Dem Peter seine Türken

Dem Peter seine Türken


Es hängt wohl von den jeweiligen Stimmungslagen, genauer: von der aktuellen Tagesform ab, ob man im ersten Moment schräg zusammen zuckt oder umgekehrt zur Salzsäule erstarrt, hochroten Kopfes. Meine erste Reaktion kulminierte heute in einem einzigen Satz:“…und von solchen Typen werden wir also regiert.“

Dem Peter seine Türken

von Shanto Trdic

 

Der Name: Peter Altmaier. Sein Alter: noch in den besten Jahren. Die Weste: blütenrein.

Optisch gleicht er ganz dem netten Onkel von nebenan. So unverdächtig wie unscheinbar, aber auf heimelnde Weise mopsgemütlich, erinnert der allzeit verlässliche Peter irgendwie an bessere Zeiten, ans schnulzig süße Wirtschaftswunder der Adenauer-Ära. Die gute, alte Zeit eben. Von der alle immer dann zu schwärmen beginnen, wenn´s gar nichts mehr zu schwärmeln gibt. Dann dürfen, auch in der Union, die Hinterbänkler ein wenig nach vorne rücken und leise ´Hallo´ rufen. Denen, die auch weiterhin ganz vorne sitzen, sind dann nämlich die Floskeln ausgegangen. Die alten verkaufen sich besser, sagt sie ein anderer noch einmal auf bzw. nach. Der nette Peter zum Beispiel. Gemessen an dem Amt, dass ihm übertragen wurde – Altmaier ist Muttis oberster Flüchtlingskoordinator – war zuletzt wenig bis nichts von dem Mann zu hören. Zum Volk sprachen jene, denen dieser Mensch eisern die Steigbügel hält. Aber das Volk mosert, immer vernehmlicher, also muss es irgendwie besänftigt werden, also muss/darf/soll der sympathische Glatzenträger erneut Muttis Werbetrommel rühren: als kreuzbraver Parteisoldat, der nahezu anstandslos in die Tat umsetzen, was von den Machern stets ohne vorherige Absprache verordnet wird.

 

Freilich: Solche im Grunde harmlosen, nicht unsympathischen Vollzugsbeamten, Fliegengewichte und Erfüllungsidioten in einem, finden sich in sämtlichen etablierten Parteien. Man findet sie auch im Kegelverein, in der Kneipe vom Eck oder beim Elternsprechtag in der Brennpunktschule, wenn die Mami grad nicht kann. Alles halb so wild, könnte man also meinen, aber dem Peter seine Mami tut derzeit regieren, ziemlich allein, denn alle sind ihr davongelaufen – die Nachbarn, die Familie und bald sucht auch die angeheiratete Verwandtschaft das Weite. Warten wir den Sonntag ab. Noch tun die meisten, als hielten sie in Treu und Glauben zu ihr. Alles nur Mache. Gestern oberste Patriarchin, muffeln und meckern jetzt alle an der Mutti rum. Hinter ihren Rücken. Echt fies, das. Der brave Peter aber, im Vergleich zu den Älteren und Jüngeren vom Nachwuchs weniger betüddelt, mehr warm im Blick behalten, hält unverdrossen zu ihr. Er allein hält immer Wort. Er macht sich auch nie dreckig, wie die andern Lümmels, er kann auch das ganze Vaterunser auswendig und schleimt sich bei Mutti wacker durch, obschon er weiß, dass am Ende doch die andern erben werden.

Peter Altmaier war und ist im Kabinett Merkel einer von den Verlässlichen, einer dieser ´Deppen vom Dienst´, die man mit hohen Ämtern überhäuft, weil man (Merkel) genau weiß: auf den ist Verlass. Und weil der Peter ein ehrliches Gesicht hat, lässt sich der Murks seiner Mutti umso besser verkaufen. Er darf dann, wird ihm das von Mama erlaubt, in die Kamera lächeln und seine Bet-Verse aufsagen. Meist sitzt er da ohne echte Freunde in seinem Kinderzimmer, jetzt schickt die Hausherrin ihn wieder mit dem Klingelbeutel durch die Nachbarschaft. Der Minister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes durfte gestern den arg ramponierten Ruf der eisernen Matrone mittels Interview (die WELT) aufpolieren. Er tat es mit der Klobürste.

