustande, in der islamischen Revolution Chomeinis die spirituelle Verwirklichung seiner Vorstellung von Subjektwerdung zu erkennen. Symptomatisch ist es dann auch, wenn eines der größten europäischen queeren Spektakel, das alljährliche Amsterdamer Queeristan, neben dem Veganismus als einzige konsensuale Verbindlichkeit zustande bringt, Israel zu boykottieren. Allzu viele Ausnahmen bilden irgendwann halt doch eine Regelmäßigkeit. In der Broschüre des Bündnisses wird Queer Theory jedoch in Schutz genommen, indem sich angeblich zeige „dass es sich bei den Argumenten nicht um eigenständig queere Argumente oder gar um einen queeren Antisemitismus handelt, sondern Einschätzungen und Analysen aus der antiimperialistischen Theoriebildung übernommen werden.“ Wichtig ist so eine nichtssagende Argumentation nur für diejenigen, die die schon bestehenden Überschneidungen von jungantideutschen Antifa-Gruppen und Queer-Aktivisten als Mobilisierungspotenzial nutzen wollen. Die queere Szene, welche sich die Fähigkeit der „Aneignung“ bei jeder Gelegenheit auf die Fahne schreibt, kann nicht davor in Schutz genommen werden, dass ihr diese mit dem Antisemitismus vorzüglich geglückt ist.
Zu dem immer wieder vorgebrachten Pinkwashing-Vorwurf gegenüber Israel äußert sich das antifaschistische Bündnis gegen den Al-Quds Tag in seiner Broschüre folgendermaßen: „Israel wird dabei grundsätzlich unterstellt, dass sich hinter den artikulierten Interessen eigentlich Machtinteressen verbergen würden. Gegen diese Behauptung kann nicht argumentiert werden, da Gegenargumente durch den Verweis, man durchschaue die politischen Strategien Israels nicht, abgewehrt werden.“ Tatsächlich trifft diese Beschreibung vielmehr nur eine Erscheinungsform als das Wesen der pathischen Projektion, welches vielmehr darin liegt, sich wahnhaft allmächtig die Außenwelt nach seinem verdrängten Innenleben zu formen. Antisemitismus ist in jedem Maße mehr als nur politische Strategie – mehr als nur reines Kalkül.
Außerdem werden in der positiven Wendung der Broschüre sowie der Redebeiträge immer wieder Argumente gebracht, mit denen dem pinkgewaschenen Israel eine weiße Weste verpasst werden soll. Auch wahre Tatsachen können manchmal fehl am Platz sein, wenn sie statt der angestrebten Sache zu dienen, allzu deutlich nur das Bedürfnis der Aktivisten offenbaren.

„Israel ist nach diesem Vorgehen immer schuldig, unabhängig von seiner realen Politik.“ Wer anfängt, ob dieser Erkenntnis wiederum die reale Politik Israels gegen den Antisemitismus ins Feld zu führen, macht sich schlichtweg ähnlicher regressiver Lösungsversuche des eigenen Triebkonflikts schuldig wie diejenigen, gegen welche sie angebracht werden. Bedingungslose Solidarität – so lautete einmal der kategorische Imperativ - würde gerade nicht danach fragen, ob Israel nun ein queeres Paradies im Nahen Osten ist oder eben nicht. Anstatt den immer mörderischen Antisemitismus als Motivation genügen zu lassen, werden wenigstens implizit Bedingungen an die Solidarität geknüpft und man fragt sich schnell, wie weit die Unterstützung reicht, falls die Identifikation doch einmal kippen sollte. Dass die Israelfahne in Regenbogenfarben mindestens ebenso präsent, wenn nicht sogar noch dominanter war, als jene in den tatsächlichen Farben des Staates zeigt recht deutlich, dass das Wunschbild der antifaschistischen Protestler eher von dem Gedanken der Queer Nation als von jenem des Kampfes gegen Antisemitismus geprägt ist. Traurig kann dann nur noch stimmen, wenn die Spitze des antifaschistischen Demozuges gegen den Al-Quds Tag skandiert: „Kein Gott, kein Staat, kein Patriachat“, was von linken Israelfeinden in selber Diktion ausgerufen wird. Die deutsche Jugend - und dabei wie so oft immer etwas früher als der Rest die deutsche Linke - hat schon einmal bewiesen, wie zügig sich die Begeisterung für den jüdischen Staat, in welchem man damals den nicht repressiven Sozialismus durch die Kibbuzim-Bewegung verwirklicht sah, in blanken Hass umschlagen kann. Mit demselben Enthusiasmus wie vormals Israel wurde sich dem „palästinensischen Befreiungskampf“ zugewandt, was man als Warnung stets im Hinterkopf behalten sollte.

