Der Boykott: Islands Antisemitismus taucht wieder auf

Der Boykott: Islands Antisemitismus taucht wieder auf


Der Boykott: Islands Antisemitismus taucht wieder auf

von Dr. Manfred Gerstenfeld

Aktuelle Entwicklungen in Island passen gut in die lange Geschichte des Antisemitismus dieses Landes. Letzte Woche entschied sich die linke Mehrheit des Stadtrats von Reykjavik für einen Boykott aller israelischer Waren. In Anbetracht der Proteste will der Bürgermeister der Stadt ihn jetzt durch einen Boykott von Waren aus den Siedlungen ersetzen.[1]

Das ist nur ein „Weiter so“. Jedes Jahr bekommen die Isländer während der Fastenzeit vor Ostern eine tägliche Dosis an Chorälen voller Hass auf und Verhöhnung der Juden, ausgestrahlt von Islands öffentlich-rechtlichem Radiosender. Diese Choräle wurden im siebzehnten Jahrhundert von einem isländischen christlichen Priester, Dichter und Aufhetzer namens Hallgrimur Pétturson geschrieben, viele Jahre bevor der erste Jude überhaupt in Island ankam. Diese fortgeführte Tradition demonstriert, wie wenig Island aus dem Holocaust gelernt hat.

Nachdem ich die Aufmerksamkeit des Simon Wiesenthal Centers auf den von Hass erfüllten Brauch aufmerksam machte, schrieben 2012 die Leiter des Zentrums, Rabbi Marvin Hier und Rabbi Abraham Cooper, dem Generaldirektor von Islands Radio- und Fernsehsender, Herrn Pall Magnusson einen Brief. Sie führten an, dass es mehr als fünfzig Äußerungen über Juden in den Gedichten gibt, die allesamt negativ sind. Sie stellten außerdem fest, dass es in Island als große Ehre angesehen wird bei dem Programm einen Choral vorlesen zu dürfen. Zu den vielen angesehenen Bürgern, die diesem Ruf gefolgt waren, gehörte ein Präsident Islands.

Im Folgenden finden Sie einige Beispiele der vielen antisemitischen Verleumdungen in diesen Chorälen:

Die Forderung der Kreuzigung

Die jüdischen Führer entscheiden alle,
dass Jesus gekreuzigt werden muss.
Der Prinz des Lebens muss ihre Beute sein,
der Mörder wird freigesetzt.

Christus von der Gerichtshalle geführt

Die jüdische Menge antwortete.
„Weg mit Ihm!“, riefen sie.
Ihre Feindschaft ohne Zweifel.
„Er muss gekreuzigt werden!“
Das gerechte Gesetz des Mose
wandten die Juden hier falsch an,
was ihren Betrug entlarvt,
ihren Hass und ihren Stolz.

Damals hatte der den Choral-Lesungsbrauch verurteilende Brief keinen Erfolg. Bezüglich des aktuellen Boykotts haben allerdings die Reisewarnung des Simon Wiesenthal Center, Juden sollten Island nicht besuchen, sowie die wütende Reaktion Ronald Lauders, des Präsidenten des World Jewish Congress, offenbar mehr Wirkung gezeigt. Zur Reisewarnung erklärte Rabbi Cooper: „Wenn die gewählten Führungskräfte seiner größten Stadt ein extrem antiisraelisches und antisemitisches Gesetz erlassen, wollen wir jedes Mitglied einer jüdischen Gemeinde davor warnen dorthin zu reisen.“[2]

Das Simon Wiesenthal Center hat außerdem Islands Antisemitismus bei einem weiteren Anlass offengelegt, im Fall des Nazi-Kriegsverbrechers Evald Mikson. Ende der 1980-er Jahre versuchte Efraim Zuroff, Direktor des israelischen Zweigs des Simon Wiesenthal Center, Mikson wegen seiner Beteiligung an der Ermordung von Juden in seiner Heimat Estland vor Gericht zu bringen. Mikson fand eine gemütliche Zuflucht in Island, wo seine Söhne in der Fußballnationalmannschaft spielte. Zuroffs gerechtfertigtes Gesuch um Gerechtigkeit gegen einen Mordkomplizen führte zu vielen Angriffen isländischer Medien auf Israel. Mikson selbst starb kurz nachdem die estnische Regierung eine Kommission zur Untersuchung seiner Kriegsverbrechen eingesetzt hatte, zehn Jahre nach Zuroffs ersten Appellen. Erst nach Miksons Tod stellten die Ermittler fest, dass er in der Tat Gräueltaten verübt hatte.[3]

Damals, während einer Debatte zum Fall Mikson im Parlament, hatten mehrere isländische Parlamentarier das Gefühl sie müssten den Nahen Osten und Israels Politik kommentieren. Einer davon war Olafur Grimsson, zu dieser Zeit Parteichef der linken Volksallianz, der Israels Angriffe auf Städte im Südlibanon und Israels „Ermordung“ von Hisbollahführer Abbas Musawi verurteilte. Grimsson ist seit 1996 Islands Präsident. Seltsamerweise ist die Präsidentengattin Islands eine Jüdin, die Grimsson 2003 heiratete.

