Asterix und Obelix!

Asterix und Obelix!


Wutbürger, rückständige, chauvinistische und zum Rechtsradikalismus neigende Globalisierungsgegner!

Asterix und Obelix!

Von Imad Karim, Facebook

Es ist der 01. November 2009, 06:32 Uhr, gerade steige ich in den ICE nach Berlin und setze mich auf meinen reservierten Platz. Es sind wenige Menschen an diesem Sonntagmorgen, die den Ruhebereich im Grossraumwagen mit mir teilen, optimale Voraussetzungen, die nächsten fünf Stunden, fast mit göttlicher Stille, die Fahrt entspannt zu genießen, eine faszinierende selbstbewusste und dennoch zurückhaltende Ruhe, die jedem Wesen an diesem Morgen viel Kraft und Energie zu verleihen und vor allem es zum Innehalten einzuladen scheint. Ich bin für die Reise gut ausgerüstet, habe viele Ideen, über die ich bei halbgeschlossenen Augen nachdenken werde, meine Musiknahrung aus europäischer Klassik und alten arabischen Kompositionen steht mit einem Klick in meinem Handy zum Verzehr bereit, einige Zeitschriften und Magazine, die ich am Vortag vorbereitet hatte, sind auch mit am Bord. Ach ja, auch ein große Flasche Wasser, drei Brote, ein mit leckerem Schenken aus San Daniele, jener kleinen italienischen Stadt, die meine Frau und ich oft besuchten, ein mit Makdus, libanesischen mit Walnuss, Paprika, Peperoni und Knoblauch gefüllten und in reinem Olivenöl eingelegten Auberginen und das dritte Brot ist mit der von unserer Nachbarin Frau Lutz selbstgemachten Erdbeermarmalade. Frau Lutz, eine Hamburger Dame, die vor 70 Jahren mit 18, ihrer großen Liebe, einem badischen Bäckergesellen in den Südwesten folgte und dort blieb. Fast fünfzig Jahre arbeitete Frau Lutz hart in der Bäckerei und heute (2009) muss sie mit weniger als 700 Euro auskommen. Frau Lutz liebte den Winter, weil sie nie fror und hasste den Sommer weil sie unendlich schwitzte und auf keinen Fall bereit war, den Ventilator, den wir ihr schenkten anzumachen. Sie behauptete, der Ventilator mache sie krank und verschwieg, dass sie Angst hatte, die Stromrechnung am Ende des Jahres nicht zahlen zu können. Unseren Vorschlag, die Jahreszusatzkosten ihrer Stromrechnung zu übernehmen, lehnte sie dankend ab. Stolz ist (war) Frau Lutz. Obwohl Frau Lutz und wir Jahrzehnte auf der selben Etage wohnten, war ich für sie immer und bis zum Ende „Herr Kamin“, denn wir hatten aus Sicherheitsgründen unseren Namen an der Tür nicht geschrieben und am Anfang, als wir einzogen, stellte ich mich mit meinem Nachnamen vor, doch die bereits damals schwerhörige Dame verstand nicht „Karim“, sondern „Kamin“ und so bekam ich einen zusätzlichen Nachnamen. Frau Lutz suchte besonders in den letzten Jahren, immer wieder einen Vorwand, um bei uns zu klingeln und wenn meine Frau die Tür öffnete, fragte sie um Selbstsicherheit bemühend „wo ist Herr Kamin?“. Meine Frau rief nach mir und sagte „Imad, Frau Lutz fragt nach dir“. Ich, der immer zwei linke Hände hatte, kam und ging mit ihr irgend etwas bei ihr zu reparieren, meistens war der Stromstecker des Fernsehers, den sie „zufällig“ und natürlich „ohne Absicht“ aus der Steckdose rausgenommen hatte. Immer nach jeder Reperaturmission setzte ich mich zu ihr auf ihre alte Coach und unterhielt mich eine Weile mit ihr. Es schien ihr gut zu tun, denn sie war allein und einsam. Ihr Mann starb, bevor wir ins Haus eingezogen waren und die einzige Tochter wohnte sehr weit von ihr. Kurz vor ihrem Tod, das war Juli 2013, da ging es ihr gesundheitlich nicht mehr gut, sagte ich zu ihr, nach dem ich den Fernseher wieder „reparierte“, „Frau Lutz, Sie wissen, Sie werden bald sterben“, Frau Lutz nickte zustimmend. „Glauben Sie an Gott, Frau Lutz?“, „ich weiß nicht, Herr Kamin“ antwortete sie und ich setzte fort „ nehmen wir an, es gibt einen Gott, was glauben Sie, was würde er Ihnen als erstes sagen?“ fragte ich laut, damit ich meine Fragen nicht immer wieder wiederholen muss. Frau Lutz schaute mich an und sagte schmunzelnd, „er würde mir als erstes sagen, Du hast einen guten Nachbar gehabt“. An jenem Tag verließ ich die Wohnung von Frau Lutz mit feuchten Augen.
Drei Wochen später starb Frau Lutz, zuvor sorgte sie dafür, dass ihr Körper dem Heidelberger Universitätsklinikum zur medizinischen Forschung überlassen wird.

