Der Geist der Versöhnung weht durch die Geschichte

Der Geist der Versöhnung weht durch die Geschichte


In der „Berliner Rede“, die Bundespräsident Roman Herzog im April 1997, vor fast 23 Jahren, hielt, kam ein Satz vor, der bis heute zitiert wird: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Das Land müsse sich aus alten Strukturen lösen und Neues wagen, politisch wie gesellschaftlich. Herzogs Rede haftet inzwischen das Attribut „historisch“ an.

Der Geist der Versöhnung weht durch die Geschichte

Von Henryk M. Broder

Nun hat der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor ein paar Tagen in Jerusalem eine Rede gehalten, die – kaum, dass sie verklungen war – ebenfalls als „historisch“ qualifiziert wurde. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee.

Sogar Steinmeiers Mitarbeiter seien auf dem Rückflug nach Berlin dermaßen gerührt gewesen, berichtete ein Zeuge, dass sie einander „umarmt“ hätten, emotional überwältigt von der „historischen Geste“ des israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin, der seinen deutschen Kollegen nach dessen Rede „umarmt“ hat. Die Welle der Anerkennung setzte sich in den deutschen Medien fort, die es Steinmeier hoch anrechneten, dass er seine „historische Rede“ in der Gedenkstätte Yad Vashem nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch hielt, aus Rücksicht auf die Gefühle der noch lebenden Opfer.

Man konnte den Ruck, der durch Deutschland ging, allerorten spüren: Diesmal hatte unser Staatsoberhaupt alles richtig gemacht! Nicht nur die beiden Präsidenten lagen sich in den Armen, sondern auch die beiden Völker, auf immer versöhnt.

75 Jahre später

Steinmeier wurde vor allem zugutegehalten, dass er „die richtigen Worte“ gefunden, sich zur deutschen Verantwortung für den Holocaust bekannt hatte, als ob das – 75 Jahre nach dem erzwungenen Ende des Mordens – eine besondere Leistung wäre, die angemessen gewürdigt werden müsste. Steinmeier stellte klar, dass es nicht etwa Aliens, sondern „Deutsche“ waren, die den Juden Schlimmes angetan hatten: „Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen.“

Eine Feststellung, der man entgegenhalten könnte, dass angesichts der Zahl der Toten von einem Scheitern der Täter keine Rede sein kann. Politisch korrekt erinnerte der deutsche Präsident in seiner Rede daran, dass die Opfer „Jüdinnen und Juden“ waren, damit niemand auf die Idee kommt, die Nazis hätten es nur auf männliche Angehörige der Spezies abgesehen.

Keine Frage, Steinmeier meinte es gut. Er verneige sich „in tiefer Trauer“, aber auch „erfüllt von Dankbarkeit“ für die „ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wiedererblühte jüdische Leben in Deutschland“, beseelt „vom Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel … einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat“.

Man könnte solche Sätze auch so verstehen, dass Deutschland keinen Groll mehr gegen Israel hegt und den Juden alles vergeben hat, was die Nazis ihnen angetan haben. Die ausgestreckte Hand der Überlebenden und das wiedererblühte jüdische Leben in Deutschland befördern den Geist der Versöhnung. Ebenso, wie die oft gestellte Frage, ob denn die Juden, anders als die Deutschen, nichts aus ihrer Geschichte gelernt hätten und sich deswegen so gemein gegenüber den Palästinensern benehmen würden.

Eine Welt ohne Zionismus

Man könnte aber auch die Frage stellen, was Deutschland, vertreten durch Frank-Walter Steinmeier, aus der Geschichte gelernt hat. Ob es o.k. ist, freundschaftliche Beziehungen mit einem Terrorregime zu unterhalten, das „eine Welt ohne Zionismus“ anstrebt und Israel von den „Seiten der Geschichte“ tilgen möchte. Ob es o.k. ist, diesem Regime zum Jahrestag der Revolution im Namen aller Deutschen alles Gute für die Zukunft zu wünschen.

Ob es o.k. ist, in den Vereinten Nationen gegen Israel zu stimmen und dieses Verhalten damit zu begründen, man habe auf diese Weise „noch nachteiligere Beschlüsse“ verhindert. Gehört das alles zum „Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat“? Man soll Worte und Sätze, die von Politikern bei Staatsfeiern gesagt werden, nicht auf die Apothekerwaage legen. Aber die Flexibilität, die der deutsche Präsident an den Tag legt, ist doch bemerkenswert.

Im Mai 2017 legte er am Grab von Jassir Arafat in Ramallah einen Kranz nieder und verneigte sich vor dem Fatah-Führer, dessen Politik tausenden von Israelis und Palästinensern das Leben gekostet hat. Jetzt verneigte er sich in Jerusalem vor den jüdischen Opfern der Nazis.

Beachtlich an dieser „Geste“ war nicht nur die eiskalte Chuzpe, mit der sie exekutiert wurde, noch erstaunlicher war, dass alle deutschen Medien der Versuchung widerstanden haben, die Events fotografisch zu verknüpfen, obwohl es genug gelungene Aufnahmen von beiden gibt. Ein Akt der Höflichkeit gegenüber dem Präsidenten und seinem Versprechen: „Wir stehen an der Seite Israels!"

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Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche und der Achse des Guten - Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors / Foto: Der iranische Außenminister Zarif und Steinmeier beim Plausch


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: Tasnim News Agency [CC BY (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)]


Mittwoch, 05 Februar 2020