Deutscher Gesetzesdschungel – Die Behörden wissen selbst nicht, was gilt

Deutscher Gesetzesdschungel – Die Behörden wissen selbst nicht, was gilt


Eine Bestandsaufnahme von Gastautor Michael Wolski

Deutscher Gesetzesdschungel – Die Behörden wissen selbst nicht, was gilt

Prolog:
Im Jahr 2001 trat das Gesetz über den Beruf des Podologen (Podologengesetz – PodG) in Kraft.
Der Beruf der Podologin/des Podologen ist ein medizinischer Beruf und das, was diese Damen und Herren machen heißt medizinische Fußpflege. Diese nimmt im Leben eines jeden Menschen an Bedeutung zu, je älter und gebrechlicher er wird. Falls medizinisch notwendig, verschreibt der Arzt die med. Fußpflege und die     gesetzlichen Kassen übernehmen die Kosten, bei Leistung eines Eigenbeitrages. Dieses Gesetz war notwendig geworden, da in der EU einheitliche Regelungen bestanden zur Ausbildung von medizinischen Fußpflegern, auch Podologen genannt, nicht jedoch in den 16 Bundesländern Deutschlands. Mit diesem Gesetz wurde der Beruf Podologe bzw. medizinischer Fußpfleger zur geschützten Berufsbezeichnung.

Allerdings definierte das Gesetz nicht den Begriff der medizinischen Fußpflege und stellte diese auch nicht unter Erlaubniszwang. Das bedeutete, dass weiterhin Kosmetikerinnen, die in ihrer Ausbildung die med. Fußpflege (neben der kosmetischen) erlernt hatten, diese ausführen durften.

Zumindest dachten die Kosmetikerinnen so. Sie müssen als handwerksähnliches Gewerbe in den Handwerkskammern Mitglied sein. Der Verband der Podologen dachte aber anders und so entspann sich ein Abmahnkampf bis zum Jahre 2013. Wie üblich, urteilte das eine Gericht so, und das Andere anders. Einmal gewann eine Podologin, einmal eine Kosmetikerin. Dann machte der BGH mit seinem Urteil vom 24.09.2013 I ZR 219/12 dem Spuk ein Ende. Im Leitsatz B zum Urteil heißt es: Die in § 1 PodG geregelte Erlaubnispflicht gilt nur im Hinblick auf die Führung der Bezeichnung “Medizinische Fußpflegerin/Medizinischer Fußpfleger” und verbietet nicht die Werbung für die erlaubnisfreie Tätigkeit einer medizinischen Fußpflege.

Das bedeutete für die obsiegende Kosmetikerin, dass sie nun die med. Fußpflege bewerben und ausführen konnte. Ein BGH-Urteil hindert jedoch den Podologenverband nicht, auch noch heute auf seiner Webseite mitzuteilen, dass nur den Podologen die Ausführung der med. Fußpflege gestattet sei.

https://www.verband-deutscher-podologen.de/abgrenzung-der-taetigkeitsfelder-podologie-und-fusspflege/

Natürlich steht im Dokument kein Datum, denn man ist auf Dummenfang. Aber die Cleverles des Podologenverbandes haben sich abgesichert, sie geben als Quelle das Regierungspräsidium von Baden-Württemberg an. Der Link wird nicht ausgeführt, da nicht sicher. Wenn man aber auf die Webseite des Regierungspräsidiums über Google zugreift, dann erscheint folgende Info:

Man stutzt, wenn man diesen Text liest, da er Urteile von 2007/8 angibt und nicht auf die höchstrichterliche Änderung der Rechtsprechung 2013 verweist. Die Information zum Regierungspräsidium, das diesen Text eingestellt hat, findet man nur im Link, aber nicht im Text. Für eine Behörde unüblich. So ist zu vermuten, dass nach dem BGH-Urteil von 2013 ein Mitarbeiter der Abteilung 9, Referat 92 im Rahmen eines Freundschaftsdienstes am 12.08.2014 dieses Dokument eingestellt hat. Interessant: Seit 6 Jahren ist niemandem im Regierungspräsidium BW aufgefallen, dass man Fake News verbreitet.

