Mediale Vernebelung zulasten Israels

Mediale Vernebelung zulasten Israels


Nach der Ermordung zweier israelischer Polizisten durch drei Muslime in der Nähe des Tempelbergs und der Tötung der Angreifer durch Kollegen der Opfer werden in seriösen deutschen Medien einmal mehr Ursache und Wirkung sowie Täter und Opfer vernebelt oder gar vertauscht. Es kommt jedoch auch zu einer Korrektur, die bemerkenswerter ist, als sie es eigentlich sein dürfte.

Mediale Vernebelung zulasten Israels

von Alex Feuerherdt

 

Am Freitag hat sich in der Altstadt von Jerusalem einmal mehr eine terroristische Attacke zugetragen. Ausgeführt wurde sie von drei jungen muslimischen Männern, die in der Nähe des Löwentors auf zwei israelische Polizisten schossen und sie dabei tödlich verletzten. Die Angreifer kamen vom Tempelberg und flohen nach der Tat auch wieder in diese Richtung. Polizisten nahmen die Verfolgung auf und erschossen zwei der Täter. Der dritte wurde im Zuge seiner Festnahme zu Boden gebracht, sprang jedoch plötzlich auf und griff mit einem Messer erneut an. Daraufhin erschossen die Polizisten auch ihn. Bei den beiden Opfern handelt es sich um den 30-jährigen Haiel Sitawe und den 22-jährigen Kamil Shnaan. Die Täter, zwei 19-Jährige und ein 29-Jähriger, stammten aus der nordisraelischen, unmittelbar an der Grenze zum Westjordanland gelegenen Kleinstadt Umm al-Fahm.

 

In der Jerusalemer Altstadt ereignen sich seit fast zwei Jahren immer wieder terroristische Angriffe, dieser jedoch hatte ungewöhnliche Merkmale: Die Täter waren keine Palästinenser, sondern arabische Israelis, sie benutzten – für die aktuelle Terrorwelle ungewöhnlich – Schusswaffen, und die Opfer waren keine Juden, sondern Drusen. Zudem nutzen Attentäter normalerweise keine der Heiligen Stätten als Angriffs- oder Rückzugsort. Deshalb musste man befürchten, dass die Attacke auf eine umfassendere Kriegserklärung gegen Israel hindeutet. Entsprechend schärfer als sonst waren auch die Maßnahmen des jüdischen Staates: Der Tempelberg wurde vorübergehend gesperrt, auch für Muslime, die dort am Freitagsgebet teilnehmen wollten. Zudem wurde der oberste muslimische Geistliche der Stadt, Großmufti Muhammad Ahmad Hussein, festgenommen, als er mit seinen Anhängern gegen die Sperrung protestierte.

 

Wie so oft in der Nahost-Berichterstattung deutscher Medien sind auch diese Geschehnisse teilweise verzerrt oder gar irreführend wiedergegeben worden. Und das nicht zuletzt in den Überschriften, denen nun mal ein besonderes Gewicht zukommt, weil sie zum einen »der Teil der Presseberichte sind, der am stärksten wahrgenommen wird (vor allem in sozialen Netzwerken, wo oft nur die Überschriften gelesen werden)«, und zum anderen »die Perspektive verdeutlichen, die ein Medium uns auf die Ereignisse vermitteln will«. So hielt es der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch vor drei Jahren fest, als er eine Woche lang die Schlagzeilen jener Medienbeiträge auswertete, die sich während des Gaza-Krieges mit Kampfhandlungen beschäftigten.

 

Öffentlich-Rechtliche: Keine Täter, nur eine nebulöse »Schießerei«

 

Auf tagesschau.de lautet die Headline einer frühen Meldung zu den Ereignissen am Freitag: »Polizei erschießt Angreifer am Tempelberg«. Eine spätere Nachricht ist mit »Tote bei Schießerei auf Tempelberg« überschrieben. Im erstgenannten Fall bleibt offen, wer die Angreifer sind, wen sie angegriffen haben und welche tödlichen Folgen ihr Angriff hatte. Als handelndes, Menschenleben forderndes Subjekt mit Nachrichtenwert erscheinen hier ausschließlich die israelischen Polizisten. Im anderen Fall verschwimmen Täter und Opfer zu »Toten« einer »Schießerei« – so, als handelte es sich um rivalisierende, wild herumballernde Banden und als wären Angreifer und Angegriffene nicht eindeutig zu benennen. Auch beim Deutschlandfunkgibt es lediglich »mehrere Opfer« bei einer »Schießerei am Tempelberg«.

 

Das ZDF verwendet auf Twitter ebenfalls das unzutreffende, äquidistante Wort »Schießerei« und konterkariert damit seine zuvor getroffene Feststellung, dass es ein Attentat gab (auf wen, bleibt wiederum im Dunkeln). Dass drei Angreifer getötet wurden, findet vorrangige Erwähnung, erst danach heißt es: »Auch zwei Polizisten starben.« Das Wort »auch« unterstreicht dabei die vermeintliche Nachrangigkeit, die in völligem Gegensatz zum Tathergang steht. Zudem bleibt offen, wie die Polizisten eigentlich ums Leben kamen: War es Altersschwäche? Ein Querschläger? Friendly Fire? Oder vielleicht doch ein gezielter Mordanschlag?

