Vom Weihnachtsbaum zum Genderstern

Vom Weihnachtsbaum zum Genderstern


Das ist dann mal Weihnachten. Man könnte sagen: schon wieder. So jedenfalls kommt es auch den Jüngeren jetzt vor.

Vom Weihnachtsbaum zum Genderstern

Von Shinto Trdic

Kaum steht die ´besinnliche´ Zeit vor der Tür, beschleicht uns das unbestimmte Gefühl, all dies soeben erst hinter uns gelassen zu haben: die hektische Betriebsamkeit, den aufgesetzten Trubel – die urige Rundumberieselung. Je umständlicher der Aufwand, umso austauschbarer das Gesamtpaket. Weil es dauernd von der Stange kommt, kann es nicht länger begeistern. Statt der noch immer heimlich ersehnten Verzückung dominiert denn auch wie erwartet die allzu offensichtliche Ernüchterung: im Fernsehen in Form ständiger Wiederholungen, auf den rundumversiegelten Weihnachtsmärkten entlang verstopfter Buden und Stände – im Herzen aber als Leere; vor lauter Übersättigung. In der kommerziell beherrschten, lückenlos ausplanierten Vorweihnachtszeit wird der wackere Rudolf solange abgeritten, bis er erschöpft zusammenbricht.

Das rituelle Rudiment, dem der heutige Weihnachtsklüngel seine porösen Fundamente verdankt, ist ganz wesentlich den großbürgerlichen Selbstverständnissen des vorletzten Jahrhunderts zu verdanken. Was wäre Weihnachten ohne die sorgsam verzierte Edeltanne! Wiewohl auf heidnische Bräuche zurückgehend, setzte sich der liebevoll geschmückte Weihnachtsbaum erst im Laufe dieser Dekade auf europäischen Boden vollends durch. Als festliches Inventar der sogenannten´ guten Stube´, damals oft der einzige beheizte Raum im Hause, wärmte der Anblick des leuchtenden Christbaums die Herzen alter und junger Menschen, während ihn die katholische Kirche lange ablehnte. Ihren Würdenträgern konnte nicht entgehen, dass der beschauliche, wiewohl recht selbstbewusst vollzogene Rückzug ins Private den sakralen Rigorismus hintertrieb, dem die reine Lehre ihre einschüchternde Autorität verdankte. Natürlich verpasste keiner der ´Abtrünnigen´ die obligatorische Weihnachtsmesse, aber in Konkurrenz zu ihr vollzog sich in den heimischen vier Wänden eine Veranstaltung, die recht eigenen Riten und Gebräuchen genügte. Der feierliche Prunk, den das üppig ausgeschmückte Nadelgewächs ausstrahlte, war den Oberen des Vatikan ein Dorn im Auge: sie witterten den Verrat, der so verräterisch mit dem eigenen korrespondierte. Der Hang zu Selbstdarstellung und Repräsentanz, bis hin zur Selbstherrlichkeit, war den Renaissance-Päpsten ein Grundbedürfnis gewesen. Wie konnten ihre Nachfolger dulden, das Unberufene nun das eigene Revier mit banalen Zelebritäten und Extravaganzen zu beschmutzten? Erst Mitte des 20. Jahrhunderts erlaubten die Würdenträger Roms Christbäume in katholischen Kirchen. Papst Johannes Paul II. sorgte im Jahr 1982 dafür, dass der erste Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz in Rom aufgestellt wurde. Der Zeitgeist hatte gesiegt. Er würde es bald noch viel häufiger tun.