 

„Dieser Gipfel war ein Wendepunkt,“ jubelte der Herr Altmaier.“ Wir haben zum ersten Mal die konkrete Chance, die Flüchtlingskrise zu lösen, ohne unsere humanitären Ansprüche aufzugeben.“ Sparen ´wir´ uns die Frage, wen genau er mit ´wir´ meint. Und was ´wir´ nun eigentlich ein halbes Jahr lang gemacht haben, wie genau die Aufgabe von humanitären Ansprüchen in diesem Zeitraum ausgesehen hat und wer von uns, die wir einander mit ´wir´ bezeichnen, da genau versagt hat – ist im Grunde ohne Bedeutung. Wenn man den Ausführungen des Herrn Altmaier aufmerksam folgt, was ohnehin schwer fällt, kann man nur zu dem Schluss kommen, das er mit diesem ominösen ´wir´ Deutschland und die Türkei meint, allein diese beiden, und all jene, die an diesem ´Wendepunkt-Gipfel´ auch noch teilgenommen haben, müssen entweder auf der Toilette oder dauernd am Tresen gewesen sein – arbeitsunfähig infolge Vollrausch oder Durchfall. Klarsichtig und luzide sind, so will es scheinen, einzig das rechtgläubige Anatolien und die weltwirtschaftswundernden, willkommensgrüßenden, im stolzen Alleingang schlafwandelnden Germanen. Die, welche voll zur Mutti halten. Noch. Die ´restlichen´ EU-Mitgliedstaaten werden von Altmaier nur im namenlosen Plural vorgeführt, und immer im Ton einer Belehrung, der gerade ihm so gar nicht liegt. Der Minister verrät uns bei der Gelegenheit, was die (restlichen 27 Mitgliedstaaten der Union) bis jetzt so alles falsch gemacht haben. Und er weiß genau, wer es ab sofort mal wieder so richtig richtig machen wird. Deutschland und die Türkei eben. Wenn man Altmaiers Worten Glauben schenken mag, dann ist die AKP-Türkei gar kein Staat mehr sondern längst so etwas wie eine humanitäre Allzweckwaffe, die XXL-Caritas vom dauernden Dienst. Lesen sie das Interview, sie werden staunen.

 

Mit Hilfe der Türken werden ab sofort Schleppernetze ausgetrocknet und unerwünschte Einwanderer im Schnellverfahren ´zurückgeführt´, ganz sauber und verlässlich. Das muss einfach klappen, denn mit den Türken werde ´kooperiert´, und zwar ´im gemeinsamen geostrategischen Interesse, um den Nahen und Mittleren Osten zu stabilisieren´. Donnerwetter! Was die alles können. Überhaupt: Die nehmen doch dauernd Flüchtlinge auf, viel mehr als alle anderen, und wenn den Herrn Altmaier keiner fragt, unter welchen Bedingungen diese Menschen in der Türkei leben, deren Würdenträger ihnen den Schlamassel übrigens selbst eingebrockt haben, dann ist das ja nicht seine Schuld. Wohlgemerkt: Der Minister stimmt seinen endlosen Lobgesang an, ohne der heiligen Kuh auch nur im Ansatz ein Härchen zu krümmen. Die Balkanstaaten aber zählen ab sofort zum ´Schweinefleisch´: echt unsauber, was diese Typen da gerade abgezogen haben.

 

So empathisch sich Altmaier den Türken gegenüber zeigt: Für die Sorgen und Ängste jener Staaten, die Jahrhundertlang unter dem osmanischen Joch seufzten oder aber, Beispiel Kroatien, dem Ansturm des Halbmondes aus eigener Kraft widerstanden, bleibt er auf beiden Augen blind. Das diese nun in einem gemeinsamen Kraftakt Fakten geschaffen haben, wird allerorten mit echter Erleichterung zur Kenntnis genommen, einzig (und verständlicherweise) die Griechen bangen um ihre Substanz, aber der Peter klebt nun einmal an Muttis Rockschößchen und hat sich längst auf ihren neuen ´Lebensabschnittsgefährten´ eingeflasht: Erdogan und seinen ´Vorkoster´, den Herrn Davutoğlu. Auch der darf sagen, was er sagen muss, auch er tut das immer mit einem netten Lächeln. Erinnern sie sich in diesem Zusammenhang auch noch einmal an meinen Aufsatz vom Juli letzten Jahres, als ich die in Schmeicheleien verpackten Drohungen des Herrn Gül entsprechend einordnete. Dieser Tage macht die Türkei damit tatsächlich ernst, und der Herr Altmaier findet das völlig in Ordnung. Er wirbt dafür. Im Interesse Europas, wie er meint.

 

Sicher: In diesem Gespräch kommen auch kritische Fragen zu Wort, aber im Ergebnis gar nicht mehr zur Geltung, weil der Superminister sämtlichen dieser Einwände mit dem dauernden Hinweis ausweicht, wie toll unsere neuen Freunde aus Anatolien doch insgesamt schon drauf sind. Im Vergleich übrigens zu den Europäern selbst (Germanien ausgenommen). Denen wirft er vor, rücksichtlos nationale Interessen durchzusetzen (was macht die Türkei?) und überhaupt: “Die Türkei hat sich europäischer verhalten als so manches andere EU-Mitglied.“ Das sie im kurdischen Aufstandsgebiet derzeit ein Dorf nach dem anderen einebnet und mehr Journalisten in ihren Foltergefängnissen sitzen als im ewig bekrittelten Großchina, das interessiert in diesem Zusammenhang, wo wir „zum ersten Mal die konkrete Chance haben, die Flüchtlingskrise zu lösen, ohne unsere humanitären Ansprüche aufzugeben,“ wenig bis gar nicht.