Ich liebe Zugreisen. 1995 drehte ich für den WDR einen Film „Herzen auf Reisen - Stationen der Sehnsucht“ der ausschließlich im Zug und an den Bahnhöfen spielte.
Alte und junge reisende Menschen, denen ich zufällig im Zug begegnete, befragte ich spontan nach den vergangenen Momenten ihrer großen Liebe. Vor meiner Kamera verwandelten sich ihre Erinnerungen in eine Hommage - nicht an die geliebte Person, sondern an die Zeit mit ihr. https://vimeo.com/217961209.

2009, das waren gerade acht Jahre her, seit dem sich der Terroranschlag 9/11 ereignet hatte. Es sind auch sieben Jahre her, seit dem ich keine Filme mehr für die ÖR-Fernsehsendern mache. 2001 begann ich mit meinen Kollegen intensiv über die New Yorker Terroranschläge zu diskutieren und zu versuchen, ihnen zu vermitteln, dass wir in den kommenden Jahren mit vielen Terroranschlägen seitens des politischen Islams rechnen müssen und dass wir deshalb die Öffentlichkeit und auch die Politik durch gut recherchierte Filmbeiträge und Reportagen sensibilisieren sollen. Ich wurde belächelt und als paranoid abgestempelt. Der endgültige Abbruch mit meinem früheren Brotgeber kam, als ein sehr bekannter Redakteur, mit dem ich auch befreundet war, auf mich zukam und mich bat, eine bestimmte Reportage zu machen. Er erzählte mir dass die Bäckerinnung eine Werbekampagne für das Deutsche Brot startete und ich deshalb eine Reportage machen und den Vorsitzenden der Innung interviewen sollte. Ich antwortete fragend, warum ich so eine Reportage machen solle, denn Wirtschaft sei nicht mein Ressort. Er erwiderte, ich solle den Mann interviewen und ihn als „völkisch“ entlarven. Ich fragte mit großem Erstaunen „warum soll der Mann völkisch sein?“. Mein Kollege, der prominente und deutschlandweit bekannte ÖR-Redakteur antwortete „weil er für das deutsche Brot wirbt und sich somit gegen das türkische und arabische Brot stellt. Das ist Rassismus und Du sollst den Mann entlarven“. Ich sagte ihm, der Einzige Rassist bist Du, weil Du Dich hasst und weil Du mich nicht respektierst und gerade versuchst, mich in meiner Integrität anzugreifen. Du willst mich instrumentalisieren, mit der Hoffnung, deinen miserablen pathologischen Zustand therapieren zu können. Du bist ein armseliger Zeitgenosse, mit dem ich nichts gemeinsam habe, denn ich verachte Selbsthasser“.
Danach bekam ich keinen einzigen Drehauftrag mehr. Ich war ohnehin in den letzten Jahren nur noch ein freier Filmautor, den man jeder Zeit kaltstellen kann.

Im Moment verlässt der Zug Hannover und es sind noch weniger als zwei Stunden, um in Berlin anzukommen. Dort will ich mit einem großen Staatsunternehmen verhandeln, ob ich die dazugehörige Medienabteilung künftig leiten soll und wenn ja, zu welchen Konditionen. Später wird sich herausstellen, dass ich den Job nicht bekommen werde und dass ich weiterhin und für viele Jahre medizinische OPs filmen musste, um finanziell überleben zu können. Ich hatte zwar ein wenig gespart, aber ich war immer ein Mensch, der Arbeit wie die Luft brauchte. Von meinen bisherigen 42 deutschen Jahren habe ich bis dato 38 Jahre gearbeitet und vier Jahre studiert, wobei auch während des Studiums immer in den Ferien jobbte. Erst 2011 machte ich weniger „OPs-Filme“ und wieder mehr Reportagen und Features, allerdings hauptsächlich für ausländische Sender. Für die ÖR machte ich gelegentlich Reportagen, aber sie liefen nicht unter meinem Namen, denn irgendwie, irgendwann stand ich auf einer geheimnisvollen „Black List“.

