Die Regierung klärt das Volk auf

Die Regierung klärt das Volk auf


Ende Januar dieses Jahres hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit den 16 Bundesländern einen `Pakt für den Rechtsstaat´ beschlossen.

Die Regierung klärt das Volk auf

Von Henryk M. Broder

Im Mai gab das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine „Kampagne“ in Auftrag, „die einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung unseres demokratischen Rechtsstaats stärker ins Bewusstsein rücken“ und „die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats anschaulich“ darstellen sollte. Name der Kampagne: „Wir sind Rechtsstaat“.

Es ist nicht die erste Promo-Aktion dieser Art. In Bayern sagt man seit Jahrhunderten „Mia san mia“ („Wir sind wir“). In der Musik-Szene gab es von 2000 bis 2012 eine erfolgreiche Rock-Band, die sich „Wir sind Helden“ nannte. Nach der Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger zum Papst im Jahre 2005 titelte die BILD-Zeitung: WIR SIND PAPST!

Und jetzt das: Seit die Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“ am 20. September bundesweit gestartet wurde, sind „wir“ auch ein „Rechtsstaat“. Was bis eben weder ein Geheimnis noch eine sinnfreie Behauptung war. Deutschland ist eine föderale Republik mit funktionierender Gewaltenteilung, freien Wahlen, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, keine perfekte Demokratie, aber eine der besten im World Wide Web.

Der große Lümmel

Dennoch lässt die Bundesregierung jetzt die Bundesbürger wissen: „Wir sind Einigkeit und Recht und Freiheit.“ – „Wir stellen uns Fragen und suchen nach Antworten.“ – „Wir schützen vor Willkür. Und schwören auf Gerechtigkeit.“ Sind das in einem „Rechtsstaat“ nicht lauter Selbstverständlichkeiten? Ja, aber nur so lange, wie sie von der Regierung nicht beworben werden. „Wir“ reden auch nicht darüber, dass Folter und Todesstrafe abgeschafft sind und geben nicht damit an, dass Frauen wählen dürfen. Warum also klärt die Regierung das Volk über „die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats“ auf?

Weil sie anfängt, dem Volk zu misstrauen. Das Volk, laut Heinrich Heine „der große Lümmel“, verliert allmählich das Vertrauen in die Regierung. Es glaubt nicht mehr alles, was die Regierung sagt. Dass die Zuwanderung ein Gewinn und die Energiewende ein Segen ist. Deswegen muss das Volk erzogen werden. Damit es keine Fehler macht und womöglich die Falschen wählt. Das wäre nicht gut, vor allem für die Regierung.

 

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche und der Achse des Guten - Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: Jonas Schönfelder [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)]


Donnerstag, 10 Oktober 2019