Zu den Ereignissen in Chemnitz [Video]

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Was gerade in Chemnitz passiert, ist absolut beunruhigend.

Zu den Ereignissen in Chemnitz [Video]

Von Gerd Buurmann

 

Ein Mann wurde in der Nacht zum 26. August 2018 in Chemnitz getötet. Er wurde niedergestochen. Er war Vater und von Beruf Tischler. Sein früherer Ausbildungsbetrieb schrieb nach seiner Tötung:

„Mit Bestürzung und Fassungslosigkeit haben wir vom gewaltsamen Tod unseres ehemaligen Tischlerlehrlings erfahren. Daniel war ein sehr hilfsbereiter, fleißiger und lebenslustiger Mensch – Ruhe in Frieden Daniel!“

Ein Mensch ist eine ganze Welt, wer ihn tötet, tötet eine ganze Welt.

 

Darum geht es!

 

Es geht um einen Menschen, der nicht mehr ist, der sich nicht mehr entscheiden kann, gute oder böse Dinge zu tun. Es geht um eine Welt, die aufgehört hat zu atmen, zu leben und zu lieben, eine Welt die herausgerissen wurde aus den Welten vieler anderer Menschen, die ihn vermissen.

 

Menschen, die trauern, ziehen sich zurück.

 

Nur ein paar Stunden nach Daniels Tod zog ein Mob von Tausenden Menschen durch Chemnitz. Manche zeigten den Hitlergruß, andere griffen Gegendemonstranten und Journalisten an. Der Mob marschierte als sogenannter „Trauermarsch“ durch die Stadt. Das war jedoch kein Trauermarsch. Es war eine Schande!

Ein Trauermarsch ist ruhig. Der Mob von Chemnitz aber bestand größtenteils aus jungen Männern, viele davon betrunken und höchst aggressiv. Sie warfen Brandsätze und Flaschen. Mehrere Menschen wurden verletzt.

Die Bewegung Pro Chemnitz hatte zu der Demonstration aufgerufen. Sie ist im Stadtrat von Chemnitz mit drei Sitzen vertreten. Dem Ruf folgten erklärte Neonazis und Mitglieder rechtsradikaler und rechtsextremer Parteien von Der Dritte Weg bis zu Die Republikaner.

 

„Legion heiße ich; denn wir sind unser viele.“

 

So stellt sich der Teufel im fünften Kapitel des Buchs Markus im Evangelium vor. Das Böse ist dort, wo sich der Mensch einer Masse unterwirft, wo das Individuum in einem Mob verschmilzt und sich in der Legion der Vielen auflöst. In Chemnitz wütete die Legion. Es ist erschreckend, wie unvorbereitet die Polizei und die Politik auf diese Legion war.

 

Es ist unmöglich, mit einem Mob zu reden. Reden kann man nur mit Menschen. Wer von einer Ideologie besessen ist, braucht die Masse und diese Masse lässt andere Meinungen nicht zu. Sie schreit den Zweifel nieder, grölt nach Geschlossenheit und grenzt Kritik aus. Gerade dieser Masse sollten wir uns verwehren.

 

Der Zweifel macht uns menschlich.

 

Zur Trauer gehört der Zweifel. Die Frage nach dem Warum ist stets unter jenen, die sich in Trauer versammeln. In Chemnitz wurde nicht gezweifelt. Es wurde nicht getrauert. In Chemnitz wurde gekämpft.

Zwei Lager kristallisieren sich in diesen Kampf heraus. Die eine Seite glaubt, Deutschland stünde kurz vor der feindlichen Übernahme durch Einwanderer und die andere Seite glaubt, Deutschland stünde kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Beide Seiten sind unversöhnlich und haben ein großes Interesse daran, dass der Rest die Nerven verliert. Wir sollten ihnen nicht auf den Leim gehen.

 

In Chemnitz ist viel schief gelaufen. Die Polizei hätte besser vorbereitet sein müssen, die Politik hat viel zu viele Menschen verloren und seit wann überhaupt ist in Deutschland wieder das öffentliche Zeigen des Hitlergruß‘ erlaubt? Es sind viele Fehler passiert. All diese Fehler können jedoch analysiert und behoben werden. Wir können unserer Verfassung vertrauen.

