Risikoanlyse zu Terrorgefahren: Was Europa von Israel lernen kann

Risikoanlyse zu Terrorgefahren: Was Europa von Israel lernen kann


In den letzten Jahrzehnten hat Israel ständig Anstrengungen unternommen um seine Verletzbarkeit zu reduzieren. Anhaltende gewalttätige Angriffe von Palästinensern und weiteren Feinden machten die Risikoanalyse zu einem wichtigen Faktor bei vielen, aber nicht allen offiziellen Entscheidungen.

Risikoanlyse zu Terrorgefahren: Was Europa von Israel lernen kann

von Dr. Manfred Gerstenfeld

Solche Analyse spielte zum Beispiel bei der Entscheidung zum Bau eines Sicherheitszaun eine entscheidende Rolle. Sie beeinflusste auch die Entscheidung zum Betrieb eines Atomkraftwerks in Israel, trotz Diskussionen in der Vergangenheit, bei denen dieses Projekt unterstützt wurde. Israel hat schmerzhafte Lektionen daraus gelernt, dass es in der Vergangenheit wichtige Entscheidungen aufgrund fehlerhafter Analyse traf, so zum Beispiel den von Sharon durchgeführten Abzug aus dem Gazastreifen. Es zahlt immer noch einen hohen Preis für diesen Fehler.

Die Analyse potenzieller Verletzlichkeit ist von den Europäern im Verlauf der letzen Jahrzehnte bei vielen wichtigen Entscheidungen weitgehend vernachlässigt worden. Diese Fahrlässigkeit ist einmal mehr im Fehlern einer schlüssigen Politik für den Umgang mit dem aktuellen massiven Zustrom von Flüchtlingen offenkundig geworden. Selbst wenn die Europäische Union sie von ihrem Territorium hätte fernhalten wollen, wäre sie nicht in der Lage gewesen das zu tun. Doch hat es in den letzten Jahren beträchtliche Immigration nach Griechenland und Italien gegeben und daher hätte die EU für die aktuellen Entwicklungen mit angemessener Risikoanalyse vorbereitet sein müssen.

Die EU-Führung handelte anfangs, als sei dieser Zustrom an Menschen kein Grund zu Sorge. Und das trotz der Tatsache, dass die poröse Beschaffenheit ihrer Außengrenzen öffentlich bekannt war und die EU dazu führte 2004 Frontex[i] zu gründen, um die Verfahren und Arbeitsweisen zu verbessern. Diese Agentur hat sich seitdem als ineffizient erwiesen. Auch haben die entscheidenden Mächte der EU nicht begriffen, dass die Flucht von Millionen Syrern in ihre Nachbarländer zu einem großen Zustrom an Immigranten nach Europa selbst führen könnte.

Schweden und Deutschland demonstrierten bei ihren Entscheidungen bezüglich der Zahl der aufzunehmenden Immigranten bemerkenswerte Unverantwortlichkeit. Schweden wurde gerade durch die Ereignisse gezwungen sein Versagen einzugestehen. Der Minister für Justiz und Migration, Morgan Johansson, gestand ein, dass Schweden keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen kann.[ii] Schweden hat dieses Jahr 150.000 Flüchtlinge aufgenommen und würde jetzt gerne einige davon in andere europäische Länder schicken.[iii]

In Deutschland lässt Kanzlerin Angela Merkels Politik der praktisch offenen Grenzen weiterhin die Verletzbarkeit des Landes zunehmen. Deutschland wird sich vermutlich dabei wiederfinden in der nahen und fernen Zukunft mehrere heftige Preise für sein schwaches Urteilsvermögen zu zahlen. Dazu gehört das Erstarken rechtsradikaler Kräfte, eine Herausforderung, die sich derzeit auch in mehreren anderen Ländern entwickelt.