Projektion und Politikform
In der Dialektik der Aufklärung heißt es: „Das Pathische am Antisemitismus ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin.“
Jener Reflexionsausfall bedeutet u.a. die Unfähigkeit zum Aushalten irgendeines Widerspruchs – beispielsweise, dass Israel trotz aller Besonderheit ziemlich viele Charakteristika eines ganz normalen Staates trägt, den man ja eigentlich irgendwie doch Scheiße findet.
Gleichzeitig wäre auch anzuerkennen, dass sich queere und antideutsche Politik grundsätzlich ausschließen und nicht einfach schlecht miteinander versöhnt werden können, da sie sich in Form und Inhalt entgegenstehen müssten. Ebenso scheint es ein spezifisches antirassistisches Bedürfnis zu sein, den Rassismus speziell in Israel bzw. den USA anzuprangern. Wer darin keine tiefere Motivation erkennen will, hat sich der linken Gemeinschaft schon vor jeder Diskussion verschworen.
„Es geht dabei nicht darum, politische Kämpfe gegen Rassismus und Antisemitismus gegeneinander auszuspielen.“
Antirassismus wie queer ergeben als Begriffe nur Sinn, wenn man sie als politische Bewegung begreift und in diesem Verständnis gibt es längst einen Konflikt zwischen Antirassismus und Israelsolidarität, welcher nicht nur den Entgleisungen Einzelner, sondern grundlegenden „theoretischen“ Widersprüchen geschuldet ist. Die antideutsche Kritik jener Bewegungen zeugt entgegen den reflexhaften Reaktionen eben nicht von mangelnder Empathie, sondern versucht aufzuzeigen, dass die von ihnen angemahnten „Sexualisierungen“, „Frauisierungen“ oder „Rassifizierungen“ und deren ganzen postulierten Zwischenformen gerade aus der Identitätspolitik dieser Bewegungen erwachsen bzw. zementiert werden. Das Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ scheint aber auch für die antifaschistischen Proteste zu gelten, die die reelle Verfolgung von Schwulen, Lesben und die Unterdrückung von Frauen positiv statt polemisch wenden.
Die existente Trennung ist nicht eine zwischen Theorie und Praxis, sondern zwischen spezifischer Interessenpolitik und Kritik der gesellschaftlichen Totalität bzw. zwischen politischer und menschlicher Emanzipation. So wäre dem antideutschen Bündnis, welches sich anlässlich dieses einen Tages jedes Jahr zusammenfindet, höchstens zuzurufen: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“

Das linke Problem mit dem Faschismusbegriff
„Dementsprechend wird es auch dieses Jahr am Al Quds-Tag darum gehen, kompromisslos klarzumachen, dass Antisemitismus, LGBTIQ*-Feindlichkeit, Sexismus und andere faschistoide Zumutungen auch dann nichts auf Berliner Straßen verloren haben, wenn sie sich unter dem Banner des politischen Islam zu organisieren suchen.“
Das kleine Wörtchen „faschistoid“ hat im postnazistischen Deutschland eine bewegte Geschichte und trägt nicht umsonst das Mal der Unbestimmtheit und Schwammigkeit sowie der Scheu aus falschen Befindlichkeiten einfach faschistisch zu sagen, wenn man es eigentlich gern würde. So wird auch in der Broschüre eine Diskussion des Begriffs „Islamfaschismus“ vorgenommen, die vom dialektischen Niveau eher an eine schulische Erörterung erinnert, in der auch immer alles seine zwei Seiten hat. Der Autor Volker Weiß konstatiert am Ende seiner Ausführungen: „Angesichts dieses Befundes sollte die Bewertung des Islamismus als muslimischer Rechtsextremismus außer Frage stehen. Auf seine am weitesten entwickelten Organisationsformen lässt sich der Begriff Faschismus daher durchaus anwenden, er sollte allerdings mehr sein als ein rhetorisches Mittel oder ein politischer Reflex.“
Die eigene politische Reflexhaftigkeit offenbart er gleich zu Beginn seiner Ausführungen: „Skeptisch gegen die Formel vom „Islamfaschismus“ stimmt, dass mit ihr Rechtspopulisten auf Wählerfang gehen.“ Dass diese Rechtspopulisten aber der Partei namens „Die Freiheit“ angehören, scheint ihn zum Glück nicht dazu zu bewegen, auch diesem Begriff mit Skepsis zu begegnen.
