Die höchst unprofessionelle Untersuchung des britischen Labour-Antisemitismus

Die höchst unprofessionelle Untersuchung des britischen Labour-Antisemitismus


Am 30. Juni veröffentlichte Shami Chakrabarti ihren Untersuchungsbericht zu Antisemitismus, Islamophobie und anderen Formen des Rassismus in der britischen Labour Party.[1] Es handelt sich um ein höchst unprofessionelles Dokument.

Die höchst unprofessionelle Untersuchung des britischen Labour-Antisemitismus

von Dr. Manfred Gerstenfeld

 

Der Einleitungssatz ihres Vorworts verkörpert bereits eine zweifache Manipulation. Chakrabarti schreibt: „Die Labour Party wird nicht von Antisemitismus, Islamophobie oder anderen Formen des Rassismus überrannt.“ Die eine Manipulation in diesem Satz besteht darin, dass der die britische Labour Party seit Monaten in die Krise stürzende Skandal ausschließlich extrem antisemitische Äußerungen gewählter Vertreter der Partei betrifft. Dass ihrem Auftrag Islamophobie und Rassismus hinzugefügt wurden, deren die Labour Party nicht beschuldigt worden ist, verwässert die spezifischen, zahlreichen Antisemitismus-Vorwürfe.

 

Die zweite Manipulation in diesem Einleitungssatz ist eine Täuschung, die man „Strohmann-Argument“ nennt – eine Taktik, bei der einem Gegner eine extreme und leicht zu widerlegende Äußerung zugschrieben und dieses erfundene, nicht vorgebrachte Argument dann „entkräftet“ wird. In diesem Fall bestritt Chakrabarti, das die Labour Party „von Antisemitismus“ überrannt worden sei. Allerdings hat dies nie jemand behauptet. Es protestierten weit mehr Parlamentsmitglieder gegen den Antisemitismus, als es die wenigen MPs und andere führende Persönlichkeiten in der Partei gab, die versuchten seine Bedeutung zu bagatellisieren.[2]

 

Um was es wirklich geht, ist etwas ganz anderes. Chakrabarti hatte um Eingaben für ihre Untersuchung gebeten. Ich habe einen offenen Brief veröffentlicht, den ich auch ihr für ihre Untersuchung übermittelte.[3] Ich schrieb: „Es gibt starke Hinweise darauf, dass der Antisemitismus in der Labour Party nicht nur ein paar Einzelne betrifft, sondern ein viel weiter verbreitetes Phänomen ist. Gewählte Repräsentanten der Labour Party würden solch extreme antisemitische und antiisraelische Äußerungen nicht tätigen, wenn sie aus ihrer Wählerschaft erheblichen Widerstand dagegen zu spüren bekämen. Ihre in sozialen Medienplattformen geposteten Hass-Verunglimpfungen sind ihren Wählern leicht zugänglich und die Zahl solcher Posts deutet darauf hin, dass es wenig bis keinen Widerstand ihnen gegenüber gibt. … Die jüdische Abgeordnete Luciana Berger hat in Reaktion auf ihre Kritik an der Verweigerung der Verurteilung von Antisemitismus in der Labour Party tausende extremer Hass-Mails bekommen; einige davon drohten ihr mit Vergewaltigung und Mord.[4] Es scheint logisch, dass die Absender alle oder hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Labour Party sind. Warum sollten auch Menschen, die die Labour Party nicht unterstützen, sich für MP Bergers Kritik an dieser Partei interessieren? Eine Meinungsumfrage der Tageszeitung Times stellte fest, dass nur eines von zehn Labour-Parteimitgliedern Antisemitismus als ein Problem der Partei betrachtet.“

 

Man könnte all das so zusammenfassen: „Beträchtliche Teile der Labour Party sind von Antisemitismus durchdrungen oder diesem gegenüber unempfindlich.“[5]

 

Chakrabartis nächste Manipulation besteht darin, dass sie Labour-Führer Jeremy Corbyn preist, der ihr den Auftrag gab, weil er nicht in ihrer Arbeit interveniert hat.[6] Nirgendwo in ihrem Bericht wird erwähnt, dass dieser Mann linksextremen Antisemitismus legitimiert. Corbyn lud Repräsentanten der Terrororganisationen Hisbollah und Hamas ins britische Parlament ein; er nannte sie „meine Freunde“.[7]

 

