Hilfe in der Coronakrise: Geld alle und die Datenbank geknackt - das ist Berlin

Hilfe in der Coronakrise:

Geld alle und die Datenbank geknackt - das ist Berlin


Wenn Sie wissen wollen, wie ernst die Lage ist, dann schauen Sie sich ein Interview mit Detlef Scheele, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, an, das am 27.3. in einem ZDF-Corona-Spezial zu sehen war.

Geld alle und die Datenbank geknackt - das ist Berlin

Von Henryk M. Broder

Hier ab 3:30. Wie stehe es denn um das schnelle und unbürokratische Vorgehen, das den Antragstellern versprochen wurde, will der Moderator wissen, worauf Scheele, der sich gegen die soziale Kälte mit einem schwarzen Schal schützt, antwortet: „Wir haben jetzt rasant steigende Kurzarbeiter-Anzeigen, wir haben jetzt 70.000“, in normalen Zeiten seien es 1.000, wobei er zu sagen vergisst, ob sich die Zahlen auf einen Tag oder eine Woche beziehen oder auf die Zeit, seit er das Amt übernommen hat. Jedenfalls „geht es rasant nach oben“, und es tue ihm leid, „wenn es im Einzelfall so sein sollte, dann melden Sie sich bei uns, gucken Sie in die Online-Unterstützung, wir beraten Sie gerne, gar keine Frage“. Denn: „Wir freuen uns über die Anzeigen, weil jeder, der in Kurzarbeit geht, ist ein verhinderter Arbeitsloser, dafür sind wir da, und das ist das Mittel der Wahl, mit dem wir zumindest den Beschäftigten helfen können, ihren Arbeitsplatz zu erhalten.“

Versuchen Sie bitte, die Logik dieses Satzes zu finden, und wenn Sie es geschafft haben, dann geben Sie uns Bescheid. „Jeder, der in Kurzarbeit geht, ist ein verhinderter Arbeitsloser“, das klingt wie „Jeder, der vom Dach springt, ist ein verhinderter Sozialhilfeempfänger“, und so könnte es auch gemeint sein. 

Jetzt persönlich zur Arbeitsagentur zu gehen, sagt der Moderator, sei „keine gute Idee“, allerdings sei das Anrufen auch nicht einfach, „die Telefonleitungen sind überlastet“, was sollten die Antragsteller tun?

Das Telefonnetz, antwortet der Chef der Arbeitsagentur, sei „in den letzten Wochen in ganz Deutschland stark überlastet gewesen“, 11.000 Mitarbeiter der Arbeitsagentur würden von zuhause arbeiten, „das belastet das Netz“, da könne man sich nicht wundern, „und deshalb bieten wir an, online zu gucken“, da gebe es viele Kanäle. „Und wir rufen zurück, wenn Sie niemand erreichen und auf die Voice-Box sprechen, dann antworten wir, da haben wir eine nahezu 100-prozentige Rückrufquote, ich glaube, das ist in Zeiten wie diesen verständlich“. Für die Kurzarbeiteranträge seien jetzt 4.000 Mitarbeiter da, „wir tun, was wir können, es tut uns leid, wenn es im Einzelfall Probleme gibt, wir arbeiten das gerne nach“. Außerdem sei Geld „kein limitierender Faktor“, irgendann wäre zwar die Rücklage weg, aber „wir zahlen aus, wir zahlen pünktlich aus und wir bemühen uns, so schnell wie irgend möglich“.

Kurzarbeiter retten die Statistik

Das sind doch alles gute Nachrichten für alle Kurzarbeiter, die mit ihren Anträgen auf Kurzarbeitergeld dafür sorgen, dass die Arbeitslosenzahlen nicht durch die Decke gehen. Gute Nachrichten gab es auch für die vielen Selbstständigen in Berlin – Musiker, Grafiker, kleine Dienstleister –, denen vom Senat ebenfalls schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen wurde. In der Praxis sah das so aus:

Heute nachmittag war ich im Copy-Shop, und Charly, der Inhaber, wollte wissen, ob ich meine Fördermittel schon beantragt hätte. Hatte ich nicht. Bislang hieß es ja, Solo-Selbständige und Künstler könnten 5000 Euro beantragen und bekommen. Inzwischen heißt es übrigens: bis zu 5000 Euro. Wenn man Pech hat, werden es am Ende nur 500. Man kann den Antrag nicht einfach so stellen, sondern muß sich in eine virtuelle Warteschlange einreihen. Das hat Charly gemacht, er hat sich eingereiht. Vor ihm warteten 87.000, den Antrag überhaupt erst stellen zu dürfen. 87.000! Der Nachbar von Charly, ein Libyer, der einen kleinen Sandwich-Laden betreibt, war viel schneller und ganz vorn in der Schlange. Er kam dran. Jeder, der das Glück hat, an den Antrag zu kommen, hat genau 35 Minuten Zeit. In den 35 Minuten muß alles ausgefüllt sein. Der Libyer hat Probleme mit dem Behördendeutsch, darum bat er Charly um Hilfe. Beide versuchten in Windeseile diesen Antrag auszufüllen, scheiterten aber an den Schrägstrichen der Steuernummer. Die Schrägstriche gingen nicht, auch keine Minuszeichen. Die Nummer hintereinander weg einzugeben, ging schief. Vielleicht haben sie in der Eile die Zahlen verwechselt. Dann waren die 35 Minuten um, und der Libyer flog aus dem Wartesystem. Er ist jetzt wieder ganz nach hinten gerutscht. Wenn man irgendwann dran ist, bekommt man übrigens eine Mail. Das kann auch nachts um drei sein. Ab dann laufen die 35 Minuten. Wenn man verpennt, hat man eben Pech gehabt und darf wieder von vorne anfangen. 

Pleiten, Pech und Pannen

Es kam aber noch besser. Schneller als erwartet, war das Geld für die Kredite alle. Die Berliner Investitionsbank, formell eine Anstalt des öffentlichen Rechts, in Wirklichkeit ein landeseigenes Unternehmen, gab Ende der vergangenen Woche bekannt, sie setze bis auf Weiteres die Annahme weiterer Anträge aus, „um mit den Senatsverwaltungen für Wiirtschaft, Energie und Betriebe das weitere Vorgehen zu beraten“. Die vom Senat bereitgestellten 100 Millionen Euro würden nicht reichen. „Wenn alle Anträge, die momentan kundenseitig in Bearbeitung sind, bewilligt würden, beliefe sich das Volumen auf mehr als 300 Millionen Euro.“ Hier.

Obendrauf gab es noch eine Datenpanne. „Nutzer konnten den Antrag auf Corona-Hilfe zwar ausfüllen und abschicken. Doch als sie den Antrag als Kopie herunterladen wollten, erhielten sie nicht ihren Antrag, sondern den einer fremden Person – inklusive Adresse, Steuernummer und Bankverbindung.“

Ja, das ist Berlin, die einzige Hauptstadt in Europa, die das BIP des Landes in die Tiefe drückt. „Ohne Berlin ginge es Deutschland besser“, schrieb DIE WELT schon 2016. Man möchte lieber in Dinslaken besoffen abhängen, als in Berlin auf Hilfe angewiesen sein. 

 

Erstveröffentlicht bei der Achse des Guten - Zweitveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: Dirk Ingo Franke CC BY 3.0 via Wikimedia Commons


Montag, 30 März 2020