Welcher Beruf ist systemrelevant? Leider die falsche Frage.

Welcher Beruf ist systemrelevant? Leider die falsche Frage.


Es ist prinzipiell schwierig, von systemrelevanten und nicht-systemrelevanten Berufen zu sprechen. Die Taten, zu denen sich Menschen berufen fühlen, können und sollten nicht ausnahmslos in ihrer wie auch immer ermittelten Wertigkeit hierarchisch aufgelistet werden.

Welcher Beruf ist systemrelevant? Leider die falsche Frage.

Von Gerd Buurmann

Was sind überhaupt systemrelevante Berufe? Jene, die die Nahrung und das pure Überleben sichern? Essen, trinken und atmen machen auch sämtliche Tiere. Wenn es etwas gibt, das uns Menschen im Wesen unterscheidet, dann ist es vor allem unsere Fähigkeit, Kunst und Kultur zu erschaffen. Die Begabung, Geschichten zu erzählen und Bilder zu ersinnen, zeichnet uns als Menschen aus. Diese Gabe macht uns besonders relevant. Kultur ist kein Bonus der Menschheit, sie ist die Menschheit!

Die Menschheit ist kein System, sondern ein wunderbar chaotischer Haufen voller Fehler und Gefahren. Aber dafür hat der Mensch das Fliegen gelernt. Der Mensch ist frei! Genau diese Freiheit wird in totalitären Systemen erstickt. Dort herrscht dann die brutale Logik der unterschiedlichen Relevanz von Menschen. Faschistische Systeme zum Beispiel argumentieren stets mit der vermeintlichen (Volks-)Gesundheit. Sie haben kein Problem damit, zum Wohle der Gesundheit, Menschen wegzusprerren, natürlich immer unter der festen Überzeugung: Es ist nur zu ihrem und zu unser aller Besten. 

Deutschland ist kein totalitäres Regime. Stellen wir uns aber mal vor, irgendein totalitäres Land schafft es, dem Virus besonders effektiv Einhalt zu gebieten. Sollten wir uns dann an diesem totalitären Regime ein Beispiel nehmen? Wenn in Europa ausgerechnet ein Land mit den meisten und extremsten Einschränkungen in die Grundrechte erfolgreich sein wird, ist dann dieses Land der neue Maßstab?

„Lewer duad üs Slav!“ (Lieber tot als Sklave!) 

Wenn wir uns mal alle Regime anschauen, die es jemals auf deutschem Boden gegeben hat, welches Regime hat systematisch gesehen die besten Strukturen, um über Verbote Einschränkungen durchzusetzen, die die Verbreitung eines Virus verhindern können? Eins ist sicher: Es ist nicht das Deutschland mit dem Grundgesetz. Es gibt jedoch kein anderes Deutschland, das jemals existiert hat und mit dem ich tauschen möchte.  Die Frage ist daher: Welche Maßnahmen sind wir nicht mehr bereit zu tragen? Wo ist unsere Grenze? Wo trumpft die Gesundheit, das Leben und die Sicherheit nicht die Freiheit?

Es gab schon von Corona viele Dinge, die wir nicht verboten haben, obwohl damit Menschenleben hätten gerettet werden könnten. Einige davon gelten als systemrelevant, wie das Autofahren, andere sind reiner Genuss, wie das Rauchen. Bei der Abwägung von Freiheit und Leben fiel die Antwort schon oft auf Freiheit. 

Auf meiner persönlichen Prioritätenliste steht Freiheit ganz oben. Ich kann verstehen, wenn es Menschen anders sehen, aber für mich gilt das Motto der Insel Sylt in meiner norddeutschen Heimat: „Lewer duad üs Slav!“ (Lieber tot als Sklave!)  Für einige Zeit habe ich in den USA gelebt. In New Hampshire lautet das Motto: „Live Free or Die!“ (Lebe frei oder stirb!) Diese Sprüche sind unfassbar pathetisch, das gebe ich zu, aber gerade in Zeiten der Krise hat das Pathetisch-Erhabene Hochkonjunktur. Aus der Politik zum Beispiel kommt immer wieder der Ruf, in der Krise müsse jeder Opfer bringen. Welche Opfer bringen jedoch unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter?

Die Kunst ist eine Verbündete der Freiheit

Nehmen wir einfach mal die längste Zeit, die ein Berufsstand in Deutschland nicht wirken darf. Wären die Personen, die nun die Einschränkungen in die Grundrechte vornehmen, bereit, nach der Krise für exakt die gleiche Zeit all ihre politischen Ämter ruhen zu lassen? Sind sie bereit für die selbe Zeit auf ihre Diäten zu verzichten? Vermutlich nicht. Was für Barbesitzerinnen, Clubbetreiber, Restaurantleiterinnen, Theatermacher, Tätowiererinnen und Friseure gilt, gilt nicht für jene, die diese Einschränkungen und Verbote entschieden haben. Manche Menschen sind halt systemrelevant. 

Lange Zeit dachte ich, wer Opfer fordert, muss auch bereit sein, die selben Opfer zu bringen, aber das ist vermutlich wieder zu pathetisch. Ich bin halt ein Künstler. Als Künstler weiß ich, immer wenn es zu einer endgültigen Entscheidung zwischen Freiheit und Sicherheit kommt, ist die Kunst eine Verbündete der Freiheit. Deshalb wird Kunst vor allem in totalitären System besonders kritisch beäugt und nicht selten zensiert.

Für die Freiheit, die ich heute leben kann, sind in der Geschichte der Menschheit Millionen Menschen gestorben. Ich fürchte mich vor einer Zeit, in der aus Angst vor der Unsicherheit und Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz das hohe Gut der Freiheit einem wie auch immer organisierten System geopfert wird. Ein solches Opfer bin ich nicht bereit zu geben. 

 


Autor: Gerd Buurmann
Bild Quelle: Screenshot


Mittwoch, 29 April 2020