Die weihnachtlichen Sitten und Gebräuche eines trotz aufkommenden Welthandels gerade erst national gestimmten, privatim aufgestellten und säkular gesinnten Bürgertums schöpften aus dem Überfluss einer Dekade, dessen Segnungen freilich am Gros der Bevölkerung vorbei gingen. Sie war einerseits geprägt durch zunehmende Technisierung der Arbeitsprozesse bei maximal möglichen Profitraten, andererseits dominierte, ganz seltsam, der Zauber der Romantik. Vielleicht als Ausgleich zur vorangegangenen, eher spröden Klassik; wer weiß. Seiner mystisch verstiegenen Ursprünge bald ledig, glich man den putzigen Rest dieser bildungsbürgerlichen Hypertrophie eigenen Vorlieben und Bedürfnissen an, so vor allem im Biedermeier, als Ausdruck harmloser, beinahe täppischer Gemütlichkeit. So war und so blieb eben der Bürger, er mochte sich groß oder klein nennen: beruflich bis zur totalen Erschöpfung, fleißig, bierernst und unerbittlich; privat sentimental und spießig, im Ganzen dermaßen kleinkariert und penibel, dass daraus nur der Größenwahn monumentaler Familiengräber und monströser Privatstiftungen erwachsen konnte. Den Herren Krupp und Borsig waren, gleich Herrn Meyer oder Müller, die alten Gewissheiten abhanden gekommen, aber ganz ohne konnten und wollten sie auch nicht sein. Der sterile Aufwärtskampf lechzte nach wohltätigem Ausgleich. Weihnachten war und blieb ein passender Anlass, die eigene Belegschaft oder das Mädel aus der Schreibstube zu beschenken; mehr noch: mit Glitzerkram und viel Nippes der schwitzenden Geschäftigkeit endlich einmal Einhalt gebieten zu dürfen. Kerzen und Kugeln, Engelchen und Lametta, Lebkuchen und ein Stern auf der Baumspitze schmeichelten dem müden, endlich nassen Auge. Dazu wurden Lieder gesungen, gleich neben einem noch einmal sehr liebevoll verzierten Krippenverschlag. Unter dem fast orientalisch funkelnden, prächtig ausgeschmückten Weihnachtsbaum fand die ganze Familie verlässlich zusammen.

Von der damals parallel laufenden industriellen Massenfertigung bis zum heutigen Hyperkommerz war es kein wirklich weiter Weg mehr. Die Romantik hat längst einem immer aufdringlicher um sich greifenden Kitsch Platz gemacht, der freilich schon in ihr selbst schlummerte. Den Offenbarungen und Mysterien der Weihnachtsgeschichte entsprechen die massenkompatiblen Formate unserer Tage, und das mit viel Liebe handgefertigte Präsent ist durch den bequemen Gutschein ersetzt worden, der den unbegrenzten Erwartungshaltungen einer gelangweilten Überflussgesellschaft wohl noch am passendsten entgegen kommt. Alles Übrige: nur hohler Pomp. In den Ansprüchen einer Gesellschaft erkennt man ihr wahres Wesen. Der vor allem in ländlichen Kreisen seinerzeit noch üblichen Frömmigkeit einerseits, dem in ´guten Kreisen´ obligatorischen Bildungserbe andererseits, setzen wir heute nichts als die krampfhaft gute Laune entgegen, mit viel Getöse und Getue. Die alles andere als weihnachtliche Hektik war selbst dem energischen, sehr diesseitigen Bürgertum noch fremd. Sie hatte bei der Gelegenheit strikt nichts verloren. Heute verliert sich noch der letzte Rest angestammter Andacht und Besinnlichkeit im Ungeist, den die schnellen Reize feiern.

Sicher: Nie ging es so vielen Menschen hierzulande so gut wie heute. Glücklicher hat sie das nicht gemacht. Für viele stellt sich, gerade zu Weihnachten, die große Einsamkeit ein. Noch in den ärmlichsten Suppenküchen rückte man seinerzeit eng aneinander, während die heute obligatorischen Massenversammlungen eher einer beklemmenden Anonymität Vorschub leisten. Städtisches Großbürgertum und bäuerliche Großsippe hielten einander zu Weihnachten die Treue. Hier tauschte der familiäre Hofstaat Geschenke aus, die unter dem grünen Kleid in bunter Verpackung großzügig verstreut lagen. Freilich: etlichen der aus dem muslimischen Kulturkreis zugewanderten Clans und Stämme bleibt derlei Zusammenhalt noch immer selbstverständlich, aber die haben mit Weihnachten wenig am Hut. Sie freuen sich auf die arbeitsfreien Tage, das eint sie dann wieder mit den Autochthonen, deren heruntergekommene Bräuche ihnen ansonsten eher fremd bleiben. Doch während unsere Familien zunehmend schrumpfen, wachsen die ihren beachtlich nach. Daher denn auch, als Ersatz zu den passenden Anlässen, die vielen ´Zweckbündnisse´ auf Zeit: Mädels- und Herrenabend. Kreisch und Johl, Grins und Gröl – was sind wir gut drauf. Festgehalten auf dem unentbehrlichen Smartphone. Gerettet.

Wofür stand Weihnachten doch noch? Was hatte es damit vielleicht mal auf sich? Man könnte auch fragen, wer heute noch Dickens oder in der Bibel liest. DJ Ötzi rockt halt selbst bei den in die Jahre gekommenen Alt-68ern besser als die langatmige Matthäus Passion. Und wem zu Weihnachten die Decke auf den Kopf fällt, wer es in den schaurig stummen, eigenen vier Wänden einfach nicht mehr aushalten kann, der geht in die Ü-30 Disco und kann sich dort mit Mehmet oder Ali um die besten ´Schnittchen´ rangeln.