Der Zug kommt gerade in Braunschweig an. Bald wird er Helmstedt passieren, jene ehemalige Grenzstadt zwischen der BRD und der DDR. In Braunschweig machte ich im Februar 1978 - ich war gerade drei Monate in Deutschland - einen Sprachkurs an der dortigen Uni und wohnte sechs Wochen in einem Studentenwohnheim. Eines Tages ging ich in den Duschraum, er war eine gemischte Gemeinschaftsdusche, wie es bald herausgestellt hatte, eine junge Frau duschte sich gerade, als ich den Duschraum betrat. Ich musste erst den Schock verarbeiten, sagte leise „Hallo“, suchte mir eine passende Ecke, weit von ihr, dreht ich mich mit dem Rücken zu ihr und versuchte zitternd zu duschen. In jenem Moment hatte ich alle möglichen Gefühlsregungen, außer Erregtheit. Ich glaube, ich habe schon damals verstanden, dass es in dem „Dusch-Akt“ dieser jungen Frau ein Stück Reinheit offenbarte. Die Studentin war da zum duschen und ich auch, dann sollten wir duschen. Seit diesem Tag begann ich die Nacktheit der Menschen als etwas heiliges, etwas besonders, etwas göttliches zu sehen, die Nacktheit, eine Autonomie, über die keiner bestimmen darf. Nur die Nacktheit entscheidet über sich und wem sie sich hingeben will. Ich verstand, dass eine verordnete Keuschheit nicht zur Keuschheit führt, sondern zu Perversität und Verlogenheit. Diese Erfahrung wird mein späteres Leben stark prägen.

In Braunschweig beginne ich den „Welt“-Artikel über „Asterix und obelix“ zu lesen und ich erkenne, dass sich der westliche Kulturkreis in einem Selbstvernichtungskrieg befindet. Ich beginne, während wir auf Berlin zusteuern, mir selber die Frage zu stellen. „Woher kommt dieser Selbsthass?“ Das kann nicht nur mit den 12 sehr dunklen, hässlichen und menschenverachtenden deutschen Jahren und auch nicht mit dem aus der kolonialen Zeit entstandenen übertriebenen schlechten Gewissen der ehemaligen Europäischen kolonialen Mächte zu tun haben, Schweden hatte z.B. weder „Nazizeit“ noch eine koloniale Vergangenheit.

Bereits damals 2009 glaubte ich zu erkennen, dass die Gründe für den Selbsthass so banal sind; ich kam zur Überzeugung, dass in der Geschichte immer so war, nämlich wenn eine Gesellschaft oder ein Kulturkreis keine innere Feinde mehr hat, in Wohlstand und Sicherheit lebt, sich zu langweilen beginnt. Aus der „Leere“ entwickelt sich eine neue Dynamik, die Dynamik des Selbsthasses. Damals hoffte ich, man kann diese Dialektik irgendwie stoppen, denn ich wusste, dem Fall der trennenden Mauer zwischen Ost und West 20 Jahre zuvor wird bald der Fall der Grenzen zwischen Süd und Nord folgen. Parallel,dazu wird der Selbsthass zu einer Staatsdoktrin werden. Ich ahnte damals, dass sich der Selbsthass durch die unbegrenzte Migration zu therapieren versuchen und dass die medizinische Indikation lauten wird „ Nur wenn wenige Selbsthasser noch da sind, kann der Hass besiegt werden“. Ich fürchtete bereits 2009, eine neue Sekte hatte sich bereits vor Jahrzehnten unbemerkt gebildet. Aus der Geheimsekte entsteht gerade eine für viele Zivilisationsmüden und Friedensüberdrüssigen im Westen neue attraktive Religion mit der überhöhten, heilungsversprechenden und heils-und seligsprechenden Botschaft „Zur Glückseligkeit durch grenzenlose Fremdenliebe und grenzenlosen Selbsthass“

Damals im Zug und gerade als wir Spandau passierten, wollte ich beten, dass all diese furchtbaren Dinge in den nächsten Jahren nicht auf uns zukommen werden, aber weil ich als „Gottloser“ nicht wusste, ob und wo dieser Gott anzutreffen war, zu dem ich beten sollte, habe ich es dabei belassen.

Heute, 10 Jahre später, wünschte ich mir, ich hätte damals den richtigen Gott gefunden, zu ihm gebetet und er hätte meine Gebete erhört.


Autor: Imad Karim
Bild Quelle: Ferran Cornellà [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]


Sonntag, 20 Oktober 2019

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