Der typisch linke Hass auf Vermittlung spiegelt sich auch in der Broschüre des Bündnisses deutlich wieder. Nicht erst die unvermittelten Texte der Publikation, welche dem Pluralismus des Nebeneinanders statt einer Diskussion entsprechen, verraten die tiefe Unentschlossenheit der Organisatoren.
So wird trotz der obigen Erkenntnisse verlautbart:
„Bei einer Versammlung wie dem Quds-Marsch handelt es sich nicht eine Neonazi-Demonstration, die Teilnehmer*innen unterscheiden sich in Ideologie und Politikform. Provokation und Militanz sehen wir dort nicht als geeignete Gegenstrategie.“ Keineswegs soll hier diese Militanzdebatte der Autonomen geführt werden, aber es stellt sich die Frage, warum die „doppelten Standards“, die ganz universitär den Feinden Israels vorgeworfen werden, auf diese selbst angewendet werden. Was ist dies, wenn nicht falsch verstandener Antirassismus?
Durch den ständigen Bezug auf Alt- und Neunazis offenbart sich, dass auch die antideutsche Antifa wie ihre autonomen Kollegen in der Krise steckt und anscheinend immense Legitimationsprobleme hat. Der Aufruf liest sich schließlich wie eine einzige Entschuldigung und Rechtfertigung dafür, dass man es als Antifaschisten wagt, hier zu protestieren und fällt weit hinter einen ehemaligen antideutschen Grundkonsens zurück. Volker Weiß fährt fort: „Ob der Faschismusbegriff auf den Islamismus anwendbar ist, hängt grundsätzlich von seinem staatsbildenden Potential ab.“ Das ist in seinem Positivismus strikt falsch, denn der faschistische Staat war immer gleichzeitig der von Banden getragene und zerrissene „Unstaat“. Viel eher zeichnet sich der Faschismus durch staatsübernehmendes Potenzial bzw. durch seine Fähigkeit der negativen Aufhebung des Staates aus. Dies kann nun durch grobe Gewaltanwendung und vormoderne Bündnispolitik (Islamischer Staat) oder aber in der Tradition des italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus durch eine demokratische Machtübergabe vonstattengehen. Mischformen sind wohl die Regel.
„Die Hamas hat im Gazastreifen eine Diktatur errichtet und unterdrückt die dortige palästinensische Bevölkerung.“
Auch dies ist zumindest nur die halbe Wahrheit, welche ausklammert, dass die Hamas in den Wahlen 2006 die Mehrheit der Stimmen erzielte und nach dem Putsch und der gewaltförmigen Durchsetzung der Alleinherrschaft in Gaza selbst im Jahre 2012 noch Zehntausende öffentlich und demonstrativ das 25-jährige Bestehen der Gruppierung feierten. Die militärische Zerschlagung scheitert eben auch an der breiten Solidarität aus jener Bevölkerung.
Keiner würde so plump behaupten, dass Hitler eine Diktatur errichtet habe und die deutsche Bevölkerung unterdrückte. Der angeblich existenten drastischen und klaren Trennung zwischen Islam und Islamismus wäre jene zwischen Deutschland und Nationalsozialismus entgegenzuhalten, welche bekanntlich nur wenig Bestand hat. Gerade an der Geschichte des italienischen Faschismus lässt sich der Konsensfaktor recht deutlich ablesen.

