Satire in den Zeiten der abnehmenden Demokratie

Satire in den Zeiten der abnehmenden Demokratie


Der Text, den ich hier dokumentiere, ist ursprünglich als Leserbrief an die Dresdner Neueste Nachrichten geschickt worden. Da es dem Blatt aus “technischen Gründen” nicht möglich war, ihn zu veröffentlichen, tue ich das gern.

Satire in den Zeiten der abnehmenden Demokratie

Von Gastautor Olaf Schumann

Was für eine Schauspiel. Ein halbes Hundert bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler äußern mit ihren Mitteln Kritik an der Corona-Politik der Regierung und der Berichterstattung darüber (niemand ist Rechts oder hat Corona geleugnet). Die Reaktion auf die Aktion ist unverhältnismäßig und gnadenlos. Die getroffenen Hunde bellen nicht, sie beißen. Der WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin (SPD) fordert umgehend ein Berufsverbot für Jan Josef Liefers und Ulrich Tukur im öffentlich rechtlichen Rundfunk. Uwe Steimles Rauswurf beim MDR zeigt, dass soetwas keine leere Drohung ist. Imre Grimm (von den DNN) reiht sich in die Phalanx der Scharfmacher ein. 

Mich erinnert das Schauspiel an längst überwunden geglaubte Zeiten. Als Wolf Biermann 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde und sich 100 Kulturschaffenden mit ihm solidarisierten, veröffentlichte das Zentralorgan der SED am 22.11.1976 einen Leitartikel mit der Überschrift „Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zur Politik von Partei und Regierung.“ Auch damals hielten einige Künstler dem Druck nicht stand und zogen sich zurück. 

Der Artikel von Imre Grimm passt ins gleiche Schema. Grimm macht sich zum Tellerwäscher des Zeitgeistes. Durch „Nicht-verstehen-wollen“, ein infames „in die rechte Ecke stellen“ und den absurden Vorwurf „Beifall von der falschen Seite in Kauf nehmen“. Demonstriert er damit seine politische Haltung, Opportunismus oder war das ein Auftragswerk wider Willen? Zwei Wochen vorher hatte er nämlich einen sehr aufschlussreichen und differenzierten Artikel zu Cancel Culture verfasst. Man glaubt nicht dass beide Artikel aus der gleichen Feder stammen. Damals schrieb er: „Wenn nur noch moralische Unfehlbarkeit von der Wiege bis zur Bahre dazu qualifizieren soll, sich öffentlich äußern zu dürfen, ist die Freiheit am Ende.“ Und jetzt verbreitet er in vorauseilendem Gehorsam Häme und Halbwahrheiten wie: „sie raunen Wirres“, „Liefers ventiliert die uralte Mär von den gleichgeschalteten Mainstreammedien“ oder „In der übrigen Kulturszene stieß die Aktion flächendeckend auf Ablehnung.“ Wie kommt er darauf? Die Liste der Unterstützer ist jedenfalls länger und prominenter als die der Gegner, sie reicht von Till Brönner bis Günter Baby Sommer. Abgesehen vom Blödelkönig Böhmermann begibt sich kaum ein Promi auf den roten Teppich der Polit-Claqueure. Nur Nora Tschirner plappert auf dem Niveau ihrer Rolle als Tatortkommissar: „Unfuckingfassbar“. Als Jan Josef Liefers 1989 – noch vor dem Mauerfall – vor einer Million Menschen auf dem Ostberliner Alexanderplatz, eine Rede gegen Gewalt und für Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit hielt, da war sie gerade mal 8 Jahre alt. Und der kleine Imre Grimm wurde in einer Waldorfschule im beschaulichen Hannover-Bothfeld bespaßt. Für diese Generation sind Grundrechte genauso selbstverständlich wie WLAN. Ihr größtes Unglück war bislang kein Netz zu haben – bis Corona kam. Ein wenig mehr Verständnis für Menschen, die berechtigte Angst vor dem Verlust von Grundrechten haben, wäre angebracht. Die allermeisten Künstler trauen sich heute nicht mehr aus der Deckung. Der Schauspieler Marcus Mittermaier twitterte erleichtert, dass er – Gott sei Dank – nicht gefragt worden sei. Das passt zu einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Zwei Drittel der Befragten gab an, sich mit ihrer Meinung zu öffentlichen Tabuthemen zurückzuhalten. 

Überraschenderweise äußerten sich Regierungsvertreter deutlich abwägender und toleranter als manche Journalisten. Der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte: „Dass es Kritik und Fragen gibt an den Maßnahmen und den Hintergründen, das finde ich nicht nur normal, das finde ich in einer freiheitlichen Demokratie wünschenswert.“ Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, äußerte sich ähnlich: „Gerade in Krisensituationen sind Minderheitsmeinung wichtig.“

Der eigentliche Skandal ist nicht die Aktion, sondern die Reaktion auf allesdichtmachen.de. Sie offenbart das ganze Demokratiedefizit in Politik und Medien. Sollte der Fall Konsequenzen haben? Ich finde ja. Der Rundfunkrat Garrelt Duin sollte umgehend entlassen werden, denn (Zitat): „Der Rundfunkrat vertritt als Aufsicht im WDR die Interessen der Allgemeinheit. Ziel ist es, die Vielfalt der Meinungen und Bedürfnisse der Bürger*innen in die Arbeit des Senders einzubringen“. Dagegen hat der ehemalige Minister definitiv verstoßen. Sorgen um seine Existenz muss man sich nicht machen, er ist über zahlreiche Posten in diversen Gremien bestens abgesichert. Anders als die Künstler, deren Existenz durch die Pandemie bedroht ist. 

Und Herr Grimm sollte einmal über seinen Beruf nachdenken. Es ist nicht die Aufgabe der Medien, Regierungsentscheidungen zu verteidigen, sondern sie zu hinterfragen. Er soll die Künstler nicht bewundern, es genügt sie zu verstehen. Der Journalist Jan Fleischhauer hat 2020 seinen Vater verloren, er ist an Corona gestorben. Weder er noch sein Bruder konnten Abschied nehmen. Aber: Er fühlt sich von den Filmen nicht verhöhnt. Die Ironie der Filme ist nicht schwer zu verstehen – wenn man sie verstehen will. Es lohnt sich alle anzusehen. Und wenn ich schon mal beim verstehen bin. Ich kann nicht verstehen, warum in den DNN kein kritischer Kommentar zu lesen war, als in den Öffnungsdebatten Kultureinrichtungen (wie Semperoper oder Staatlichen Kunstsammlungen) mit Fitnessstudios gleichgestellt wurden. Oder darüber, dass unsere kreditfinanzierte Gegenwart die Zukunft unserer Kinder nachhaltig beschädigt. 

Denken Sie mal darüber nach und nicht nur was die AfD sagen könnte.


Autor: Vera Lengsfeld
Bild Quelle: White Studio, New York, Public domain, via Wikimedia Commons


Freitag, 30 April 2021

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