Trotz monatelangen Drucks hatte er zu der Zeit der Veröffentlichung des Chakrabarti-Berichts noch nicht eingestanden, dass das ein Fehler war. Corbyn hatte zudem wichtige Parteiämter an den Hamas-Freund Seamus Milne, der die Gründung Israels ein Verbrechen genannt hatte, sowie den früheren Bürgermeister von London, Ken Livingstone, gegeben. Livingstone hatte als Bürgermeister dem in Ägypten geborenen und in Qatar ansässigen Yussuf al-Qaradawi einen Empfang mit rotem Teppich bereitet. Dieser führende sunnitische Kleriker billigt Selbstmord-Bombenanschläge und vertritt sowohl antisemitische als auch homophobe Ansichten.[8]

 

Es ist unwichtig, ob man mehrere weitere bedeutende Verzerrungen Chakrabartis als Manipulationen oder Auslassungen bezeichnet. Das extremste Beispiel des exzessiven Fehlens an Professionalismus besteht darin, dass es auf seinen 28 Seiten keine konkrete Definition für Antisemitismus gibt. Wie kann man den antisemitischen Charakter einer ellenlangen Reihe an Juden und Israel hassenden Verunglimpfungen untersuchen, wenn man nicht definiert, was Antisemitismus ist? Chakrabarti veröffentlicht in ihrem Bericht keine Liste der antisemitischen Äußerungen der suspendierten gewählten Repräsentanten. Sie will offenbar nicht deutlich machen, dass es die Zahl und der extreme Charakter dieser Verleumdungen sind, die zu ihrem Auftrag führten.

 

In der Eingabe des Board of Deputies, der Dachorganisation der britischen Juden,[9] wurde zum Beispiel gefordert, dass die IHRA/EUMC-Definition des Antisemitismus genutzt werden solle. Ich machte in meinem offenen  Brief an sie denselben Vorschlag.

 

Dass der Chakrabarti-Bericht keine Antisemitismus-Definition nutzt, ist für die Labour Party ein Rückschritt bei ihrem Kampf gegen das Schüren von Hass. Der Report of the British All Party Parliamentary Inquiry into Anti-Semitismaus dem Jahr 2006 empfahl, dass „die EUMC-Definition von der [britischen] Regierung und den Strafverfolgungsbehörden übernommen und unterstützt wird“.[10] Die Untersuchung wurde von einer Labour-MP initiiert und von einem weiteren Labour-MP geleitet. Sechs ihrer 14 Mitglieder waren Labour-MPs.

 

Chakrabarti macht eine recht kryptische Bemerkung dazu, dass sie Muslima ist: „Ich wurde oft (besonders in den sozialen Medien) als eine Sympathisantin muslimischer Terroristen beschrieben. Ich stritt die Bezeichnung als Muslima nie ab.“[11] Ist das ein berechtigter Grund alle Beweise wegzulassen, dass eine unverhältnismäßig hohe Zahl der Suspendierten oder des Antisemitismus in der Labour Party Beschuldigten Muslime sind? Darüber hinaus wurde die extremste Verunglimpfung Israels, eine völkermörderische, von einer muslimischen Stadträtin geäußert. Der Vorwurf: Sie hat getwittert, sie hoffe, dass der Iran einen Atomwaffe dazu nutzen wird ‚Israel von der Landkarte zu wischen‘.[12] Es muss auch vermerkt werden, dass verschiedene der suspendierten gewählten Repräsentanten der Labour Party aus Bereichen mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil kommen, zum Beispiel der Region Bradford, wo etwa ein Viertel der Einwohner Muslime sind.

 

Corbyn hat eine enorme Anzahl an Fehlern gemacht. Sich für Chakrabarti zu entscheiden, um die Untersuchung durchzuführen, ist allerdings keiner davon. Sie schreibt: „Als jemand, die für freie Meinungsäußerung eintritt, habe ich immer an das Recht zu beleidigen geglaubt. Aber als Rechtsanwältin kenne ich den Unterschied zwischen einem Recht und einer Pflicht.“[13] Es ist unwahrscheinlich, dass ein Ermittler mit einer solchen Einstellung gegenüber Hassreden in ihrer Bewertung einer Reihe Juden und Israel hassender Verunglimpfungen in der Partei streng sein wird.