Der aktuelle Boykott Israels wurden von der Sozialdemokratischen Allianz vorgeschlagen. Als Teil der isländischen Regierung von 2011 hatten sie den Palästinensern bereits Unterstützung für deren Antrag auf Eigenstaatlichkeit bei der UNO-Vollversammlung versprochen. Ossur Skarphedinsson, damaliger sozialdemokratischer Außenminister, war für seine regelmäßige Brüskierung Israels bekannt. Während der ersten Gaza-Flottille schlugen einige Mitglieder des Parlaments vor Sanktionen gegen Israel zu verhängen, die bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen hätten gehen können. Island lehnte es sogar ab Ministerin Yuli Tamir zu empfangen, als diese während des Kriegs „Gegossenes Blei“ nach Europa geschickt wurde.[4]

Islands Entscheidung von 2005, dem ehemaligen Schachweltmeister Bobby Fischer die Staatsbürgerschaft zu gewähren, stellte einen weiteren antisemitischen Akt Islands dar. Fischer ist ein fanatischer Antisemit jüdischer Abstammung; er wurde damals in einem japanischen Gefängnis inhaftiert und versuchte der Deportation in die USA zu umgehen.[5]

Vilhjálmur Örn Vilhjálmsson, ein Experte für die Geschichte der Juden und des Antisemitismus in Island, hat geschrieben, dass mehrere isländische Mitglieder der Waffen-SS für Deutschland kämpften und andere in Konzentrationslagern dienten. Er fügt hinzu, dass nach dem Krieg verschiedene ehemalige Mitglieder von Islands Nazi-Partei schnell „hohe Positionen in der Gesellschaft erlangten; unter ihnen gab es mehrere Polizeichefs, einen Bankdirektor und einige Ärzte“.

Vilhjálmsson beschreibt auch die Deportation eines verarmten deutsch-jüdischen Flüchtlings nach Dänemark im Jahr 1938. Die Behörden Islands boten damals an die Kosten für seine Ausweisung nach Nazideutschland zu tragen, sollte Dänemark ihn nicht haben wollen. Weitere ähnliche Vorfälle wurden 1997 bekannt, machten aber in Island keine Schlagzeilen.[6]

Angesichts all dessen kann man nur hoffen, dass das Simon Wiesenthal Center auch jetzt, nachdem die isländische Regierung sich von dem Boykott distanzierte und nachdem der Boykott wahrscheinlich eingeschränkt wird, seine Reisewarnung aufrechterhält und einmal mehr Islands jährliche Ausstrahlung der antisemitischen Choräle bloßstellt.

[1] Herb Keinon: Iceland’s capital votes to boycott all Israeli products. The Jerusalem Post, 16. September 2015.

[2] Wiesenthal Center tells Jews not to go to Reykjavik. Times of Israel, 18. September 2015.

[3] Efraim Zuroff: One who Got Away. The Jerusalem Post, 17. Januar 2010.

[4] Manfred GErstenfeld: Iceland against Israel. YNetNews, 18. Juli 2011.

[5] Sarah Lyall: Iceland Granting Citizenship to Bobby Fischer, Held in Japan. The New York Times, 22. März 2005.

[6] Vilhjálmur Örn Vilhjálmsson: Iceland, the Jews, and Anti-Semitism 1625-2004. In: Manfred Gerstenfeld (Hg.): Behind the Humanitarian Mask. The Nordic Countries, Israel and the Jews. Jerusalem (Jerusalem Center for Public Affairs/Friends of Simon Wiesenthal Center for Holocaust Studies) 2008, S. 219-239.

 

Erstveröffentlicht bei Heplev

 

esen Sie hierzu auch:

 

Dr. Manfred Gerstenfeld bei haOlam.de (Auswahl):

 

Zu juristischen/völkerrechtlichen Aspekten:

 

„Israeli Apartheid?“-Woche bei haOlam.de:


Autor: joerg
Bild Quelle:


Dienstag, 29 September 2015

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