Das wäre alles nicht so schlimm, hätte der Senat von Berlin mit seiner Verordnung wg. Corona vom 22.03.2020 nicht auch das Kosmetikinstitut meiner Frau geschlossen und gleichzeitig folgende Information publiziert:

Drama:

Wie nun, fragte mich meine Frau: Kann ich jetzt weiterhin medizinische Fußpflege anbieten?

Na klar – sagte ich, schauen wir in das BGH-Urteil von 2013 – alles okay. Und ich schrieb eine Mail an die Rechtsabteilung der Berliner Handwerkskammer und fragte nochmals an, denn der Senat hat die Ausübung nicht genehmigter Tätigkeiten unter Strafe gestellt – bis zu 10.000 €. Dann entwickelte sich dieser Mailverkehr:

 Mail der Rechtsabteilung der HWK Berlin
„Sehr geehrter Herr Wolski,
ich meine, Sie bzw. Ihre Frau darf auch die medizinische Fußpflege nicht anbieten, es sei denn, Ihre Frau ist auch als Podologin ordnungsgemäß registriert“
Und ich erhalte den Link zum Podologenverband –siehe oben.
„Zur Zulassung zur medizinischen Fußpflege wäre nach meinen Recherchen … zuständig. Da Ihre Frau wahrscheinlich nicht die „echte“ medizinische Fußpflege anbieten darf, wäre ich vorsichtig, im Bereich des Kosmetikerhandwerks die Fußpflege weiter anzubieten. Es kann durchaus sein, dass das Ordnungsamt bei Kontrollen den Betrieb schließt.“

 Nach Übersendung des o. g. BGH-Urteils erhielt ich folgende Antwort der HWK-Rechtsabteilung:
„Das „Problem“ Abgrenzung     medizinische – kosmetische Fußpflege ist kein neues Problem, es beschäftigte uns schon 2001. Es kam nur jetzt wieder hoch, als dass     medizinisch erforderliche Fußpflege aktuell erbracht werden darf. Ich habe Ihnen Merkblätter von anderen Institutionen (IHK) angehängt, da diese sehr gut die Abgrenzung im Bereich Fußpflege wiedergeben. Sobald sich die „Corona-Lage“ entspannt hat, greifen wir gerne noch einmal selber die grundsätzliche Abgrenzung kosmetische von der medizinischen Fußpflege auf…“ Im Anhang fand ich die Abgrenzungsrichtlinie des Zentralverbandes des Handwerks und der Industrie- und Handelskammern von 2017 sowie Hinweise von IHK und einer HWK. Die HWK Kassel stellte noch im Jahre 2018 den Sachverhalt wie vor dem BGH-Urteil von 2013 dar! Allerdings ist aktuell dieses Merkblatt nicht mehr auf der Webseite zu finden. Weiter heißt es im Mail der Rechtsabteilung: …“Die Handwerkskammer ist aber nicht die Institution, die die Kosmetiksalons schließt oder der ihnen die Öffnung gewährt. Unsere Aufgabe ist es, Betriebe auf Gefahren hinzuweisen, was ich mit meiner ersten Antwort auch getan habe. Wir mahnen nur zur Vorsicht, da wir den alten Streit um die medizinische Fußpflege kennen. Um eine definitive Aussage zu erhalten, ob der Laden schließen muss oder der Betrieb im Bereich Fußpflege geöffnet bleiben kann müsste das zuständige Ordnungsamt um Auskunft gebeten werden.“ Das habe ich mir verkniffen, denn den Link zu den Podologen kenne ich.

Dann habe ich beim Deutschen Handwerkskammertag (DHKT) in Berlin     angefragt. Der DHKT hat die Änderung der Rechtsprechung in seiner     „Abgrenzung von 2017“ mit dem Deutschen Industrie-und Handelskammertag nicht erwähnt. Vertritt der DHKT die Meinung des Podologenverbandes und nicht die Rechtsprechung des BGH? Ich hoffe, bald eine diesbezügliche Antwort zu erhalten.

Vera Lengsfeld, Publizistin, war eine der prominentesten Vertreterinnen der demokratischen Bürgerrechtsbewegung gegen die "DDR"-Diktatur, sie gehörte 15 Jahre dem Deutschen Bundestag als Abgeordnete der CDU an. Vera Lengsfeld publiziert auch in der Achse des Guten und in der Jüdischen Rundschau.

 


Autor: Vera Lengsfeld
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Samstag, 18 April 2020