Trennung von Islam und Islamismus
Das Mobilisierungsbündnis Schall & Wahn lässt sich auf das scheinbar heikle Thema ein: „Wenngleich Teile linker Islamismuskritik – dort etwa wo kein Unterschied zwischen Islam und Islamismus gemacht wird – nicht unproblematisch sind, ist es falsch, auf eine Islamismuskritik zu verzichten. Eine emanzipatorische Kritik des Islamismus ist gerade angesichts aller rassistischen und rechtspopulistischen Pseudokritik unverzichtbarer denn je. […] Islamismus bezeichnet eine Reihe verschiedener ‘revolutionär’-reaktionärer Bewegungen und deren Krisenbewältigungsideologien, mit denen die Moderne, fortschreitender Kapitalismus und der damit einhergehende gesellschaftliche, politische und ökonomische Wandel aufgehalten werden sollen. Diese politischen Bewegungen sind keine geschichtsunabhängige Schattenseite des Islams, sondern genuin modern.“
Gleichsam ist eine linke Islamismuskritik grundsätzlich problematisch und in demselben Maße geschichtsvergessen, die jede Gemeinsamkeit zwischen Islam und Islamismus verwischt. Erst einmal ist der Islam selbst eine genuin politische Religion, was sich vor allem schon in dem Dominanzstreben während der spätantiken Stiftungszeit und der Machtpolitik ihres Stifters andeutet. Jede einzelne offenbarte Sure ist dermaßen an den politischen Kontext gebunden und politisch so zweckhaft, dass es selbst die universitären Islamwissenschaften anerkennen müssen. Der Gründungsakt der Umma in Medina, also der Auftakt zur Islamisierung der Arabischen Halbinsel, fiel zusammen mit der Vertreibung bzw. Vernichtung und Versklavung der drei dort ansässigen jüdischen Stämme. Nach dem Tode Mohammeds ging die Gemeinschaft nahezu sofort in die militärische Expansion (Futūh) über. Der Begriff des Islamismus mag modern sein, das Bezeichnete ist es keineswegs. Der Islam ist Produkt der Krise der zusammenbrechenden Antike und somit in sich eine „Krisenbewältigungsideologie“.
Und natürlich gab und gibt es historische Transformationen, welche jene „rechtspopulistische Pseudokritik“ in den meisten Fällen beflissen zu übersehen versucht, indem sie sich in selbstständiger Koran- und Hadithexegese verliert, die keinen Bezug zur reellen Institutionalisierung der religiösen Inhalte pflegt und dadurch absurd und obsolet wird.
Eine „linke Islamismuskritik“ müsste jedoch auch Erklärungen für den Panarabismus finden, denn die ersten Kriege gegen den gegründeten Staat Israel ging von jener „Bewegung“ und nicht vom Islamismus aus. Auch dieser ist modern, beruht jedoch ebenfalls auf archaischen Vorstellungen der Umma. Der Panarabismus war Teil des religiösen Aufschwungs, denn der Islam wurde durch seine neue Instrumentalisierung zum verpflichtenden Aushängeschild des Polit-Arabers.
Dazu der ägyptische Präsident der nur kurzzeitig existierenden Vereinigten Arabischen Republik Gamal Nasser: „Die beiden einzigen Punkte, die uns noch von den Marxisten trennen, sind die Diktatur des Proletariats und das Verhältnis zur Religion.“
Ob man nun von Islamfaschismus oder Umma-Sozialismus spricht, die Gemeinsamkeiten zu den nationalsozialistischen und faschistischen Vorbildern liegen auf der Hand: in erster Linie die Verleugnung der kapitalistischen Produktionsweise durch ideologische Integration der sich widerstrebenden Gesellschaftsteile.
Der Islamismus hat zwar ideologische Anfänge im 18. und 19. Jahrhundert (Panislamismus scheiterte grundsätzlich und ging im Panarabismus auf), aber erst ab dem Sechstagekrieg und dem Sturz des Schahs in Persien erlebte er einen Aufschwung, der ihn zu einem reellen Machtfaktor werden ließ. Das sogenannte „Islamische Erwachen“ in den 1970ern war ein umfassender Vorgang, wobei die Anwendung von Gewalt und Terroranschlägen eben nur die Spitze des Eisbergs bildeten. Maßgeblichen Erfolg hatte auch die Mär des „Islamischen Wirtschaftens“, welche Mehrwertproduktion und Ausbeutung vortrefflich mit offener und institutioneller Zinsfeindschaft verknüpfte und dabei stets den Juden anvisierte. In dieser Zeit gelang es auch der Muslimbruderschaft und vor allem ihren Nachfolgeorganisationen, sich endgültig gesellschaftlich zu etablieren und ihren Gewaltfetisch durch umfangreiche Wohlfahrtsprogramme zu legitimieren.
