Das strukturelle Unbehagen französischer Juden

Das strukturelle Unbehagen französischer Juden


Viele Juden in Frankreich haben ein unbehagliches Gefühl, was die Einstellungen der Franzosen zu ihnen angeht

Das strukturelle Unbehagen französischer Juden

von Dr. Manfred Gerstenfeld

 

Das beruht auf einer Reihe von Problemen, die weit über antisemitische Äußerungen hinaus gehen. Wenn man mit französisch-jüdischen Experten spricht, können sie keinen Plan für eine langfristig überlebensfähige jüdische Gemeinschaft vorweisen.

 

Die relative Wichtigkeit der verschiedenen Themen, die Juden in Frankreich Sorge machen, ändert sich mit der jeweiligen politischen Partei an der Macht. Doch eine Drohung ist immer vorhanden: die der – manchmal tödlichen – Gewalt, die hauptsächlich von Teilen der muslimischen Gemeinschaft ausgeht.

Alle tödlichen Angriffe auf Juden im 21. Jahrhundert in Westeuropa sind von Muslimen verübt worden. Die meisten gab es in Frankreich. Juden stellen weniger als ein Prozent der Bevölkerung des Landes, aber einen beträchtlich höheren Anteil der Getöteten. Der jüdische Discjockey Sebastien Selam wurde 2003 von seinem Nachbarn Adel Amastaibou ermordet.[1] 2006 wurde Ilan Halimi, ein junger jüdischer Mann, von einer Gruppe Muslime entführt und 24 Tage lang gefoltert, bevor sie ihn ermordeten.[2]

 

Die Morde an vier Juden in Toulouse, drei davon Kinder, im Jahr 2012 wurden von Mohammed Merah verübt.[3] 2015 ermordete Ahmed Coulibaly vier Juden im Pariser Supermarkt Hyper Cacher.[4] Im April 2017 wurde Lucy Halimi in Paris ermordet. Verdächtig ist ihr muslimischer Nachbar.[5] Die Anschläge auf Synagogen in Paris und Sarcelles durch Banden muslimischer Rowdys im Jahr 2014 sind im Nachkriegs-Westeuropa beispiellos.

 

Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron möchte, dass die bestehende EU-Politik der offenen Grenzen beibehalten wird.[6] Das erleichtert weitere Terroranschläge. Die Anschläge und Drohungen haben zu enorm verstärkten Sicherheitsmaßnahmen an Synagogen, Schulen und anderen jüdischen Institutionen geführt. Mancher wird sich sogar von jüdischen Versammlungsorten fernhalten. Darüber hinaus sind viele Juden abgeneigt ihre Identität in der Öffentlichkeit zu zeigen, besonders in Gegenden, in denen es viele Muslime gibt.

 

Ein weiteres ärgerliches Thema betrifft politische Angriffe auf jüdische Bräuche. 2012 sagte François Fillon, der Mitte-Rechts-Kandidat der gerade gelaufenen Präsidentschaftswahlen, dass Juden und Muslime ihre uralten Schlacht-Traditionen fallen lassen müssen, die nicht in moderne Zeiten passen.[7] Macron sagte, dass mehr und mehr Eltern ihre Kinder auf religiöse Schule schicken, die sie Hass auf die [französische] Republik lehren. Er fügte hinzu, dass muslimische religiöse Schulen nur auf Arabisch unterrichten und jüdische Schulen nur die Thora lehren und grundlegende säkulare Bildung weglassen.[8] 2012, als sie ein Verbot muslimischer Kopftücher in der Öffentlichkeit forderte, sagte Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National (FN), auch Kippot sollten mit verboten werden.[9]

 

Angriffe auf den Holocaust sind ein weiteres unbehagliches Thema. Zwei der frühesten Holocaustleugner waren Franzosen: der Faschist Maurice Bardèche und Paul Rassinier, vor dem Krieg Kommunist, dann Mitglied der Résistance und später Sozialist.[10] Jean Marie Le Pen, der Gründer des FN und Vater der jetzigen Parteichefin, ist mehrere Male wegen Holocaustleugnung verurteilt worden.[11]

 

Marine Le Pen hat die Konzentrationslager als den Gipfel der Barbarei bezeichnet.[12] Sie legte am Holocaust-Mahnmal in Marseille einen Kranz nieder.[13] Aber sie führte auch ein negatives Element in die Debatte um die Verantwortung von Vichy ein, die inzwischen als abgeschlossen betrachtet wird. Sie sagte, Frankreich sei nicht für die antisemitischen Taten der Vichy-Regierung verantwortlich. Das ist eine traditionsreiche falsche Behauptung aufeinander folgender französischer Präsidenten. Der letzte, der das sagte, war der Sozialist François Mitterand. Sein Mitte-Rechts-Nachfolger Jacques Chirac war der erste, der sagte, dass Frankreich für den Vichy-Antisemitismus verantwortlich war. Folgende Präsidenten machten es genauso: Nicolas Sarkozy von der rechten Mitte ebenso wie der Sozialist François Hollande. Macron reagierte auf Marine Le Pens Äußerungen, indem er sagte, Frankreich sei verantwortlich für Vichys Taten.

