Antisemitische Elemente im Neuen Testament

Antisemitische Elemente im Neuen Testament


Antisemitische Elemente im Neuen Testament

Dr. Manfred Gerstenfeld interviewt Pieter van der Horst

Das Neue Testament enthält einige antisemitische Passagen. Man findet diese nur in den spätesten Dokumenten. Das Hauptbeispiel ist das Johannes-Evangelium. Es wurde nach dem Bruch zwischen Christen und Juden geschrieben. Die antijüdischen Gefühle durchdringen das gesamte Buch; es beinhaltet die meisten antisemitischen Verse des Neuen Testaments.

Bei Johannes distanziert sich Jesus komplett vom jüdischen Volk. Er lässt ihn über die Juden, ihre Gesetze und Feste sprechen, als sei er nicht länger einer von ihnen. Am schlimmsten ist, dass Johannes ihn in einem Streit zwischen Jesus und den jüdischen Leitern sagen lässt: „Ihr aber habt den Teufel zum Vater.“1 In späterer christlicher Literatur wird diese Äußerung aufgenommen.

Professor Pieter van der Horst studierte klassische Philologie, Literatur und Theologie. Er war Professor für jüdische Studien und andere Fächer an der Universität Utrecht.

Diese fatale kurze Bemerkung hat über zwei Jahrtausende hinweg tödliche Folgen gehabt. Es kostete in der weiteren Geschichte Zehntausende Juden das Leben, besonders im Mittelalter. Dieser Vers wurde von christlichen Judenhassern als Lizenz zur Ermordung von Juden genutzt. Diese Mörder glaubten: „Wenn Jesus sagte, dass Juden den Teufel zu Vater haben, sollten wir sie nach bestem Vermögen ausmerzen.“

Alle Neutestamentler stimmen darin überein, dass dies nicht Jesu Haltung ist, sondern die von Johannes. Wenn eine religiöse Gruppe von ihrer Mutterreligion wegbricht, muss sie ihre eigene, neue Identität schaffen. Die Soziologie der Religion lehrt uns, dass die neue Gruppe in der ersten Phase immer anfängt die alte Religion heftig anzugreifen. Die effektivste Dämonisierung ist es, die Juden als „Kinder des Teufels“ zu bezeichnen und das Jesus selbst sagen zu lassen. Unglücklicherweise ist das Johannesevangelium jedoch eines der beliebtesten Bücher der Christenheit.

Die antijüdischen Texte im Matthäus-Evangelium fügen sich in ein Bild ein, das an sich nicht antisemitisch ist. Nur in der Erzählung der Passion Jesu in diesem Evangelium findet sich, dass Pilatus, der römische Gouverneur Judäas, sagt: „Ich finde nichts Böses an diesem Mann.“ Pilatus wäscht dann seine Hände als Zeichen, dass er nichts mit Jesu Hinrichtung zu tun haben wünscht. Pilatus Frau sagt: „Lass die Hände von diesem Gerechten, denn seinetwegen habe ich heute im Traum viel gelitten.“2 Alles, was wir aus anderen Quellenwissen, sagt uns, dass Pilatus durch und durch skrupellos und gnadenlos war. Die Vorstellung, er könnte einen Menschen vor der Todesstrafe retten, weil er ihn für unschuldig hält, ist nicht historisch und fast lächerlich.

Matthäus‘ Text muss im Kontext seiner Zeit verstanden werden, ungefähr in den 80-er Jahren des ersten Jahrhunderts. Mitte der 60-er Jahre unserer Zeitrechnung, unter Kaiser Nero, hatten die ersten Christenverfolgungen begonnen, denen später weitere weniger starke Verfolgungen auf örtlicher Ebene folgten. Das ängstigte die Christen.

Aus politischen Gründen war Matthäus sehr daran interessiert, dass seine Schriften den Römern den Eindruck vermitteln sollten, dass Christen für sie keine Gefahr seien. Wenn Pilatus, ein hoch respektierter römischer Magistrat, von Jesus sagt: „Dieser Mann ist völlig unschuldig“, dann impliziert das, dass die Römer das Christentum nicht fürchten müssen. Das führt dann im Gegenzug zu der Geschichte, dass die Juden angeblich brüllen: „Sein Blut soll über uns kommen“ – was bedeutet: „Wir übernehmen die Verantwortung für seinen Tod.“ Die Verantwortung für Jesu Tod auf das jüdische Volk zu verschieben steht mit Widerspruch zu dem, was Matthäus in den früheren Teilen seines Evangeliums sagt, wo es praktisch heißt, dass Jesus sich immenser Beliebtheit bei den Massen erfreute, soll heißen: mit der Mehrheit der einfachen jüdischen Menschen.

Es gibt auch einen vereinzelten Fall eines antijüdischen Ausbruchs durch den Apostel Paulus. In einem seiner Briefe an die Thessalonicher, der christlichen Gemeinde in der griechischen Stadt Thessaloniki, berichtet er, dass die Juden seinen Predigten stark ablehnten. Paulus gerät dann in Rage und sagt: „Diese haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten, sie haben uns verfolgt, sie missfallen Gott und sind allen Menschen feind.“3

Das ist der einzige Text im Neuen Testament, der sagt, die Juden seien die Feinde des Restes der Menschheit. Dieses Motiv entstammt dem vorchristlich-heidnischen Antisemitismus, wo er oft auftritt. Er steht in völligem Gegensatz zu dem, was Paulus in seinem Brief an die Römer ausführlich über das jüdische Volk sagt. In drei Kapiteln – 9, 10 und 11 – zeichnet Paulus ein weit positiveres Bild des jüdischen Volks. Es gibt keine Erwähnung, dass sie die Feinde der Menschheit sind; es gibt auch keine solche in Paulus‘ anderen Briefen.

In seinem späteren Brief an die Römer sagt Paulus: „Wir Christen sollten erkennen, dass der Olivenbaum das Volk Israel ist und wir nur in diesen Olivenbaum eingepfropft wurden.“4 Der einzige Fall eines antijüdischen Ausfalls scheint der eines Menschen zu sein, der seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle hat. Erst in späteren Jahrhunderten griff die Christenheit die jüdische Religion so heftig an, wie sie konnte, einschließlich durch Dämonisierung.

 

Anmerkungen
1 Johannes 8,44
2 Matthäus 27,15-26
3 1. Tessalonicher, 2,14-16
4 Römer 11,24

 

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war - Erstveröffentlicht bei unserem Partnerblog Heplev - Foto: Titelblatt einer berüchtigten Schrift des M. Luther

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Freitag, 24 Mai 2013

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