Im Kollektiv soll Europa nun zur Geisel eines echten Schurkenstaates werden. Altmaier sieht keine Probleme, denn mit den Türken wird ja stets ´auf Augenhöhe verhandelt´. Das die zahlreichen Zugeständnisse, für die er wacker wirbt, für Europa nur von Nachteil sein können, auf kurz oder lang: Er sieht es nicht. Beispiel Visa-Erleichterung. Frage an den Herrn Minister: Wie viele potentielle ´IS-Urlauber´ werden mittels solcher Freifahrscheine binnen Kurzem nach Europa einströmen?

 

Das Erfolgsgeheimnis der europäischen Integration habe darin bestanden, so Altmaier, dass es keinen Hegemon im klassischen Sinne gegeben habe. Dass seine Mutti genau diesem Hegemon gleicht, allein gegen alle nämlich, zusammen mit dem Empörer (Türkei), kann einem braven Muttersöhnchen wie ihm wohl nicht aufgehen. Vielleicht sieht er das Ganze auch eher seitenverkehrt. Offenbar sind alle übrigen Mitgliedstaaten zur hegemonialen Konkursmasse zusammengeschmolzen, und die multiplurale Türkei wird, gemeinsam mit der Mutti hörigen Medienmeute Deutschlands, den Irrblock langsam aufdröseln. Dementsprechend tut man im deutschen Fernsehen noch immer so, als seien die Kungeleien mit den Türken auf europäischen Mist gewachsen. Diese Jauche hat uns aber, pardon!, nur Peters Mutti eingebrockt. Er brockt mit.

 

Einmal mehr wird deutlich, wie dreckig Politik sein kann. Auch wenn ein Saubermännchen wie der Herr Altmaier sie gerade vertritt oder verkündet. Doch Vorsicht: Jedwede Empörung bleibt taktisch justiert. Hätten, ein Beispiel, Gespräche mit Russland angestanden (auf deren Mitarbeit wir derzeit noch nicht angewiesen sind), dann wäre die gewaltsame Zerschlagung einer kritischen Nachrichtenagentur (Zaman) Anlass genug gewesen, Botschafter einzuberufen, Gespräche auf Eis zu legen und eine Medien-Hype samt und sonders vorzubereiten. Und der Herr Altmaier hätte von seiner Mutti für den nächsten Presse-Termin ein Zettelchen mitbekommen mit den passenden Phrasen drauf. Böser Putin, böses Russland. Jetzt darf er die Türkei loben. Seine Stichwortgeberin verspricht ihm dafür einen dicken Topfkuchen und zum Geburtstag ein neues Smartphone. Darob soll der Streber schnell wieder abtauchen.

 

Letztes Schmankerl zum abgewöhnen. Der eine oder andere von Ihnen erinnert sich vielleicht noch an jene kleine Artikelserie (EXODUDS), die ich im Herbst letzten Jahres für Numeri verfasst hatte. Darin sagte ich auch den gewaltigen Rückstau an Flüchtlingen voraus, unter denen Griechenland bereits zerbricht. Das sich der Strom der Unbeirrten demnächst letzte Ausweichmöglichkeiten vorbehält, bleibt vor diesem Hintergrund akut, aber auch Albanien, Bulgarien und am Ende Italien werden dem Beispiel jener ´Willigen´ vom Balkan folgen und ihre Grenze dicht machen – sie müssen, wollen sie als Staaten überleben. Frage an den Herrn Altmaier: Warum dann noch das jährliche ´Schutzgeld´ in Milliardenhöhe an unsere/seine türkischen Freunde? Schon die versprochene ´Einmalzahlung´ von drei Milliarden (die von den restlichen EU-Mitgliedstaaten erst noch abgesegnet werden muss) reicht völlig aus, um damit auch einen erheblichen Teil der griechischen Seegrenze zur Türkei in einen wirkungsvollen Sperrriegel zu verwandeln. Die Rückführung geretteter Flüchtlinge bekäme so eine finanzkräftige Deckung verpasst. Wer oder was zwingt uns eigentlich dazu, immer und ewig den Irrsinn grenzdebiler Polithasardeure mitzuspielen? Die Türken würden übrigens, drehte man ihnen den Geldhahn wieder zu, ihrerseits dazu übergehen, die von ihrer Regierung nicht einmal mit Grundversorgung ausgestatteten Flüchtlinge kurzerhand wie Müll über die syrische Grenze zurück in ein Tollhaus zu kippen, das sie selbst mit angerichtet haben. Nur in die andere Richtung also. Dann allerdings wären sie auch nicht mehr dem Peter seine Freunde. Mutti entscheidet, mit wem er spielen darf – oder auch nicht.

 

 

 

 

Dr. Nathan Warszawski/Numeri 24 : 9


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Donnerstag, 17 März 2016