 

Der letzte sozialistische Präsidentschaftskanidat, Benoît Hamon, hat eine erhelbiche Geschichte an antiisraelischen Aussprüchen. Nach der Gaza-Flottille beschuldigte er Israel, es habe ein Blutbad verursacht.[14] Er war 2014 einer der Hauptimpulsgeber der Anerkennung des Palästinenserstaats im französischen Parlament.

 

Hamon hat sich zufrieden über die antiisraelische Resolution 2334 des UNO-Sicherheitsrats geäußert.[15] Hamons Haltung kann so zusammengefasst werden: Antiisraelisch zu sein ist eine sehr gute Art für die sozialistische Partei, um die französisch-muslimischen Wähler wiederzugewinnen, die während der Präsidentschaft Hollandes verloren wurden.[16]

 

Ein wichtiger Grund, dass Frankreich antiisraelische Haltungen eingenommen hat, besteht darin Muslime zufriedenzustellen, die aus Ländern stammen, die Mehrheitsanteile an Antisemiten haben; für ihre Nachkommen gilt dasselbe. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass Frankreich ein Land mit großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen ist. Die britische Daily Telegraph hat Frankreich „den kranken Mann Europas“ genannt.[17]

 

In einer solchen Wirklichkeit müssen die Führungskräfte des Landes nicht nur die Muslime zufriedenstellen, sondern auch einen Sündenbock finden, um sich selbst davon zu überzeugen, dass Frankreich in der Welt mehr Bedeutung hat, als es tatsächlich der Fall ist. Die Initiative, die zur gescheiterten Nahost-Friedenskonferenz Anfang 2017 in Paris führte, sollte in diesem Zusammenhang gesehen werden.[18]

Gerard Araud, der französische Botschafter in den Vereinigten Staaten – und ehemaliger Botschafter in Israel – hat fälschlich behauptet, dass Israelis in Bezug auf Frankreich Neurotiker sind.[19] Das trifft eher umgekehrt zu.

 

Macron scheint zu begreifen, dass Frankreichs sozial-wirtschaftliche Lage radikal zu gesunden ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Position Frankreichs in der EU und der westlichen Welt ist. Hat er Erfolg, was bezweifelt werden darf, dann könnte das sogar einen Teil des Drucks auf das französische Judentum verringern.

 

 

[1] Brett Kline: Two Sons of France. The Jerusalem Post, 21. Januar 2010.

[2] Trial Begins of French ‘Gang of Barbarians’ Accused of Killing Young Jew after 24-Day Torture. Daily Mail, 30. April 2009.

[3] Edward Cody: Mohammed Merah, face of the new terrorism. The Washington Post, 22. März 2012. S. auch: Manfred Gerstenfeld: Anti-Semitism and Anti-Israelism in Western Schools. Post-Holocaust and Anti-Semitism, Nr. 112, 1. November 2011.

[4] http://www.lemonde.fr/police-justice/article/2015/11/07/attentats-de-paris-les-messages-du-commanditaire-au-tueur-de-l-hyper-cacher_4805099_1653578.html

[5] http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4945581,00.html

[6] http://www.reuters.com/article/us-france-election-macron-idUSKBN14Y0S8

[7] http://www.reuters.com/article/france-election-idUSL5E8E56Y620120305

[8] http://www.marianne.net/emmanuel-macron-republique-est-ce-lieu-magique-qui-permet-gens-vivre-intensite-leur-religion

[9] http://www.haaretz.com/world-news/europe/1.773621

[10] Henry Rousso, Le dosssier de Lyon III: Le rapport sur le racisme et le nיgationnisme à l’universitי Jean-Moulin (Paris: Fayard, 2004). (French)

[11 http://www.theguardian.com/world/2016/apr/06/jean-marie-le-pen-fined-again-dismissing-holocaust-detail

[12] http://www.la-croix.com/France/Politique/Marine-Le-Pen-rapport-ambigu-lHistoire-2017-04-10-1200838508

[13] http://www.jta.org/2017/04/30/news-opinion/world/far-right-presidential-candidate-marine-le-pen-lays-wreath-at-french-holocaust-memorial

[14] http://www.lemondejuif.info/2014/10/france-lassemblee-nationale-appelee-reconnaitre-palestine/

[15] http://www.lemondejuif.info/2016/12/primaire-parti-socialiste-lantisioniste-benoit-hamon-se-felicite-de-resolution-anti-israelienne-cs/

[16] http://www.lemondejuif.info/2016/05/lantisioniste-benoit-hamon-attaque-israel-valls-cede-face-a-gouvernement-israelien-conservateur/

[17] http://www.telegraph.co.uk/business/2017/03/06/eight-charts-show-france-sick-man-europe/

[18] http://www.diplomatie.gouv.fr/en/country-files/israel-palestinian-territories/peace-process/initiative-for-the-middle-east-peace-process/article/conference-for-peace-in-the-middle-east-15-01-17

[19] http://saveisraelcampaign.com/atad/Articles.asp?article_id=4877&

 

 

Heplev


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Dienstag, 23 Mai 2017