Die Verantwortungslosigkeit der deutschen Flüchtlingspolitik ist zudem in den Beobachtungen von Andre Schulz veranschaulicht worden, dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter; er stellte fest, dass den aktuellen Akten zufolge 10% der Flüchtlinge Straftaten begehen. Er fügte hinzu, dass die Bildung der offenen Grenzen über das Schengen-Abkommen für die deutsche Sicherheitslage weitere Probleme aufgeworfen hat.[iv]

Die Morde in Paris am 13. November, einer der heftigsten bis heute für den massiven unkontrollierten Immigrantenzustrom aus arabischen Ländern nach Westeuropa in den letzten Jahrzehnten gezahlten Preise, demonstriert einen weiteren Aspekt der Verletzlichkeit. Wenn viele Menschen aus einer radikal anderen, nicht demokratischen Kultur, mit nur minimaler oder keiner Selektivität in ein Land gebracht werden, dann ist zunehmende Verletzlichkeit unvermeidbar. Das könnte besser verstanden werden, wenn man diesen Zustrom mit der massiven Einwanderung von Juden aus arabischen Ländern und der Sowjetunion nach Israel vergleicht. Dort existierte eine gemeinsame religiöse und/oder kulturelle Basis und damit war Verletzlichkeit, wenn überhaupt, weit geringer als in Europa. Das wurde von Ayaan Hirsi Ali bereits vor rund zehn Jahren festgestellt.[v]

Die beträchtlichen Anteile unter den Immigranten, die wenig Anstrengung unternommen haben sich zu integrieren, verbunden mit der Nichteignung ihrer europäischen Gastgeberländer beim Umgang mit ihnen hat in der Vergangenheit bereits zu ernsten Problemen geführt. Bei den Herbstkrawallen von 2005 verlor die französische Regierung sogar mehrere Tage lang die Kontrolle über die Situation.[vi] Es gab damals keine gezielten Tötungen bestimmter Einzelpersonen oder Gruppen, doch die Krawalle warfen ein Schlaglicht auf das Bestehen massiver, zum Teil unlösbarer Probleme mit großen Zahlen von Immigranten aus arabischen Ländern und Afrika.

Es gibt viele weitere Beispiele kritischer europäischer Entscheidungen, die getroffen wurden ohne die sich daraus ergebende mögliche Verletzlichkeit zu bedenken. Der schlecht durchdachte Euro ist ein einschlägiges Beispiel; er wurde durch das griechische Finanzdebakel ins Rampenlicht gebracht. Es mussten große Anstrengungen unternommen werden, um eine gemeinsame Währung zu retten, die niemals hätte eingeführt werden dürfen. Jüngste europäische Befürchtungen wegen der neuen linken Regierung in Portugal zeigen, wie verletzlich die europäische Währung ist.

Die Schengener Politik der offenen Grenzen wird als große Leistung der EU betrachtet. Die Ermittlungen zu den Morden von Paris haben aber gezeigt, dass mehrere der Mörder aus Molenbeek in Belgien kamen, das heutzutage von vielen als Hauptstadt des Jihad in Europa betrachtet wird. Ihre Reise nach und Ankunft in Paris wurde durch diese offenen Grenzen erleichtert. Der belgische Innenminister Jan Jambon hat gelobt in Molenbeek aufzuräumen.[vii] Hier müssen allerdings mehrere Vorbehalte erwähnt werden. Zu allererst könnte dieses „Aufräumen“ durch den höchst dezentralisierten Charakter der belgischen Regierung extrem schwierig umzusetzen sein. Darüber hinaus kann ein potenzieller Terrorist leicht in einen anderen Teil Belgiens ziehen, wo solche Ermittlungen nicht durchgeführt werden. Selbst wenn die Überprüfung von Bürgern stark verbessert wird, haben die Länder nicht genügend Personal um große Mengen an Daten zu analysieren. Damit untergräbt schon die Existenz der offenen Grenzen der EU einen Großteil der Bemühungen einzelner Länder sich gegen weitere mörderische Anschläge zu schützen.

Auch die von Russland unterstützten Angriffe auf die Ukraine demonstrieren eine weitere wichtige Verletzlichkeit der EU. Im Vergleich sind die meisten EU-Staaten heute militärisch schlecht ausgerüstet; Grund ist die durchgängige Unterfinanzierung für diesen Zweck. Beispielsweise waren niederländische Soldaten Mitte diesen Jahres gezwungen während des Waffentrainings „Peng Peng!“ zu rufen statt scharfe Munition zu benutzen, weil es kein Geld für Munition gab.[viii]

In Anbetracht all dessen sollten die EU und die europäischen Regierungen anfangen sich zu fragen, wie sie die Verletzlichkeit verringern können. Es gibt hier viel von Israel zu lernen, was weit über Grenzkontrollen und reines Profiling hinaus geht. Die EU sollte eine besondere Einsatzgruppe aufstellen, um sicherzustellen, dass die andauernde systematische Analyse der Frage der Verletzbarkeit sichergestellt wird.