Der Islamismus ist somit wie der Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus „genuin“ eine Erscheinung der Postmoderne. Der Erstere vollzog handgreiflich, was Letztere der Sprache und Psyche antaten. Alle sind sie deutsche Ideologie nach Auschwitz, d.h. trotz Auschwitz als Reflexionsmöglichkeit. Gemein sind ihnen die Absage an Vernunft und Wahrheit und der Glaube an die reine Herrschaft – entweder jene der Macht oder die Gottes.

Entdeckung der Innerlichkeit
Von „gemäßigten Muslimen“ und Islamverstehern wird oftmals der große, friedliche gegen den kleinen, militärischen Dschihad angeführt, um somit das Prinzip selbst, welches zu den Grundverpflichtungen der Religion gehört, irgendwie zu retten. Was als Entschuldigung wirken soll, ist hingegen ein grundlegendes Übel. Zurück geht dieser Innerlichkeitskult maßgeblich auf den mittelalterlichen Theologen al-Ghazālī – den Totengräber der „islamischen Philosophie“, welche Europas Geistesgeschichte konserviert hatte -, der im 11. Jahrhundert durch die negative Aufhebung des mystischen Sufismus die allgemein bekannte Erweiterung des vormals rein rechtlichen und eher äußerlichen Dschihad um die moralische Mudschāhadat an-nafs, den Kampf mit dem Selbst bzw. die verordnete und nie endende Triebunterdrückung einführte. Damit war der dauerhafte zum totalen Kriegszustand erhoben. Gleichzeitig wurden nicht zuletzt aufgrund seiner Schriften die Tore des Idschtihād 600 bis 800 Jahre lang geschlossen, - Idschtihād bedeutet grob Anstrengung und meint jene, die man braucht, um Mündigkeit zu erlangen und eigenständig zu urteilen - wovon sich der islamische Osten kaum erholt hat. Bezeichnend ist, dass einschlägige islamische Publizisten und deren Apologeten diese Ära als das „eigentlich Goldene Zeitalter des Islam“ betrachten. Dass dann auch noch die europäische Aufklärung in der Tendenz als Verstümmelung im Kolonialismus repressiv erfahren wurde, hat der Vernunft über weite Teile den Rest gegeben.

Religions- statt Islamkritik?
Selbstverständlich sind alle Ausprägungen des heutigen Islam irgendwie modern. Die Moderne ist nicht zu verabsolutieren, wenn man ihren Begriff fassen will. Auch der bundesdeutsche Föderalismus beispielsweise hat durchaus Bezüge auf das teutonische Stammestum und die deutsche Tierliebe ist eventuell tatsächlich Ausdruck jener Verbundenheit mit archaischen Totemtieren. Gerade Freud hat recht deutlich gezeigt, dass auch die westliche Zivilisation nur ein äußerst dünnes Furnier darstellt. Die einfache Frage wäre: Wo zieht man die Grenze, also wann ist der Islam politisch?
Linke Religionskritik läuft meist auf den schlichten Konsens hinaus, Religion allgemein abzulehnen, da Religion ja das Opium des Volkes sei. An jener Stelle heißt es bei Marx jedoch weiter: „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ Das explizite „Gott ist tot!“ endet jedoch meist in einem impliziten und bewusstlosen „Es lebe die Macht bzw. der Wert“, da meist vergessen wird, dass – hier die christliche - Religion nicht mehr selbst das Produktionsverhältnis bzw. dessen Heiligenschein ist.
Immanente Kritik heißt ja, die „versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.“ Verlangen würde dies aber, die Inhalte der Religion oder Ideologie erst einmal zu ergründen, um sie vernünftig zu kritisieren. Bestimmte Negation ist demnach bestrebt in der Ideologie die wenigen Spuren des Glückes zu erkennen und zu retten – eine Aufgabe, die in zunehmendem Maße unmöglich erscheint.
Linke Religionskritik ist jedoch die Liquidation statt die Aufhebung der Religion, wobei Letztere sich praktisch auf negative Weise mit dem Fetischcharakter längst vollzogen hat. Wie Religion selbst wird die linke Religionskritik so zu einer Kritikerleichterung bzw. -ersparnis oder mit einem Bonmot Adornos: „In gewisser Hinsicht mag es auch befriedigender sein, den ewigen Vater anzugreifen als den zeitlichen.“ Religionskritik verkommt so zu einer Religionsverdammung, die nicht auf einem Urteil, sondern auf „negativer Bekehrung“ beruht. Das atheistische Ticket wirkt dadurch ebenso autoritär und verdummend wie das religiöse. Gegen dieses Ticketdenken richtet sich antideutsche Kritik, welche somit auch nicht als liebevolle Verführung auftreten kann, da sie, wenn sie die damit einhergehende Charakterstruktur ansprechen und sich ihr gefällig machen würde, erst recht Teil des zugrunde liegenden „Kitts“ wäre.