 

Hannoversche Allgemeine verbessert dpa-Überschrift

 

Die taz schlagzeilt: »Tempelberg in Jerusalem: Mehrere Tote bei Anschlag«. Täter und Opfer werden auch hier unterschiedslos zu »Toten«, wer angegriffen hat und wer angegriffen wurde, wird nicht gesagt – so, als wäre das nicht der Rede wert. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) wiederum hat eine Meldung verfasst, deren Überschrift von vielen Medien, die sie veröffentlicht haben, allenfalls geringfügig modifiziertworden ist: »Israelische Polizisten erschießen drei Attentäter« (FAZ.net) oder »Polizisten erschießen drei Attentäter auf Tempelberg« (Handelsblatt, Berliner Morgenpost und andere) lautet sie. Auch hier werden mithin die Kollegen der Ermordeten als diejenigen, die Menschen getötet haben, in den Mittelpunkt gerückt. Das Hauptinteresse gilt also nicht dem mörderischen Anschlag auf die Polizisten, sondern der Reaktion der Polizei.

 

Dass das eine Vernebelung von Ursache und Wirkung ist und in der Konsequenz eine Verdrehung von Tätern und Opfern, scheint einigen wenigen Medien im Laufe des Tages immerhin bewusst geworden zu sein. So hat die Hannoversche Allgemeine (HAZ) die Überschrift der dpa-Meldung geändert; aus »Israelische Polizisten erschießen drei Attentäter« wurde die Formulierung »Terroristen töten zwei israelische Polizisten«. Damit hat die Zeitung nicht nur klargestellt, wer Täter und wer Opfer ist, sondern die Tat außerdem unmissverständlich als Terror eingeordnet. Der Berliner Tagesspiegel hat seine Schlagzeile, die ursprünglich genauso lautete wie die erste der HAZ, in »Zwei Polizisten sterben bei Attentat am Tempelberg« verbessert.

 

Terrorismusverharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr

 

Solche Korrekturen werden allerdings häufig erst nach Beschwerden von Lesern vorgenommen, und oft genug nützen auch solche Hinweise allenfalls teilweise etwas. So veröffentlichte beispielsweise Spiegel Online vor wenigen Tagen einen auf verschiedenen Agenturmeldungen basierenden Text zu einem Vorfall während einer israelischen Razzia im Westjordanland. Demnach beschossen mehrere Palästinenser israelische Soldaten und griffen sie mit Sprengsätzen an; die Soldaten erwiderten das Feuer, dabei wurden zwei Palästinenser getötet. Die ursprüngliche Überschrift von Spiegel Online lautete: »Westjordanland: Zwei Palästinenser bei israelischer Militäraktion getötet«. Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck schriebdaraufhin auf Twitter: »Diese Terrorismusverharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr wird Ihnen von @SpiegelOnline präsentiert.«

 

Die Redaktion änderte die Schlagzeile anschließend in »Zwei Palästinenser im Westjordanland getötet« und setzte in deutlich kleinerer Schrift »Angriff auf israelische Soldaten« darüber. Das war nun zwar etwas näher an der Realität, doch die Hauptüberschrift stellte weiterhin auf die Wirkung ab und nicht auf die Ursache. Im Text selbst wurden überdies die mit Messern, Schusswaffen und Autos verübten Attentate von Palästinensern auf jüdische Israelis, zu denen es seit Oktober 2015 immer wieder kommt, unverändert als »Auseinandersetzungen in Israel und den Palästinensergebieten« bezeichnet – so, als könnte nicht klar benannt werden, wer die Angreifer und wer die Angegriffenen sind. In dieser Denkweise, darauf wies Volker Beck in einem weiteren Tweet hin, wäre auch der mörderische Angriff des Islamisten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz bloß Teil einer »Auseinandersetzung«.

 

Systematische Asymmetrie zulasten Israels

 

Eine »systematische Asymmetrie in der Darstellung der Akteure« zulasten Israels hatte Anatol Stefanowitsch in seiner Analyse der Schlagzeilen deutscher Medien während des Gaza-Krieges im Sommer 2014 festgestellt. Der jüdische Staat respektive seine Armee werde überaus häufig als Angreifer dargestellt, als Selbstverteidigung seien seine Handlungen in den Überschriften der untersuchten Beiträge dagegen kein einziges Mal bewertet worden. Im Grundsatz gilt dieses Muster für die gesamte deutsche Berichterstattung über den sogenannten Nahostkonflikt. Selbst wenn es, wie am Freitag in Jerusalem, offensichtlicher nicht sein könnte, dass die israelische Seite attackiert wird, erscheint sie regelmäßig als (eigentlicher) Täter oder zumindest als dominierender Akteur – oder der Angriff auf sie geht in einem nebulösen Begriff wie »Schießerei« unter, und ihre Angehörigen werden nicht ermordet, sondern sterben einfach irgendwie.

 

Eine Korrektur wie die der HAZ erscheint vor diesem Hintergrund als außergewöhnlich und deshalb erwähnenswert, dabei sollte sie gar nicht erst notwendig sein. Doch in Zeiten öffentlich-rechtlicher Warnungen vor allzu unpopulären, weil für den jüdischen Staat sprechenden Erkenntnissen, sind selbst schiere Selbstverständlichkeiten bisweilen etwas Besonderes. Und das wiederum ist bezeichnend.

 

 

Lizas Welt/MENA Watch - Foto: Der Moment des Angriffs auf die beiden israelischen Polizisten in der Nähe des Löwentors, aufgenommen von einer Überwachungskamera, aufbereitet von Arutz Sheva TV. Jerusalem, 14. Juli 2017. (Screenshot)


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Dienstag, 18 Juli 2017