 

Dafür müssen aber Polizei, Politik und wir selbst kritisiert werden. Nicht, um Schuldige zu finden, das sind selbstverständlich die Täter, sondern um besser zu werden, damit wir den Tätern nicht unterliegen. Chemnitz ist eine Niederlage für uns alle. Das können wir nicht akzeptieren. Wir müssen besser werden!

 

Die stärkste Waffe unserer Verfassung ist die Möglichkeit der Selbstkritik und der Selbstreflexion. Das Wort, die Kunst und der Glaube sind gerade deshalb frei, weil die Verfassung die Artikulation des Zweifels, der Kritik und des Irrtums als Motor zum Fortschritt schützt. Neben der nötigen Kritik sind auch falsche Ansichten und irrtümliche Meinungen frei. Nur aus dieser Freiheit kann Verantwortung entstehen.

 

Das Jahr 2018 ist nicht 1933!

 

Im Jahr 1933 holte eine radikal antidemokratische Partei bei den Wahlen in der Weimarer Republik über dreißig Prozent der Stimmen. Davor machte die Partei die Straßen des Landes unsicher. Im Jahr 1933 hatte Deutschland allerdings auch eine zahnlose Verfassung. Ohne Probleme konnte die NSDAP diese Verfassung abschaffen und eine Diktatur installieren. Das geht heute nicht mehr. Heute sind wir hervorragend konstituiert.

 

Das Grundgesetz ermöglicht es allen Bürgerinnen und Bürger, sich parlamentarisch Gehör verschaffen, um im Streit, in der Auseinandersetzung und einer möglichen Zusammenarbeit eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Die Verfassung, die uns das ermöglicht, wurde uns unter anderem von den Amerikanern, Engländern und Franzosen geschenkt, die diese Verfassung vor über siebzig Jahren für uns erkämpft haben. Diese großen Nationen haben kein Problem damit, auch extreme Positionen in ihre Politik zu integrieren. Ob nun Marine Le Pen in Frankreich, Donald Trump in den USA oder Brexit-Befürworter in Großbritannien, extreme Positionen können dort sogar Wahlen gewinnen und dennoch gehen diese Nationen daran nicht zu Grunde. Es wird lediglich intensiver diskutiert, auf den Straßen mehr demonstriert und bei Familienfeierlichkeiten etwas mehr gestritten, aber die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist in keine dieser großen Nationen in Gefahr. Die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der Kräfte stehen.

 

 

Diese Länder zeigen uns, dass die Antwort auf extreme Positionen nicht ein mehr an Verboten ist, sondern eine starke Konstituierung, die an extremen Haltungen nicht zu Grunde geht, sondern sie parlamentarisch und gesellschaftlich zu integrieren versteht. Integration ist das Stichwort!

Wir müssen miteinander reden!

 

Wenn es Leuten schlecht geht, flüchten sie. Manche flüchten in andere Länder, andere in Ideologien. Es gibt Länder und Ideologien die sind eher gut und es gibt welche, die sind eher schlecht. Je bunter eine Gemeinschaft wird, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Farbe hinzukommt, die man nicht mag.

 

Ein Land mit einer guten Verfassung weiß, dass es Menschen mit radikal unterschiedlichen Überzeugungen gibt und dass darunter sogar eine Menge haarsträubender Ideologien zu finden sind. In einem solchen Land werden diese Haltungen jedoch nicht verboten, sondern in einem gut konstituierten Umfeld gezügelt, damit sie sich mit allen anderen Überzeugungen auseinandersetzen müssen. Jede Überzeugung, mag sie noch so göttlich oder menschlich sein, darf diskutiert, kritisiert und lächerlich gemacht werden und wenn sie zur Gewalt greift, muss die Polizei in der Lage sein, diese Gewalt zu kesseln.

 

Was in Chemnitz geschehen ist, zwingt uns, inne zu halten. Die Gewalt ist beängstigend. Wir dürfen jedoch nicht in Panik verfallen. Wer für die Sicherheit bereit ist, die Freiheit zu opfern, wird am Ende beides verlieren. Die Gewalttäter von Chemnitz zwingen uns nicht in Knie.

Wir sind das Volk!

 

 

Tapfer im Nirgendwo - Foto zur Illustration: By Niteshift (photo taken by myself) [CC BY-SA 3.0  (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons


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Mittwoch, 29 August 2018