 

Dann gibt es in dem Bericht etwas, das man einen Propagandabereich nennen könnte. Diesem widmet Chakrabarti, die erst vor kurzem Parteimitglied wurde, der Skizzierung dessen, wie die Partei in der Vergangenheit Juden willkommen geheißen hat. Das ist für die aktuelle Situation irrelevant. Es ist zudem historischer Revisionismus, da sie vergisst den ehemaligen Außenminister Ernest Bevin zu erwähnen, einen Labour-Mann, der in großen Teilen der jüdischen Welt einer der am meisten gehassten Politiker war, weil er Israels Unabhängigkeit heftig ablehnte.

Ist es ein  Ausgleich für all ihre Auslassungen, dass Chakrabarti uns ein weiteres Extra gibt? Sie schreibt in dem Bericht regelmäßig von ihren Erfahrungen und denen ihrer Familie. Dieser Egotrip ist nur eine weitere Ablenkung von dem, was dieser Bericht hätte leisten sollen: die extrem antisemitischen, gehässigen Verunglimpfungen durch Labour-Repräsentanten zu untersuchen.

 

Der Text Chakrabartis mäandert durch verschiedene Äußerungen, ohne ein Leitbild zu vermitteln. Einige Anmerkungen sind von Bedeutung, beispielsweise dass der Holocaust nicht missbraucht werden sollte. Andere sind bestenfalls marginal, so die Empfehlung Begriffe wie „Zio“ oder „Paki“ nicht zu verwenden. Sie war einmal schockiert, als jemand als „Paki“ bezeichnet wurde und erwähnt das in ihrem Bericht. Nicht erwähnenswert sind dann aber Verunglimpfungen wie die durch einen Labour-Repräsentanten, darunter „Adolf Hitler war der ‚größte Mann der Geschichte’.“[14]

 

Chakrabarti betreibt außerdem auf eine weitere Weise Schadenskontrolle für die Labour Party. Sie schlägt vor, dass es ein Moratorium zur Vergangenheit geben sollte. Sollten weitere Fälle von Antisemitismus aus der Vergangenheit ans Licht kommen, so sollte man sich nicht weiter darum kümmern.

 

An dem Bericht könnte viel mehr Kritik geübt werden, aber das würde einen ganzen Aufsatz erfordern. Es gibt einen weiteren Grund, dass der Bericht einen gewissen Wert hat. Er ist eine Sammlung wichtiger Manipulationen, wichtiger Auslassungen und Verwässerungen dessen, was sein einziges Thema hätte sein sollen. Kurz gesagt: Ein Musterbeispiel für Reinwaschen und Schadenskontrolle, gemischt mit einem Egotrip. Wenn man Antisemitismus im Unterricht behandelt, ist er ein idealer Text, um ihn von Schülern bzw. Studenten kommentieren zu lassen und zu erklären, wie Antisemitismus wirklich untersucht werden sollte und was an dem Chakrabarti-Bericht radikal falsch ist.

 

[1]http://www.labour.org.uk/page/-/party-documents/ChakrabartiInquiry.pdf

 [2] http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/18940

[3] http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/19002 undhttps://heplev.wordpress.com/2016/06/13/37463/

[4] www.dailymail.co.uk/news/article-3566667/Jewish-Labour-MP-speaks-vile-anti-semitic-abuse-subjected-online-bullies.html;www.timesofisrael.com/jewish-labour-mp-posts-anti-semitic-abuse-she-received-online/

[5] www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/19002#.V3jQ__l967Q

[6] www.labour.org.uk/page/-/party-documents/ChakrabartiInquiry.pdf, S.3

[7] http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/aug/13/jeremy-corbyn-labour-leadership-foreign-policy-antisemitism

[8] news.bbc.co.uk/2/hi/4165691.stm

[9] http://www.bod.org.uk/board-of-deputies-makes-submission-to-labours-chakrabarti-inquiry/board-of-deputies-inquiry-submission-3/

[10] Report of the British All-Party Parliamentary Inquiry into Antisemitism (London: Stationery Office Ltd, September 2006), Abs. 26.

[11] www.labour.org.uk/page/-/party-documents/ChakrabartiInquiry.pdf, S.4

[12] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3531852/Labour-councillor-20-suspended-claims-called-Hitler-greatest-man-history-latest-anti-Semitic-scandal-hit-Corbyn-s-party.html

[13] www.labour.org.uk/page/-/party-documents/ChakrabartiInquiry.pdf, S. 11.

[14] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3531852/Labour-councillor-20-suspended-claims-called-Hitler-greatest-man-history-latest-anti-Semitic-scandal-hit-Corbyn-s-party.html

 

 

 

Erstveröffentlicht bei Heplev


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Donnerstag, 21 Juli 2016