Interessant bleibt, wie sich die unduldsame katholische Kirche seither entwickelt hat. Bei denen heißt es neuerdings: “Und sie folgten alle einem Genderstern.“

Ich hielt das zunächst für einen schlechten Scherz, das können sie mir glauben. Im Grunde aber findet diese Kirche so, auf Gottes unergründlichen Umwegen, nur zu sich selbst zurück. Will heißen: zur angestammten Exklusivität. In der mittelalterlichen Stufenfolge belegte der Klerus bekanntlich die allerhöchsten Ränge, dem Allmächtigen schon verdächtig nah, aber seine Granden machten rein zahlenmäßig, im Vergleich zu den übrigen Herdentieren, den weitaus schlechter gestellten Schäfchen und Lämmchen der ´Glaubensgemeinschaft´, nur einen Bruchteil aus. Wie die schützenswerten, ständig bedrohten Transgender unserer Tage, denen man nun also gleich den ganzen Weihnachtsstern vermacht. Womöglich leiden beide unter einer Sonderstellung, die der heilige Stuhl auch weiterhin so hochmütig wie zäh verteidigt. Immer weniger von denen, die kein hochdotiertes Amt innehaben, mag mehr so recht mitmachen bei diesem scheinheiligen Verein. Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt dementsprechend weiter zu. Wie das Vermögen der ´geschlossenen Gesellschaft´, die sich neuerdings ganz cool und aufgeschlossen gibt. Man kann diesen Reichtum getrost als horrend, gesinnungsethisch als obszön und unanständig bezeichnen. Die Werte von Grundbesitz, Immobilien, Geldanlagen und Beteiligungen beliefen sich schon zu Beginn des Jahrtausends auf schlappe 270 Milliarden Euro. Eine Summe, die sich kein menschliches Hirn mehr vorstellen kann, auch wenn in unserer Zeit ständig mit Superlativen hantiert wird, als handele es sich um Leckerli von der Stange. Die römisch-katholische Kirche ist mit 8250 km² Grundeigentum größter privater Grundbesitzer in diesem Land. Na, wenn das kein Gendersternchen wert ist! Das könnte man sich direkt patentieren lassen und als hippes Logo zu noch mehr lästerlicher Knete verarbeiten. Die Kirchen biedern sich so einem Zeitgeist an, den die verkommenen Eliten weniger vorgeben, mehr rigoros vorschreiben. Das mag der reinen Lehre schaden, schafft aber lukrative Querverbindungen. So funktionieren Großkonzerne nun mal, das gehört zum Geschäftsmodell und geht zwangsweise auf Kosten lästiger Restbestände. Aus der urchristlichen Gemeinde wurde eine Weltkirche, die in allen Teilen der Welt missionierte und dabei ständig ihr Gesicht wechselte, oft verlor sie es auch, wie denn ein alteingesessener ostwestfälischer Familienbetrieb einst als Backstube anfing und heute global mit allen möglichen Geschäftsmodellen und Produktpaletten das noch immer gültige Etikett schamlos hintertreibt. So what.

Mit der Kirche ist es im Grunde wie mit den Multis aus dem nahen, und immer näher rückenden Osten: Denen geht das Erdöl aus – diesen rennt die Gemeinde fort. Ein Aderlass, dem vorzubeugen sei. Das Unternehmen hat keine Einbußen zu dulden. Also investiert man in ´Extreme´: in Gender oder in den Salafismus. Fieser Vergleich? Beides jedenfalls sorgt hierzulande verlässlich für den Ausverkauf bzw. die Preisgabe angestammter Werte. Da auch die hier lebenden Muslime der Status einer gefährdeten Minderheit schützt, kann es sich im Blick auf tödliche Messerstiche oder Kopfnüsse nur wieder und wieder um Ausnahmen handeln. Sollte sich die Erweckung der Alleinrechtgläubigen einmal vollumfänglich durchgesetzt haben, hat es sich auch mit dem Gendersternchen: Das war dann mal eine flotte Sternschnuppe, grell aufleuchtend und umso kläglicher verpuffend. Im Anschluss wird die katholische Kirche den Finger anfeuchten und feststellen, dass wir alle einem Halbmond folgen. Der Verrat fände in einem Umfeld statt, das längst anderen Sitten und Gebräuchen gehorcht – und diese auch rigoros zur Geltung brächte.

Ihnen allen ein frohes Fest.


Autor: Dr. Nathan Warszawsk
Bild Quelle: Screenshot


Mittwoch, 25 Dezember 2019