Das ist heute wichtiger, da die zunehmende Komplexität westlicher Gesellschaften sie weiterhin verletzbarer machen wird. Die von ein paar wenigen saudischen Muslimen begangenen Anschläge vom 11. September in den Vereinigten Staaten sind ein grundverschiedenes Beispiel dafür, wie ein paar Einzelpersonen – weit entfernt vom Sitz der Macht – einer Gesellschaft als Ganzem großen Schaden zufügen können. Gleichermaßen nahm ein einzelner Terrorist, der „Schuhbomber“ Richard Reid, einen beträchtlichen negativen Einfluss auf die Gesellschaft.[ix] Seit seinem fehlgeschlagenen Bombenanschlag in einem Flugzeug im Jahr 2001 müssen Millionen Menschen in vielen Ländern bei den Sicherheitschecks an Flughäfen und andernorts die Schuhe ausziehen.

Von einer sehr anderen Beschaffenheit ist die Verletzlichkeit wegen der gewollten massiven Lecks bei vertraulichen Informationen durch eine oder eine kleine Anzahl von Einzelpersonen. Julian Asange von WikiLeaks ist ein Beispiel. Edward Snowden ist ein weiteres. Letzerer gab verschiedene globale Überwachungsprogramme der National Security Agency (NSA) und weiterer Gremien preis, die die Kooperation der Telekommunikationsfirmen und europäischer Regierungen betrafen. Ihnen ging 1971 Daniel Ellsberg voraus, der die Pentagon-Papiere durchsickern ließ.

Israel leidet derzeit unter einer Welle von Stichangriffen, die hauptsächlich von einzelnen Terroristen ausgeführt werden. Das zeigt, dass es für Gruppen viel schwieriger als in der Vergangenheit geworden ist Mordversuche zu begehen. Wenn die terroristische Bedrohung in Europa auf diese Art von Anschlägen begrenzt wird, wie sie Israel derzeit erlebt, statt groß angelegter Anschläge wie die auf die Züge in Madrid 2004, London 2005 und die jüngsten Anschläge in Paris, wird die EU wissen, dass sie beträchtliche Fortschritte bei der Reduzierung der Verletzbarkeit erreicht hat.

 

[i] The European Agency for the Management of Operation Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union.

[ii] Oliver Lane: Swedish Migration Minister Pleads With Migrants: „Stay in Germany!“ Breitbart, 10. November 2015.

[iii] Schweden will aufgenommene Flüchtlinge loswerden. DIE WELT, 1. Dezember 2015.

[iv] Manuel Bewarder/Karsten Kammholz: Zehn Prozent der Flüchtlinge werden straffällig. DIE WELT, 9. November 2015.

[v] Interview mit Ayaan Hirsi Ali, in: Manfred Gerstenfeld: European-Israeli Relations: Between Confusion and Change. Jerusalem Center for Public Affairs, 2006, S. 159-169.

[vi] Manfred Gerstenfeld: The Autumn 2005 Riots in France: Their Possible Impact on Israel and the Jews. The Jerusalem Center for Public Affairs, 2006.

[vii] Tim King: Belgium is a failed state: Brussels‘ nest of radicalism is just one of the failings of a divided, dysfunctional country. Politico, 19. November 2015.

[viii] Alexandra Sims: Dutch soldiers are shouting „bang, bang“ because they’ve run out of bullets. The Independent, 6. August 2015.

[ix] Jeffrey Price/Jeffrey Forrest: Practical Aviation Security: Predicting and Preventing Future Threats. Butterworth (Heinemann) 2008, S. 78-79.

 

Erstveröffentlicht bei Heplev

 

Lesen Sie hierzu auch:

 

Dr. Manfred Gerstenfeld bei haOlam.de (Auswahl):


Autor: joerg
Bild Quelle:


Montag, 07 Dezember 2015

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