Dem Schall-und-Wahn-Bündnis ist deshalb auch bezüglich folgender Zeilen zu widersprechen: „Das Nebeneinander solch verschieden scheinender Gruppierungen mag zunächst wiedersprüchlich (!) wirken, doch der verbindende Kitt aller Akteure ist ihr eliminatorischer Antizionismus (...)“
Der Kitt ist keineswegs nur der Antizionismus – sondern eine Triebstruktur, welche auch durch Faschismus und Kulturindustrie ansprechbar ist sowie durch eine Demonstration, die sich vor allem über ihre Lautstärke definiert und Organisatoren die deshalb permanent bestrebt sind, die Stimmung anzufeuern. Religions- wie auch Ideologiekritik wäre die bestimmte Negation der jeweiligen konkreten Inhalte.
Die Phrase vom „verlogenen Westen“, welche vor allem Zivilisations- und Aufklärungsfeinde so oft in Stellung bringen, trifft durchaus etwas Wahres. Was sie jedoch verkennen, ist, dass in dieser Lüge, also in der Differenz von Schein und Sein nicht nur die Übel, sondern auch die Möglichkeiten der Verwirklichung der Aufklärung bewahrt liegen.
Für den Islam wäre der Nachweis eines Überschusses jedoch noch zu erbringen. Bisherige und in den einschlägigen linken Kreisen mutwillig übersehene Islamkritik zeigt jedoch, dass die Differenz von Wort und Tat, nicht zuletzt aufgrund des genuin politischen, instrumentellen Charakters, kaum existiert. Eben solche Konstellation hat seiner Zeit Karl Kraus zum Verstummen gebracht: „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“ Im Gegensatz zu damaligen und heutigen Antifaschisten hatte Kraus jedoch auch nie den Anspruch, seine Kritik auf der Straße praktisch werden zu lassen. Für jene, die dies als Lebensinhalt sehen und die nie zu schweigen vermögen, gelten deshalb schlichtweg andere Maßstäbe. Eine Erkenntnis des Schall-und-Wahn-Bündnis ließe sich somit durchaus in abgewandelter Form gegen dieses selbst richten: „Die Scheu, den Islam als Ideologie auch an jenen zu kritisieren, die potenziell Opfer von Rassismus werden, spricht leider Bände über den Zustand linksradikaler Kritik.“

Werbung statt Denken
Klarerweise erwartet sich kein vernünftiger Mensch, dass „antifaschistische und linksradikale Politik“ über den Gesamtzustand der Gesellschaft in irgendeiner Weise hinausweisen vermag, wie vollkommen sie diesem doch entspricht, zeigt sich in der Vermarktung der Lüge. So wie die Werbung eines beliebigen Produkts nur darauf abzielt genügend Konsumenten für sich zu gewinnen, so wird auch das Eventerlebnis der Al-Quds Gegenproteste versprochen, denn der Al-Quds Tag sei „die größte regelmäßig stattfindende antisemitische Veranstaltung in Berlin“. Auf die Idee zu kommen, deutsche Fußball-Fan-Meilen, die aufgeheizte Fan-Stimmung bei Fußballspielen generell, freitägliche Gebete in der Al-Nur Moschee, und besorgte Konsumenten bei der „Wir haben es satt“- oder „Freiheit statt Angst“-Demonstration, schon alleine als quantitativ größere antisemitische Regelmäßigkeiten auszuklammern, muss schon nunmehr auf die irrtümliche Besonderheit des angepriesenen Warenexemplars fixiert sein. Die Liste ließe sich weiterführen. Wahrscheinlich hätte man mit dieser Einsicht aber schon zugeben müssen, dass die Antisemiten schon immer die konsensfähige Mehrheit ausmachten und dazu noch, dass man gar nicht so sportlich wie gewünscht und ohnmächtiger als gewollt, ihnen längst „das Feld überlassen“ hat.

 

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Autor: joerg
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Sonntag, 02 August 2015

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